Deutschlands Rolle in Vietnam nach Abzug der USA
27. Januar 2023Nord und Süd, Ost und West - die vier Himmelsrichtungen symbolisieren in besonderer Weise die Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen. Vietnam war seit 1954 in einen kommunistischen Norden und den von den USA unterstützten Süden geteilt. Die deutsch-deutsche Grenze wiederum verlief seit 1949 zwischen dem kapitalistischen West- und dem kommunistischen Ostdeutschland.
"Brüder und Schwestern waren durch die räumliche Trennung zu Klassenfeinden geworden, während Fremde zu Verbündeten wurden", so der Historiker Andreas Margara in seinem gerade erschienenen Buch "Geteiltes Land, geteiltes Leid", das die Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen aufarbeitet.
Beide Länder waren Frontstaaten in diesem Krieg, der in Vietnam freilich ein heißer war. Von 1955 bis 1975 fielen Napalm und Millionen Tonnen Bomben auf das Land. Insgesamt kamen 1,3 Millionen Menschen ums Leben.
Das Leid der Vietnamesen ließ die Bevölkerung in beiden Teilen Deutschlands nicht kalt. Tatkräftig unterstützten beide Teile ihren jeweiligen ideologischen Partner, naturgemäß aus anderen Gründen und mit anderen Motiven.
Humanitäres Engagement der Bundesrepublik
"Die Indochinapolitik der Bundesregierung folgte keiner selbständigen außenpolitischen Konzeption, sondern lehnte sich vorbehaltlos an die Politik ihrer US-amerikanischen Garantiemacht an", so Margara in seinem Buch. Die Solidarität hatte jedoch Grenzen: Als US-Verteidigungsminister McNamara 1965 erklärte: "Berlin wird am Mekong verteidigt" und US-Präsident Johnson Bundeswehrsoldaten für Vietnam forderte, sah sich Bundeskanzler Ludwig Erhard genötigt, mehr als nur Kredite für Südvietnam bereitzustellen. Seine gesichtswahrende Losung lautete: "Medizin statt Munition".
Besonders bekannt wurde das Hospitalschiff "Helgoland", das insgesamt sechs Jahre in den südvietnamesischen Städten Saigon und Danang im Hafen lag und etwa 170.000 vietnamesische Zivilisten behandelte. Aber es gab auch andere weniger bekannte Initiativen, wie etwa die Einrichtung einer medizinischen Fakultät in der zentralvietnamesischen Stadt Hue durch die Freiburger Universität, das katholische Missionskrankenhaus in Kon Tum oder die Malteser-Stützpunkte in An Hoa, Hoi An und Danang, die alle in südvietnamesischem Gebiet lagen.
Die von der Bundesregierung geförderte humanitäre Hilfe erfuhr durch die Studentenbewegung der 1968er Jahre größtenteils Ablehnung. Die Demonstranten skandierten: "Keine Mark und keinen Mann für den Krieg in Vi-et-nam!" Der Vietnamkrieg wurde dabei mit den Verbrechen der Nationalsozialisten in Zusammenhang gebracht. Die junge Generation grenzte sich so von der älteren - darunter Täter und Mitläufer der Nazidiktatur - ab. Der Vietnamkrieg war, so Margara, ein "Katalysator" für die gesellschaftlichen Umbrüche in der Bundesrepublik der 1960er Jahre und für die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Engagement der DDR für den "sozialistischen Bruderstaat"
Für die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war der Vietnamkrieg eine Gelegenheit, ein eigenes außenpolitisches Profil innerhalb des von der Sowjetunion dominierten Ostblocks zu gewinnen und den "imperialistischen Aggressor" (die USA) zu attackieren. Die DDR verglich sich als das kleinere der beiden Deutschlands mit Nordvietnam, das in einem David-gegen-Goliath-Szenario gegen den übermächtigen Aggressor USA aufstand.
Die offiziellen Losungen lauteten: "Solidarität mit Vietnam!" Und: "Solidarität hilft siegen!" Wie in der Bundesrepublik vermischten sich Staatsinteressen mit der aufrichtigen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, und zwar so, dass sich im Nachhinein beides nicht immer scharf trennen lässt. Margara schreibt dazu: "Die Hilfe für Vietnam war sowohl Staatsdoktrin und Herzensangelegenheit der DDR-Bevölkerung gleichzeitig."
Das Engagement der DDR war sehr umfangreich: Finanzielle Aufbauhilfen, medizinische und humanitäre Hilfe, Schul- sowie Fachausbildung und Studium für nordvietnamesische Kader. Erfolg hatten auch große Solidaritätsaktionen, wie etwa 1968 die Aktion "Blut für Vietnam", bei der allein 50.000 Gewerkschafter Blut spendeten.
Neben der humanitär ausgerichteten Hilfe gab es Unterstützung für die vietnamesische Propaganda. Besonders bekannt wurde die Interviewreihe "Piloten im Pyjama" von 1967. US-Bomberpiloten in Kriegsgefangenschaft wurden darin als willfährige Helfer der imperialistischen Kriegsmaschinerie vorgeführt. Pyjama deswegen, weil die Piloten in Gefangenschaft pyjamaartige Kleidung trugen.
Aber die DDR leistete auch handfestere Hilfe, etwa bei der Ausbildung des nordvietnamesischen Geheimdienstes durch die DDR Staatssicherheit (Stasi). Und seit 1967 habe der DDR-Haushalt einen jährlichen Posten für militärische Lieferungen nach Nordvietnam enthalten, schreibt Margara.
Wendepunkt Pariser Abkommen 1973
Das Pariser Abkommen von 1973 besiegelte den Abzug der USA aus Vietnam, allerdings nicht das Ende des Krieges, der noch bis 1975 andauerte und mit dem Sieg des Nordens über den Süden endete. Doch die Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen fand damit keineswegs ihr Ende.
In der DDR stellten vietnamesische Vertragsarbeiter nach Ende des Vietnamkrieges die propagierte internationale Solidarität des "Arbeiter- und Bauernstaats" bald auf die Probe. Von den Vertragsarbeitern erhoffte sich die DDR wirtschaftlichen Aufschwung, während das kriegsgebeutelte Vietnam weniger Arbeitsplätze schaffen musste. Doch es kam bald zu Konflikten. Die Arbeiter der DDR sahen in den Vietnamesen oft Konkurrenten.
In Westdeutschland waren es vor allem die als "Boat People" bekannt gewordenen Flüchtlinge, die Schlagzeilen machten. Boat People bezeichnete Vietnamesen, die nach dem Ende des Krieges vor der Repression der Kommunisten und der Armut über das Südchinesische Meer flohen. Private Initiativen wie das Schiff Cap Anamur retteten Zehntausende der Boat People, die dann in der Bundesrepublik eine neue Heimat fanden.
Margara sagt im Gespräch mit der DW: "In Vietnam hat die DDR nach wie vor einen guten Ruf, von dem auch das wiedervereinigte Deutschland profitiert. Auf der anderen Seite imponiert den Vietnamesen aber auch die Wirtschaftskraft, die vor allem in Westdeutschland ihre Basis hat." Weniger gut gefällt dem vietnamesischen Einparteienstaat allerdings, dass vietnamesische Dissidenten im wiedervereinigten demokratischen Deutschland frei Kritik an den Zuständen in der Heimat üben dürfen.
Das Buch, das die Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen ausführlich darstellt, ist im Online- und Buchhandel erhältlich. Andreas Margara: Geteiltes Land, geteiltes Leid. Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen von 1945 bis zur Gegenwart. Regiospectra Verlag: Berlin 2022. 29,90 Euro.