Party - mal ganz leise
6. Oktober 2013Auf diesen Moment habe ich gewartet, er zaubert ein breites Grinsen auf mein Gesicht: Kurz nach Mitternacht legt der DJ einen Klassiker aus den 90ern auf und die inzwischen etwa 150 Gäste in der Bonner Fabrik45 sind endlich mutig genug - oder vielleicht auch alkoholisiert genug - und singen aus vollem Hals mit: "Everybody, yeah, rock your body, yeah…", grölt die Menge, die meisten können den Refrain des Boygroup-Klassikers auswendig. Weil alle die Musik nur über Kopfhörer hören, war der Raum bis dahin nur von Gesprächsfetzen erfüllt, dem Scharren und Stampfen der tanzenden Füße und vereinzelten "Uhuhhh"-Rufen.
Zwei DJs bespielen zwei Kanäle, die über Funk auf die Kopfhörer übertragen werden. Der Backstreet-Boys-Hit läuft auf Kanal A, der an diesem Abend von Christof Domrove alias DJ Drelland bespielt wird. Charts, Mainstream, Popmusik - dafür ist er zuständig. Auf der Empore neben ihm hat DJ Darius Darek sein Pult aufgebaut. Der gebürtige Pole, eigentlich heißt er Darius Roncoszek, ist Spezialist für Weltmusik. Er kümmert sich um Kanal B.
Über Schalter am Kopfhörer hat man die Kontrolle
Am Eingang verteilt Philipp Gondecki die Kopfhörer an alle Neuankömmlinge. Um halb elf bildet sich langsam eine Schlange. Die 20-jährige Ariane ist zum ersten Mal auf einer Silent Party. Die Auszubildende bezahlt die sechs Euro Eintritt und lauscht, als Gondecki einer Gruppe erklärt, wie die Technik funktioniert: "Die Kopfhörer zeichnen sich dadurch aus, dass du hier zwei Kanäle hast. Also, A und B, damit könnt ihr den DJ auswählen." Gondecki schiebt zur Demonstration die kleinen Schalter an der rechten Ohrmuschel hin und her. "Wenn die Batterien leer sind, kommt ihr hierher. Ich tausche die aus. Und hier ist die Laustärke." Arianes erster Eindruck: "Ein bisschen groß, ich muss die erstmal verstellen." Nach kurzem Suchen hat sie mit dem Finger den Lautstärkeregler gefunden. "Die Qualität ist ok", meint sie.
80 dB schaffen die Kopfhörer. Das Unternehmen, das sie verleiht, versichert, es sei die Höchstgrenze, die Mediziner empfehlen. Wem die übliche Diskolautstärke zu viel ist, freut sich über die Kontrollmöglichkeit. Die 38-jährige Halla, findet zwar die Kopfhörer in Ordnung, aber: "Der Bass im Bauch fehlt. Du fühlst die Musik nicht so wie in der Diskothek." Trotzdem ist sie mit ihrem Freund Peter zum zweiten Mal auf einer Silent Party. "Das ist eine ganz spezielle Party, einfach amüsant."
Das findet auch Navid: "Das macht Spaß, wenn zwei Leute unterschiedliche Kanäle hören und dann ein schnelles und ein langsames Lied kommt, aber keiner will wechseln." Weil die Muscheln die Ohren komplett umschließen, höre ich bei voller Lautstärke auch nur meine Musik - außer viele Leute beginnen dasselbe Lied mitzusingen. Spätestens dann blicke ich neugierig auf die Lippen und Bewegungen meiner Tanznachbarn: Eventuell wäre es ja besser, den Kanal zu wechseln, um keinen Lieblingshit zu verpassen. Zahlreiche Male schalte ich während des Abends um. Je länger die Party, desto schneller findet mein Finger den Schalter.
Gäste verhalten sich anders
Marie, 28, gefällt die Musikauswahl: "Es ist immer was dabei, worauf ich gerade Lust habe." Die Generation, die es gewohnt ist, auf mp3-Playern die "Next"-Taste zu bedienen, bis ein schöner Song läuft, fühlt sich auf dieser Party pudelwohl. Darius Roncoszek nutzt das, um Besuchern Musik aus aller Welt näher zu bringen. Die meisten Leute kämen wegen der Hits, aber ihm ist das alternative Angebot wichtig.
Obwohl weit weniger Besucher seinen Weltmusikkanal hören, kann er doch immer wieder Tänzer auf seine Seite ziehen. Ich höre plötzlich, wie immer mehr Gäste "I like to move, move it" singen und erkenne den 90er Dance-Hit von Reel2Real. Roncoszek mixt den Klassiker mit einem rasanten Polkarhythmus. Er nimmt ein Mikrofon in die Hand und während alles um mich herum tanzt, höre ich seine Stimme über den Kopfhörer: "Willkommen auf Kanal B!", ruft er in unsere Ohren. Die Antwort kommt prompt: Jubel.
Ungewöhnliche Party-Orte sorgen für neues Publikum
Schon in den 90ern sollen Diskos in England Kopfhörer-Partys veranstaltet haben. In den vergangenen Jahren ist das Konzept weltweit immer beliebter geworden. In Deutschland und der Schweiz gibt es zahlreiche Veranstalter die auf die leise Disko setzten. 100 Meter reicht die Funkstrecke, wenn keine großen Hindernisse im Weg sind. Die Location in Bonn ist eine private Kunstgalerie. Betreiberin Natascia Cuschié hat bis jetzt keine Beschwerden wegen Ruhestörung erhalten. Auch Partys im Freien sind beliebt, nur für Regen ist die Technik zu sensibel.
Gegen fünf Uhr ist Schluss: Von den etwa 250 Gästen, die über den Abend verteilt da waren, sind nur noch wenige übrig. Stundenlang haben sie ihre Kopfhörer jetzt auf- und abgesetzt, hin- und hergerückt. Zu Hause angekommen kehrt Ruhe in meinem Kopf ein und trotzdem: ein bisschen klingeln die Ohren doch. Das soll mich aber nicht davon abhalten, bald wieder eine Silent Party zu besuchen. Der nächste Termin steht schon fest. Dann heißt das Motto für Kanal A und B: Halloween vs. Día de los Muertos.