Patricia Schlesinger - das Ende der RBB-Intendantin
9. August 2022Es geht um Champagner daheim auf Senderkosten, um ungewöhnliche Beraterverträge, den Dienstwagen, das Gehalt. Die Intendantin des öffentlich-rechtlichen "Rundfunks Berlin-Brandenburg" - kurz: RBB - Patricia Schlesinger ist nach wochenlanger Kritik und wachsendem Druck zurückgetreten. Dabei gab die 61-Jährige nicht nur dieses eine Amt auf, das sie seit sechs Jahren innehatte. Seit Anfang 2022 stand sie zudem als Vorsitzende an der Spitze der ARD, einem Zusammenschluss der neun Landesrundfunkanstalten in Deutschland und der Deutschen Welle. So sorgt der Skandal um Patricia Schlesinger für bundesweite Debatten – und befeuert Forderungen nach Änderungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland.
Man kennt einander
Bereits am 23. Juni - also lange vor der sogenannten "Sommerpause", die ab Juli in Politik und Medien aufkommt - hatte das Nachrichtenportal "Business Insider" erstmals über "Ungereimtheiten" rund um Schlesinger und ihren Mann Gerhard Spörl berichtet. Dabei ging es um einen mit 100.000 Euro dotierten Beratervertrag der Messe Berlin für Spörl - und die Tatsache, dass der Aufsichtsratschef der Messe Berlin, Wolf-Dieter Wolf, zugleich Verwaltungsratschef des RBB ist. Wolf habe, so "Business Insider", persönlich die Beratung durch Spörl initiiert.
Dieser ersten Enthüllung folgten, über Wochen, weitere. Zunächst und vor allem beim "Business Insider", dann auch in wachsender Zahl in anderen Medien. Da geht es um unklare Zusammenhänge bei Bauprojekten des Senders. Aber im Laufe des Monats Juli geht es immer mehr um die Person Schlesinger, die im früheren beruflichen Leben als ARD-Journalistin und Auslandskorrespondentin geschätzt wurde.
So bekam sie beim RBB, einer der finanzschwächeren ARD-Anstalten, zuletzt ein um 16 Prozent auf 303.000 angehobenes Gehalt sowie 20.000 Euro Bonus. Sie ließ sich von Chauffeuren in einem 145.000 Euro teuren angemieteten Dienstwagen fahren - inklusive Massagesitz. Zahlreiche weitere Details zur Ausstattung ihres Jobs, die für Empörung sorgten angesichts der wirtschaftlich schwieriger werdenden Lage im Land, folgten. Auch die Schilderung von abendlichen Essensrunden in der Privatwohnung, bei denen es Champagner gab – und die der Sender als Spesen finanzierte.
Die Justiz ermittelt
Am 4. August gab Schlesinger den ARD-Vorsitz ab – das hatte es in über 70 Jahren ARD noch nicht gegeben. Drei Tage später trat sie auch vom Amt der RBB-Intendantin zurück. Die Debatte um "mögliche und angebliche Verfehlungen der Intendantin" lenke den Blick ab von den Leistungen des Senders. Sie sprach von "persönlichen Anwürfen und Diffamierungen". Keine zwei Tage später wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue und der Vorteilsnahme gegen die 61-Jährige, ihren Ehemann und gegen RBB-Verwaltungsratschef Wolf ermittele, der dieses Amt mittlerweile ruhen lässt.
Der Skandal verschärft eine seit Jahren schwelende Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) in Deutschland, vor allem um die ARD und das 1961 gegründete ZDF. Da geht es um politische Distanz oder zu viel politische Nähe, aber seit Beginn der sogenannten Querdenker-Bewegung und der Corona-Proteste zielen häufig rechtspopulistische Protestierer gegen die inhaltliche Ausrichtung und grundsätzlich gegen den Bestand dieser Sender.
Private Sender, die es seit Mitte der 1980er Jahre gibt, verstärkten zum Teil zuletzt ihr Engagement im Bereich der Nachrichten – auch als kritische Ansage gegen den ÖRR. Und in Zeiten, in denen private Medien mit Einsparungen kämpfen und vor allem Zeitungen finanziell am Stock gehen oder aufgeben müssen, drängen auch einzelne Politiker der bürgerlichen Parteien auf Einschnitte beim ÖRR. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in Frankreich und Großbritannien, wo sich die Politik von der Struktur starker, öffentlich finanzierter Medien abwendet.
Frei und unabhängig
Dabei hat der "öffentlich-rechtliche Rundfunk" in Deutschland aus historischen Gründen besondere Bedeutung. Nach der totalitären NS-Diktatur und dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 organisierten die westlichen Alliierten – die USA, Großbritannien und Frankreich – in ihren jeweiligen Zonen den Rundfunk neu. Dieser sollte durch eine freie und unabhängige Berichterstattung zum Aufbau einer demokratischen Öffentlichkeit beitragen. Vorbild war das britische Konzept eines gebührenfinanzierten Rundfunks, der nicht privatwirtschaftlich organisiert, aber staatsunabhängig sein sollte. 1950 erwuchs daraus die ARD als Zusammenschluss der Landesanstalten, 1961 kam das ZDF als stärker zentralistisch geprägte Anstalt dazu.
Bei Schlesinger und dem RBB kommen zudem noch weitere Faktoren hinzu. Der Sender verkündet seit Jahren Sparrunden und kürzt Sendeformate und die Zahl der Mitarbeitenden. In all dieser Zeit gab es beim RBB keine mahnenden vernehmbaren Worte aus den entscheidenden Gremien, die jeweils an der Spitze der ÖRR-Anstalten stehen. Das sind der - wichtigere - Rundfunkrat als inhaltliches Kontrollgremium und der Verwaltungsrat als oberstes finanzielles Kontrollgremium. Der Rundfunkrat der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland setzt sich überwiegend aus Vertreterinnen und Vertretern von gesellschaftlichen Interessengruppen zusammen.
Solche Rundfunkräte seien "nur mit Ehrenamtlichen besetzt" und "nicht unbedingt ausgewiesene Fachleute", sagte Stefan Niggemeier, einer der angesehensten Medienjournalisten Deutschlands, in einem Interview der ARD-"Tagesthemen". Die Art und Weise, wie sich Niggemeier, Gründer des Onlinemagazins "übermedien", da äußerte, wirkte wie ein Spagat. Einerseits sprach er von einem "immensen" Schaden für die ARD, andererseits wollte er ausdrücklich nicht von "strukturellen Problemen auch über den RBB hinaus" sprechen, als er danach gefragt wurde. Die Debatte über die jetzige Struktur der ARD läuft längst in Deutschland - und lief schon vor Enthüllung des Schlesinger-Skandals.
Was auffällt: Nicht erst seit dem Rückzug Schlesingers von ihren Ämtern, sondern bereits seit Wochen thematisiert der RBB in seinem üblichen Programm und sogar in Sondersendungen ausgesprochen kritisch das Agieren ihrer Spitzenkraft. Auf die Kritik, dass die Spitzengremien spät agierten, folgt nun jedenfalls kein peinliches Verschweigen. Und die Debatte um die Zukunft des ÖRR wird weitergehen.