Papst, Popstar, Politiker
5. Juli 2015"Es wird viele Überraschungen geben", kündigte Guzmán Carriquiry, stellvertretender Vorsitzender der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika, in der ecuadorianischen Zeitung "La Hora" an. Der Papst habe für seinen Besuch bewusst drei Länder Lateinamerikas gewählt, die nicht zu den großen des Kontinents gehörten.
"Vor 30 Jahren war die Masse der Bevölkerung in Bolivien, Ecuador und Paraguay arm. Mittlerweile haben sich viele Indigene und Landarbeiter aus dem Elend befreit, sie sind zu einer Schicht von neuen Bürgern aufgestiegen", erklärt Guzmán Carriquiry, der den Papst begleitet. "Mit ihnen will der Papst reden".
Gesprächsbedarf gibt es genug. In Ecuadors Hauptstadt Quito, wo der Papst am Sonntagabend eintrifft, protestieren seit Wochen Oppositionelle gegen Präsident Rafael Correa. In Bolivien war das Verhältnis zwischen Regierung und Kirche lange angespannt. Und in Paraguay erschütterten die ungewollte Schwangerschaft eines zehnjährigen Mädchens nach einer Vergewaltigung und die sich anschließende Debatte über Abtreibung die Öffentlichkeit.
Friedenspause für den Papst
Sowohl Politiker als auch die Millionen von Gläubigen hoffen auf ein diplomatisches und geistiges Wunder aus dem Vatikan. Es besteht Anlass zur Hoffnung: In Ecuador hat sich Präsident Correa bereiterklärt, eine geplante Steuererhöhung vorübergehend zurückzunehmen. Mittlerweile sagte er seine Teilnahme am Gottesdienst am 7. Juli in Quito zu, die wegen seiner Angst vor den Massenprotesten zeitweise als unsicher galt.
Auch in Bolivien kündigte Präsident Evo Morales an, während des Besuches von Franziskus sämtliche Konflikte, inklusive den mit der katholischen Kirche selbst, auf Eis zu legen. In La Paz geht am 8. Juli für den ehemaligen Gewerkschafter der Kokabauern ein Traum in Erfüllung: Franziskus wird vor laufenden Kameras bolivianische Kokablätter probieren.
20.000 kleine Taschen und reichlich Tee mit Kokablättern werden auf dem Weg vom Flughafen in La Paz bis zur Kathedrale im Zentrum angeboten. Eine bessere Werbung als den päpstlichen Segen für dieses bolivianische Naturprodukt, das seit 2013 von der UN als kulturelles Erbe anerkannt ist, wird es wohl nie wieder geben.
"Kann man sich jemand vorstellen, dass dieser Papst unpolitisch sein wird?“, fragt Reiner Wilhelm vom bischöflichen Hilfswerk Adveniat. Franziskus werde es sich nicht nehmen lassen, mit Menschen zu sprechen, die sich von ihrer jeweiligen Regierung im Stich gelassen fühlten, prophezeit er.
Tabuthema Abtreibung
In Paraguay könnte es ein Treffen mit den Angehörigen der Opfer der Brandkatastrophe aus dem Jahr 2009 geben. Damals waren in einem Einkaufszentrum in Asunción über 400 Menschen ums Leben gekommen. Das Gebäude brannte damals, aber die Verantwortlichen verschlossen den Fliehenden die Türen, weil sie fürchteten, die Menschen könnten Ware plündern oder das Zentrum verlassen, ohne ihre Rechnungen zu bezahlen.
Auch der Fall eins zehnjährigen Mädchens, das nach mehrfacher Vergewaltigung schwanger wurde und sich mittlerweile im siebten Monat befindet, dürfte unangenehme Fragen aufwerfen. Menschenrechtsorganisationen machen gegen den Missbrauch von Minderjährigen im Land mobil und rütteln damit in dem streng katholischen Land an einem Tabu.
Papstkenner und Kolumnist Juan Arias hält es für möglich, dass Franziskus sogar das Thema Abtreibung ansprechen könnte. "Der Papst hat kürzlich im Gespräch mit Gläubigen auf dem Petersplatz gesagt, dass Priester mit dem Schmerz der Frauen, die sich dazu entschössen, eine Schwangerschaft abzubrechen, Erbarmen haben sollten", schreibt er in "El Pais".
Mutter Gottes für die Armen
Zum Abschlussgottesdienst am 12. Juli in Paraguay werden Millionen von Gläubigen strömen, darunter auch viele aus dem Nachbarland Argentinien, die "ihren Papst", den in Buenos Aires Geborenen, sehen wollen.
Viele Pilger, die aus Argentinien kommen, stammen jedoch aus Paraguay. Sie sind als Arbeitsmigranten ins Nachbarland gezogen. Mehr als 550.000 Paraguayer leben in Argentinien, die meisten von ihnen in den Armenvierteln der Großstädte. Um ihnen ein Geschenk zu machen, brachte Franziskus vor 18 Jahren den Bewohnern des Viertels Villa 21 am Stadtrand von Buenos Aires eine Statue der Mutter Gottes von Caacupé mit, der Nationalheiligen von Paraguay.
Die Wünsche und Stoßgebete an die Nationalheilige Paraguays sind nicht nur fromm, sondern auch politisch, wie die ganze Reise des Papstes. "Im Hintergrund steckt natürlich die große Frage, wofür diese Mutter Gottes steht“, meint Reiner Wilhelm von Adveniat, und gibt auch gleich die Antwort: "Sie steht für ein geschundenes Volk, das von seinen Nachbarn immer ausgenutzt wurde."