1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Pandemie: Zum Impfen nach Polen

Agnieszka Hreczuk
11. Mai 2021

Viele Polen in Deutschland reisen derzeit in ihre Heimat, um sich impfen zu lassen. Dort bekommen sie den Corona-Schutz schneller und unbürokratischer. Drei polnische Frauen aus Berlin berichten.

https://p.dw.com/p/3tGJs
Impftourismus nach Polen - Halle
Impfen für alle in Polen: Die Sporthalle von Krosno OdrzanskieBild: Privat

Es ist windig und regnerisch an diesem Tag in Berlin. Kein gutes Wetter für eine Reise. Aber man suche sich das Datum nicht aus, sagt Kamila. Vor allem, wenn man auf diesen Termin sehnsüchtig gewartet habe.

Dienstag, vergangene Woche. Am Morgen war Kamila mit Magda und Marta ins Auto gestiegen und losgefahren. Nach Krosno Odrzańskie im polnischen Teil des Lebuser Landes, 150 Kilometer südöstlich von Berlin.

Die alte Stadt hat ein schönes Schloss, aber nicht das war ihr Ziel. In die Navigation tippten sie "Sporthalle" ein. Es gibt nur eine in Krosno. Und in dieser Halle befindet sich seit kurzem ein Impfzentrum. Dorthin fuhren die drei Freundinnen. Sie wurden an jenem Dienstag (04.05.2021) gegen Corona geimpft.

Schnell und ohne Warteschlange

Am Abend desselben Tages spreche ich mit Kamila und Magda in Berlin, kurz nachdem sie aus Polen zurückgekehrt sind. "Geimpft", freut sich Kamila. Sie ist ein bisschen müde, aber vor allem aufgeregt. Die 40-jährige Politikwissenschaftlerin und Universitätsdozentin kann kaum glauben, dass es so einfach war.

Impftourismus nach Polen_Kamila
Kamila ist aus Berlin zum Impfen nach Polen gefahrenBild: Privat

Sie erzählt, wie der Termin für die drei Freundinnen ablief: Ein Soldat habe sie eingelassen, sie hätten ihre Ausweise vorzeigen und eine Erklärung unterschreiben müssen, dann seien sie zum Impfstand gegangen. Eine Warteschlange habe es nicht gegeben, alles sei ganz schnell verlaufen. Fünfzehn Minuten Warte- und Kontrollzeit nach der Impfung wegen möglicher Nebenwirkungen - dann hätten sie wieder abfahren dürfen, berichtet Kamila.

Kamila, Magda und Marta sind keine Ausnahme. Hunderte von Polen aus Berlin, Brandenburg und anderen Bundesländern reisen derzeit in ihre Heimat, um sich impfen zu lassen. Meistens sind sie auf der Suche nach Impfzentren in Grenzstädten: Szczecin, Słubice, Gorzów, Kostrzyn oder Gubin. Termine bekommen sie in der Regel innerhalb einer Woche, den Termin für den in Polen unbeliebten Impfstoff AstraZeneca sogar noch am selben Tag. Einzige Voraussetzung: Sie müssen PESEL vorweisen, ihre polnische Sozialversicherungs- und Identifikationsnummer.

"In Berlin unvorstellbar"

Kamila lebt seit fast zehn Jahren in Berlin, sie ist hier mit einem deutschen Mann verheiratet. Sie sagt, sie habe eigentlich nicht geglaubt, dass sie noch vor den Ferien eine Impfung bekommen würde. Denn sie passt in keine der Prioritätsgruppen. Eine deutsche Impfeinladung hatte sie nicht bekommen, sie stand nur auf der Reserveliste bei ihrem Hausarzt, zusammen mit ihrem Mann.

Doch kürzlich stieß sie auf eine Diskussion in einer Facebook-Gruppe polnischer Einwanderer in Deutschland. Leute schrieben, dass sie zum Impfen in die alte Heimat fahren würden. "Ich habe gefragt, ob das erlaubt ist, obwohl ich nicht mehr in Polen wohne", erzählt Kamila. "Eine Freundin, Magda, antwortete mir, sie habe schon einen Termin. Also rief ich am nächsten Tag bei der polnischen Info-Hotline an und bat um einen Termin für denselben Tag, an dem Magda geimpft werden würde. Ich bekam ihn sofort. Das wäre in Berlin unvorstellbar gewesen."

Unterschiedliche Impfstrategien

Eigentlich ist der Anteil der Erst- und vollständig Geimpften in Polen und Deutschland sehr ähnlich. Doch die Impfpraxis in beiden Ländern unterscheidet sich stark. Während in Deutschland die starre Einteilung in Prioritätsgruppen erst im Juni abgeschafft werden soll, wurde sie in Polen bereits Anfang April aufgegeben. Nach der Registrierung der Gruppe Null (Mediziner, Senioren über 60 und Lehrer) wurde in Polen mit der allgemeinen Impfung begonnen.

Impftourismus nach Polen Eingang
In Polen kann man sich ohne Schlangen schnell impfen lassenBild: Privat

Möglichst schnell sollen alle Impfwilligen die Chance bekommen - doch diese Zahl ist mit rund 60 Prozent niedriger als in Deutschland. Eine Untersuchung des Verhaltensökonomen Michał Krawczyk von der Uni Warschau zeigt sogar, dass die Zahl in den Altersgruppen unter 40 noch niedriger ist. Weil die Nachfrage nach Impfungen relativ gering ist, bleiben viele Dosen übrig. Wer sich impfen lassen will, muss deshalb nicht lange warten. Seit dem 10. Mai kann sich jeder erwachsene Pole impfen lassen.

In Deutschland jedoch dauert es lange bis zu einer Impfung. Für viele in Deutschland lebende Polen zu lange.

Zügig und unbürokratisch

Eine Reise zum Impfen nach Polen dauere oft nicht viel länger, als zu einem Impfzentrum in Deutschland zu fahren, darin sind sich Kamila, Magda und Marta einig. Im Vergleich zu den Zentren in Berlin: leer. Sehr wenig Personal. Und es geht zügig und beinahe unbürokratisch.

Ihre deutschen Familien können die Deutsch-Polinnen nur beneiden: ihre Ehemänner haben noch keinen Termin bekommen. "Das deutsche System der Prioritätsgruppen ist in diesem Fall zu starr", meint Kamila. "Das polnische ist flexibler. Sie haben die Impfstoffe, also impfen sie jeden, der es will." Natürlich müsse man die am meisten gefährdeten Gruppen schützen, meint Kamila, aber wenn es weniger Impfwillige als Vakzine gäbe, solle man auch Menschen aus anderen Gruppen zulassen. Nein, sagt Kamila und schüttelt den Kopf, sie habe keine Gewissensbisse. "Schließlich nehme ich niemandem den Impfstoff weg."

"Wie Weihnachten"

Auch Magda hat keine Schuldgefühle. "Schließlich geht es darum, so viele Menschen wie möglich zu impfen, um zur Normalität zurückzukehren." Hätte sie in Berlin gewartet, sagt sie, hätte sie nicht gewusst, wann für sie die Normalität halbwegs zurückgekehrt wäre. "Bestimmt nicht vor dem Sommer." Als sie die Impfung bekommen habe, sei es ein Gefühl wie Weihnachten gewesen, lacht Magda.

Zur zweiten Impfung fahren die drei Freundinnen nun Anfang Juni wieder nach Krosno - und wieder zusammen. Viel früher, als wenn sie in Deutschland auf einen Termin hätten warten müssen.