Paris - einen Monat nach Charlie Hebdo
6. Februar 2015Die Blumensträuße am Place de la Republic sind längst verwelkt, und viele der Graffitis, die den Slogan "Je suis Charlie" in der ganzen Stadt verkünden, sind bereits übersprüht. Touristen bestaunen die Kathedrale Notre Dame und Kinder wirbeln über die Skate-Bahn vor dem Rathaus. Einen Monat nach den Attentaten auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt, ist ein Hauch von Normalität nach Paris zurückgekehrt.
Doch die Soldaten, die mit Maschinengewehren bewaffnet durch die Straßen von Paris patrouillieren, rütteln die Erinnerung wach an die traumatischen Ereignisse vor einem Monat. Von Zeit zu Zeit laufen Berichte über Verhaftungen durch die Medien. Am Dienstag (03.02.2015) wurden acht Männer festgenommen, die Kämpfer für den Dschihad rekrutiert haben sollen. Am selben Tag attackierte ein Mann in Nizza drei Soldaten, die ein jüdisches Gemeindezentrum bewachten. Die Profile der Verdächtigen ähneln den drei Attentätern, die zwischen dem 7. und dem 9. Januar 2015 in Paris und dem 40 Kilometer entfernten Dammartin-en-Goële 17 Menschen töteten.
"Wir haben nicht mit solch einem Angriff nict gerechnet. Zumindest ich war überrascht", sagt die Studentin Elisabeth. "Mit den Soldaten fühle ich mich schon etwas sicherer, aber ich glaube nicht, dass das reicht."
Die Angst bleibt
Vor dem Eingang von Notre Dame trotzen Touristen der eisigen Kälte, um auf Einlass zu warten. Einen Buchungseinbruch habe es nach den Attacken nicht gegeben, sagen Reiseveranstalter. Doch das Unbehagen können den Besuchern auch die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen nicht nehmen: "Ein bisschen Angst haben wir schon", sagt Alicia Casale, die mit ihrer Mutter Janna aus Italien gekommen ist. "Aber Paris ist einfach zu schön, um nicht zu kommen."
Auf dem zentral gelegenen Place de la Republik, auf dem nach den Attentaten Tausende Menschen friedlich ihre Solidarität mit den Opfern demonstrierten, hat sich Madeleine Favre einer Handvoll Passanten angeschlossen, die sich die verwelkten Blumen und verblassenden Botschaften an die Terroropfer ansehen. "Natürlich, so etwas kann überall geschehen", sagt die gebürtige Pariserin, die auf Stippvisite aus Kanada gekommen ist, wo sie inzwischen lebt. Mit Blick auf das Attentat vor dem kanadischen Parlament in Ottawa im Oktober 2014 fügt sie hinzu: "Es ist einfach nur Terrorismus, das hat nichts mit dem Islam zu tun. Aber damit müssen wir nun leben."
Josefa Suárez widerspricht: "Wir werden überfallen, wir werden attackiert. Die Menschen haben keine Bildung, sie lassen ihren Kindern alles durchgehen", sagt die Spanierin Suarez, die seit 50 Jahren in Paris lebt. Sie meint die muslimischen Immigranten in Frankreich, zu denen auch die aus Afrika stammenden Terroristen gehörten. "Die Regierung muss ihre Geburtenrate senken und sie bilden."
Jahre der Gewalt
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Franzosen bedroht fühlen. Während des algerischen Bürgerkriegs in den 90er Jahren, verübte die Groupe Islamique Armé mehrere Attentate im Land der ehemaligen Kolonialmacht. Mehrere Bombenanschläge auf Pariser Metro- und Regionalzüge töteten damals acht Menschen und verletzte 200 weitere. Ein Jahrzehnt später brachen Unruhen im sozialschwachen Milieu der Paris Vororte aus, in denen Behörden Brutstätten des Extremismus sehen.
Wie 2005 hat die Regierung auch nun eine Reihe von Maßnahmen angekündigt: Angefangen mit 10.000 Soldaten, die im ganzen Land besonders gefährdete Orte schützen sollen, bis hin zu Initiativen, um säkulare und republikanische Werte in der Schule zu vermitteln.
"Ich bin finde es richtig, auf Erziehung und Schulbildung abzuzielen, um Toleranz und Respekt gegenüber anderen zu lehren", sagt Sylvie, die an einer weiterführenden Schule in einem Pariser Vorort unterrichtet. "Allerdings", fügt sie mit Verweis auf extremistische Botschaften im Internet hinzu, "müssen wir den Kindern auch beibringen, wie sie mit all den Informationen umgehen, die sie erreichen."
Unsichere Zeiten
Trotz aller Beschwichtigung seitens der Regierung hätten die Attentate nur bestätigt, dass Frankreich kein sicherer Platz zum Leben mehr ist, findet der Jude Herve Atlan. 2014 wanderten 7.000 französische Juden nach Israel aus - so viele wie noch nie. Einer der Gründe war Antisemitismus.
"Die Regierung erklärt großartig, dass Frankreich ohne Juden nicht Frankreich sei. Aber sie tut nichts", sagt Atlan, der nahe dem Koscher-Supermarkt lebt, in dem der Attentäter Amedy Coulibaly vier Menschen tötete, bevor ihn die Polizei erschoss. "Wir sprechen alle über das Auswandern, aber wir sind eben auch mit dem Land verbunden."
Für den Anästhesisten Alain Soucot könnten die Anschläge vor einem Monat tatsächlich den Wendepunkt bedeuten: "Um ehrlich zu sein, denke ich ernsthaft darüber nach, nach Israel auszuwandern. Mein Sohn ist schon im September umgezogen, und was passiert ist, hat uns gezeigt, dass wir bereit sein müssen, zu gehen."
Doch nicht nur Juden sind besorgt. Auch Abdel Fatah, ein LKW-Fahrer mit dem Bart eines gläubigen Moslems, fühlt sich bedroht: "Islamophobie ist ein Problem. Man muss nur beobachten, wie sie uns ansehen."
Charlie muss weitergehen
"Paris ist Charlie" und "Charlie Hebdo - Ehrenbürger von Paris" verkünden riesige Banner an der Fassade des Rathauses nahe dem Seine-Ufer - eine Hommage an die neun erschossenen Mitarbeiter des streitbaren Wochenmagazins.
Eine Woche nach der Tat veröffentlichte die Redaktion einen provokante "Überlebenden-Ausgabe" - mit dem Prophet Mohammed auf dem Cover. Wegen ähnlicher Karikaturen hatten die Brüder Cherif und Said Kouachi die Zeichner erschossen. Die Gesamtauflage der Ausgabe umfasste sieben Millionen Exemplare. Die Abonnentenzahl stieg seither von 10.000 auf 200.000.
Nach einigen Wochen Auszeit soll nun die nächste Ausgabe am 25. Februar erscheinen - wahrscheinlich ohne Mohammed-Karikatur. "Es ist wichtig, dass wir Charlie Hebdo wissen lassen, dass sie ihre Mission fortsetzen müssen: uns informieren, uns zum Lachen bringen, zu entweihen, zu entmystifizieren", sagt Alain Veaux, der eine Überlebenden-Ausgabe dabei hat. "Ich bin nicht immer einverstanden mit dem, was Charlie Hebdo macht, aber ich glaube, im Moment braucht das Magazin die Unterstützung von uns allen."