Paris tritt auf die Bremse
30. August 2021Taxifahrer sind sauer, Radfahrer jubeln: Die sozialistische Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat ihr Wahlversprechen eingelöst. Seit diesem Montag gilt auf den meisten Straßen der französischen Hauptstadt Tempo 30. Nur auf der Ringautobahn, dem Boulevard périphérique, der die 20 Arrondissements und damit das eigentliche Stadtgebiet umschließt, darf weiter mit 70 Kilometer pro Stunde gefahren werden. Auf größeren Achsen wie den weltberühmten Champs-Élysées sind 50 Kilometer pro Stunde erlaubt.
Entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil waren die Aussichten auch vorher schon günstig, eine Fahrradfahrt durch Paris ohne Blessuren zu überstehen: Rund 60 Prozent der Innenstadt galten bereits als Tempo-30-Zonen. Die umweltfreundliche Fortbewegung gewinnt nun noch einmal an Attraktivität. Während der Corona-Pandemie eingerichtete provisorische Radwege werden in dauerhafte Spuren für "Vélibs" - die beliebten graugrünen Mietmodelle - und andere Fahrräder umgewandelt.
Er wolle die Hauptstadt "für die Schwächsten sichern", hatte der stellvertretende Bürgermeister David Belliard von den Grünen bei der Vorstellung der Pläne im Juli gesagt. Außer den Verkehrsteilnehmern auf zwei Rädern sind das vor allem die Fußgänger, insbesondere Kinder und Senioren.
Pendler aus dem Umland sind von der Verkehrswende an der Seine allerdings wenig begeistert - ebenso wie gewerbliche Autofahrer, also Taxifahrer oder Lieferanten. Denn neben längeren Fahrzeiten wird es auch schwieriger, den Wagen am Ziel abzustellen: Viele Parkplätze sind inzwischen weggefallen.
Ausgerechnet die Metropole, die sich sonst so gerne als Trendsetter sieht, fuhr in Sachen Tempo 30 anderen hinterher: Städte wie Grenoble in den Alpen, Nantes im Westen und Lille im Norden waren Vorreiter bei der flächendeckenden Verkehrsberuhigung. Aktionen wie "Paris respire" - übersetzt: Paris atmet (auf) - bei denen ganze Straßenzüge am Sonntag für motorisierte Gefährte gesperrt wurden, hatten aber schon vor Jahren gezeigt, wie sich das Savoir-vivre anfühlt, wenn Autofahrer einen Gang herunterschalten und die Gäste im Straßencafé auf einmal wieder ihr eigenes Wort verstehen.
Vor einer Prachtkulisse, die in weiten Teilen noch so aussieht wie zu Zeiten der Pferdekutsche, nähert sich zumindest die Geschwindigkeit der oberirdischen Fortbewegung deren Tempo jetzt wieder an, während die Métro - dem gedankenschweren Blick des Flaneurs entzogen - ungehemmt durch die Röhren des Pariser Untergrunds braust.
Für "40 millions d'automobilistes", den Interessenverband der Autofahrer, ist dieses öffentliche Verkehrsmittel selbstredend keine Alternative - und Tempo 30 eine miserable Idee, auch wenn das Rathaus verspricht, es werde ein Viertel weniger Unfälle geben und 50 Prozent weniger Lärm, von der Abgasminderung ganz zu schweigen. Innerhalb von Paris komme es ohnehin kaum zu Unfällen, nörgelt der Verband genervt. Und wenn, dann seien meistens Radfahrer betroffen.
jj/uh (dpa, afp)