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PolitikJapan

Parlamentswahl in Japan: Rückfall in instabile Zeiten

Martin Fritz in Tokio
28. Oktober 2024

Nach ihrer schweren Wahlschlappe können Japans Premier Shigeru Ishiba und seine Liberaldemokratische Partei nur mit Hilfe von Parteien der Opposition weiterregieren.

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Japans Premierminister Shigeru Ishiba steht an einem Rednerpult und verbeugt sich vor LDP-Abgeordneten
Japans Premierminister Shigeru Ishiba verbeugt sich vor LDP-Abgeordneten am Montag, 28. Oktober, einen Tag nach der Wahl in Japan.Bild: Kim Kyung-Hoon/REUTERS

Zwölf Jahre lang war Japan eine Bastion der politischen Stabilität. Diese Phase haben die Wähler am Sonntag beendet. Die Koalition aus Liberaldemokratischer Partei (LDP) und Komeito verfehlte bei der Neuwahl des Unterhauses die angestrebte eigene Mehrheit. Die Regierungskoalition verlor ein Viertel ihrer Mandate und sicherte sich nur 215 Sitze, alle Oppositionsgruppen zusammen stellen nun 250 der 465 Abgeordneten.

Große Koalition ausgeschlossen

Die LDP blieb zwar mit einem Abstand von 51 Sitzen die stärkste Partei vor der oppositionellen Konstitutionell-Demokratischen Partei (CDP) unter der neuen Führung von Ex-Premier Yoshihiko Noda. Aber die Liberaldemokraten schafften es erstmals seit 2009 nicht, aus eigener Kraft eine Mehrheit zu erreichen. Premierminister Shigeru Ishiba, der erst seit Anfang Oktober im Amt ist, ist zum Weiterregieren nun auf kleinere Oppositionsparteien angewiesen. Eine große Koalition mit der LDP schloss CDP-Chef Noda aus. Zugleich ist die Opposition zu heterogen für ein eigenes Bündnis.

Nach über einem Jahrzehnt relativer politischer Ruhe in Japan, geprägt durch die lange Regierungszeit des später ermordeten Premiers Shinzo Abe, beginnt nun eine Ära mit instabilen Verhältnissen. "Das Wahlergebnis wird die internen Machtkämpfe und Rivalitäten innerhalb der LDP verschärfen und Fortschritte bei ökonomischen Reformen nahezu unmöglich machen", meinte der deutsche Japan-Beobachter Jesper Koll. Die Koalition aus LDP und Komeito verlor ihre Mehrheit zuletzt vor 15 Jahren, als die Demokratische Partei Japans (DPJ), ein Vorgänger der heutigen CDP, die Kontrolle über das Parlament übernahm.

Auf einem großen Tisch liegen viele Stimmzettel. Drumherum stehen viele Menschen, die die Stimmzettel auszählen
Auszählung der Stimmen bei der Parlamentswahl in JapanBild: Richard A. Brooks/AFP

Spendenskandal und steigende Inflation

Der Stimmeneinbruch der LDP spiegelt das Misstrauen der Wählerschaft in die Partei wider, die Japan seit fast 70 Jahren ununterbrochen regiert, nachdem ein System von schwarzen Kassen innerhalb der Parlamentsfraktion ans Licht gekommen war. Der Rücktritt von Premier Fumio Kishida und Strafen für die involvierten Abgeordneten konnten den Ärger der Bürger über den Finanzskandal nicht dämpfen. Zugleich hatte die Rückkehr der Inflation nach zwei Jahrzehnten stabiler Preise, ohne dass die Löhne entsprechend stiegen, große Unzufriedenheit mit der Regierungspartei erzeugt.

Am Tag nach der Wahl nannte Ishiba denn auch den Spendenskandal und die schwache Lohnentwicklung als Ursachen für die hohen Verluste. Die LDP müsse nun bescheiden sein, ihre Fehler reflektieren und innerparteiliche Reformen umsetzen. Er denke jedoch nicht daran, die Koalitionsregierung aus LDP und Komeito zu erweitern. Stattdessen wolle er versuchen, mit kleineren Parteien eine Einigung über einzelne Politikbereiche zu erzielen, sagte Ishiba.

Tolerierung durch Oppositionsparteien

In der Konsequenz steht Japan also vor einer Minderheitsregierung, die von kleineren Parteien toleriert wird. Dafür kommen die Japan Innovation Party (Ishin no Kai) aus der Region Osaka mit 38 Sitzen und die Demokratische Partei für das Volk (DPFP) in Frage. Letztere konnte die Zahl ihrer Sitze auf 28 vervierfachen. Beide Parteien schlossen zwar noch am Wahlabend die Möglichkeit aus, einer von der LDP geführten Koalition beizutreten. Aber gegen Zugeständnisse, etwa bei ihrer Forderung nach der Senkung der Verbrauchssteuer für Lebensmittel, dürften sie bereit sein, Ishiba zu stützen. Für die Regierungsbildung hat Ishiba 30 Tage Zeit. "Ishiba und der LDP stehen harte Zeiten bevor", kommentierte der Analyst Rintaro Nishimura vom Berater Asia Group. "Je mehr Parteien beteiligt sind, desto mehr Forderungen, Verhandlungen und Kompromisse müssen eingegangen werden."

Eigentlich sollte Ishiba als neuer Regierungs- und Parteichef die Wende für die LDP bringen. Mit Hilfe seiner großen Beliebtheit als Politiker sollte er die LDP aus dem Sumpf von historisch schlechten Umfragewerten ziehen. Doch Ishiba löste entgegen seinem vorigen Versprechen und ungeachtet wenig ermutigender Umfragen das Parlament auf und setzte Neuwahlen an. Zugleich zog er eigene progressive Vorhaben zurück, etwa die freie Namenswahl für Ehepaare, und enttäuschte damit die Erwartungen auf eine neue, weniger konservative LDP. Laut den ersten Wahlanalysen waren diesmal ältere LDP-Anhänger verstärkt zuhause geblieben. Die Wahlbeteiligung lag laut einer Schätzung der Zeitung Nikkei bei niedrigen 53 Prozent – ein Indiz dafür, dass die Wähler eher die LDP abstrafen wollten, als die Opposition an die Regierung zu bringen.