Oya Baydar über die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei.
14. November 2014Oya Baydar nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um ihre Meinung über die Türkei geht. Mit unerschrockenen Worten spricht sie aus, was andere nur denken. "Lieber Herr Erdoğan", schrieb sie im Sommer 2013 während der Proteste um den Istanbuler Gezi-Park in einem vom PEN-Club veröffentlichten offenen Brief an den damaligen Ministerpräsidenten, "mit Ihrem arroganten, zornigen Charakter und ihrer Unfähigkeit, Sturheit von Konsequenz zu unterscheiden, bringen Sie nicht nur sich selbst, sondern das ganze Land in Gefahr." In ihrer Kolumne in der unabhängigen Onlinezeitung T24 kritisierte sie kürzlich die Kurdenpolitik der AKP-Regierung. Deren passive Haltung gegenüber den Kurden der syrischen Stadt Kobane zeige die Unaufrichtigkeit der Regierung, die versuche, "ihre Lösung des Kurdenproblems dem kurdischen Volk wie Opium zu verabreichen."
Hoffnungen enttäuscht
Dabei hatte Oya Baydar, wie viele andere Intellektuelle auch, trotz aller Skepsis gegenüber der AKP, gehofft, dass die Regierung die Demokratisierung vorantreiben würde. Heute ist sie von deren Politik enttäuscht. "Es stimmt zwar, dass es mit der Meinungsfreiheit seit 2000 etwas besser geworden ist", sagte sie gegenüber der DW, "doch heute erleben wir eine indirekte, hinterlistige Unterdrückung, die jeder rechtlichen Grundlage entbehrt. Es ist so gut wie unmöglich, etwas öffentlich zu sagen oder zu schreiben, was der AKP-Regierung missfällt. Das betrifft vor allem die Presse und Fernsehkommentatoren."
Gemeinsam mit anderen international renommierten Autoren unterzeichnete sie im März 2014 den an die türkische Regierung gerichteten Aufruf des PEN-Clubs, die Meinungsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht anzuerkennen und eine Atmosphäre zu schaffen, in der niemand Angst haben muss vor Zensur und Bestrafung.
Türkei auf Platz 143 der Pressefreiheit
Zurzeit steht die Türkei in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 143 von 180 Staaten. Gründe dafür sind: Zensur und Selbstzensur, das Verbot von sozialen Medien wie Twitter und Youtube und die dehnbare Auslegung von Paragraphen des Strafgesetzes. "Bis in die 1990er Jahre hinein gab es keinen Schriftsteller oder Journalisten, mich eingeschlossen, dem nicht entweder ein Gerichtsverfahren drohte, der verurteilt wurde oder im Gefängnis saß", so Baydar. Auch wenn sich die Situation verbessert habe und über einstige Tabutthemen wie Armenier oder Kurden geredet werden könne, genössen noch längst nicht alle diese vorsichtige Freiheit. "Bis zum Jahr 2000 wurden vor allem Autoren aus dem linken und islamischen Lager unterdrückt. Heute sind es kurdische Schriftsteller und Journalisten. Von den 33 in der Türkei inhaftierten Journalisten, sind die meisten Kurden." Außerdem, sagt Baydar, werden Autoren, die über illegale Organisationen innerhalb des Staats schreiben, von faschistischen Rechten bedroht. Ihr Mann, der Journalist Aydın Engin, ist einer von ihnen.
Baydar begründete die Arbeiterpartei in der Türkei mit
Kritisch und unangepasst war Oya Baydar schon immer. 1940 in Istanbul geboren, besucht sie die französische Schule, schreibt mit 17 ihren ersten Roman, studiert Soziologie und Philosophie, ist politisch aktiv und arbeitet als Lektorin und Journalistin. Als eine der Stimmen des pro-sowjetischen linken Flügels ist die 1961 Mitbegründerin der Arbeiterpartei der Türkei. Zum Schreiben bleibt in diesen Jahren keine Zeit. Part-time Revolutionäre, betont sie in Interviews gerne, gebe es in der Türkei nicht. Ihre Doktorarbeit über die Arbeiterbewegung wurde aus politischen Gründen zwei Mal abgewiesen, daran änderte auch die Besetzung des Dekanats durch solidarische Kommilitonen nichts. Nach dem Militärputsch 1980 verurteilt sie die Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer Artikel zu 23 Jahren Haft, ihren Mann, damals Herausgeber der Zeitung Politika, zu 32 Jahren. Die beiden fliehen ins Exil nach Deutschland.
Mauerfall brachte ihr das Schreiben zurück
Erst durch den Fall der Berliner Mauer 1989, "für mich das Symbol, das das sozialistische System versagt hat", so die damals bekennende Kommunistin, habe sie wieder zum Schreiben gefunden. Nach zwölf Jahren Exil kehrt sie nach Istanbul zurück und nach einer Schreibpause von 30 Jahren entstehen hintereinander fünf Romane, darunter die auch ins Deutsche übersetzten Bücher "Adieu Alyosha, Das Judasbaumtor" und "Verlorene Worte". Baydars Werke handeln von der Suche nach Identität in einer von Macht und Gewalt beherrschten Gesellschaft.
Literatur, so erzählt die energische Dame, spielt eine wichtige Rolle, weil sie Dinge ans Tageslicht bringt, die die türkische offizielle Geschichtsschreibung ausblendet. "Die meisten Menschen haben die schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit nicht gemacht. Die offizielle Ideologie hat das nie erlaubt. Die Literatur schafft hier ein Bewusstsein."
Zuletzt erschien auf Deutsch ihr Buch "Erzählen, um zu verstehen: Zwei Weggefährtinnen im Gespräch". In dem Erzählband, den sie gemeinsam mit ihrer Schriftstellerkollegin Melek Uluagay schrieb, rekapitulieren die beiden Frauen, die aus verschiedenen linken Lagern stammen, ihre Erinnerungen und Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Indem sie einander einen Spiegel vorhalten, möchten sie auch ihre Leser anregen, über die türkische Geschichte zu reflektieren und miteinander in Dialog zu treten.
Oya Baydar wurde 1940 in Istanbul geboren und studierte Soziologie an der Istanbul Universität. Sie ist eine der Gründerinnen der Arbeiterpartei der Türkei. Nach dem Militärputsch 1980 lebte sie 12 Jahre im Exil in Frankfurt. Heute arbeitet sie als Kolumnisten für die unabhängige Onlinezeitung T24. Sie hat mehrere Romane und Erzählungen veröffentlicht. Auf Deutsch sind von ihr Adieu Alyosha (1991), Das Judasbaumtor (2011), Verlorene Worte (2008) und Erzählen, um zu verstehen: Zwei Weggefährtinnen im Gespräch (2013) erschienen. Das Deutsch-Schweizer PEN-Zentrum (DSPZ) widmet seine Veranstaltung zum diesjährigen Writers in Prison Day der kritischen Autorin Baydar.