Overtourism: Wohin soll die Reise gehen?
7. März 2018Für jedes neue Reisejahr werden Pläne gemacht und Wünsche notiert. Dazu gehört auch der Blick auf die sogenannte Bucket-List, auf der regelmäßig die schönsten Reiseziele gelistet werden. Orte und Sehenswürdigkeiten, die man im Leben unbedingt mal gesehen haben sollte. Der US-amerikanische Reisebuchverlag Fodor’s hat Ende letzten Jahres schon zum zweiten Mal die Liste umgekehrt. Zu den zehn Orten, die Reisende in 2018 lieber nicht besuchen sollten, damit sie sich vom Ansturm erholen können, zählen unter anderem die Galápagos-Inseln in Ecuador, die Chinesische Mauer, Amsterdam und Venedig. Auf einer ähnlichen Liste, von CNN im Januar veröffentlicht, stehen Cinque Terre in Italien, Barcelona in Spanien, das Königreich Bhutan und ebenfalls Venedig.
Venedig meiden? Venedig respektieren!
"Es gibt keinen Ort, der von Ausländern so häufig aufgesucht wird und gleichzeitig so unbekannt ist wie Venedig," bemerkte der Reiseschriftsteller Thomas Watkins schon 1788.
Der Massentourismus der letzten Jahre hat der Lagunenstadt mächtig zugesetzt. Ein besonderes Ärgernis sind die immer größeren Kreuzfahrtschiffe, die oft Tausende Reisende gleichzeitig auf den Markusplatz strömen lassen. Insgesamt kommen jährlich über 22 Millionen Besucher nach Venedig. Ein Verdrängungsprozess mit Folgen. In der Innenstadt leben nur noch etwa 55.000 Einwohner, 1951 waren es noch 175.000.
Weil Venedig aber auf die Einnahmen durch den Tourismus nicht verzichten will, versucht die Stadt, den Ansturm der Besucher zu lenken. So sollen die großen Kreuzfahrtschiffe bald außerhalb des historischen Zentrums anlegen und Reisende zu weniger bekannten Sehenswürdigkeiten geführt werden. 2017 ist die vom Internationalen Jahr für nachhaltige Tourismusentwicklung unterstützte Kampagne #EnjoyRespectVenezia angelaufen, die die Besucher für einen respektvolleren Umgang mit der Lagunenstadt und den Einheimischen sensibilisieren möchte.
Unter den zwölf Ratschlägen und Regeln für einen verantwortungsbewussten Touristen steht an erster Stelle: Das Entdecken von Venedigs verborgenen Schätzen an wenig besuchten Orten. Gefolgt von dem Hinweis, die entfernter gelegenen Inseln der Lagune zu besuchen und die lokalen Speisen und Spezialitäten zu kosten.
Kritikern gehen diese Absichtserklärungen nicht weit genug. Der Verein "NoGrandiNavi", der im letzten Sommer bei einem Referendum für ein Verbot der Kreuzschiffe in der Lagune von 18.000 Venezianern Unterstützung bekam, weist darauf hin, dass der geplante Ersatzhafen für die Kreuzfahrtschiffe erst in drei oder vier Jahren fertig sei, und dass sich mit einem neuen Hafen im sensiblen Ökosystem der Lagune die Passagierzahlen sogar verdoppeln könnten.
Mit Regeln gegen den Raubbau auf Mallorca
Den Anblick eines riesigen Kreuzfahrtschiffes vor den Toren ihrer Stadt kennen auch die Bewohner von Palma, der Hauptstadt von Mallorca. Im letzten Sommer waren es manchmal sieben Ozeanriesen an einem Tag. Auch auf der beliebten spanischen Urlaubsinsel gab es im letzten Jahr Demonstrationen gegen die Auswüchse des Massentourismus. Gegen überteuerte Wohnungen, Umweltverschmutzung, überfüllte Strände und Trinkwasserknappheit. Zwölf Millionen Urlauber haben 2017 ihre Spuren hinterlassen. Es kamen zehn Prozent mehr Besucher als im Vorjahr, ein neuer Rekord.
Die Regionalregierung versucht, mit Regeln und Strafen dem Ansturm der Massen zu begegnen. Die 2016 eingeführte Ökosteuer für Touristen wird in diesem Jahr verdoppelt. In diesem Sommer müssen Kreuzfahrt-Passagiere und Hotelgäste pro Tag vier Euro zahlen. Wer ohne Lizenz eine Wohnung als Ferienapartment vermietet, riskiert bis zu 40.000 Euro Strafe.
Gegenwärtig wird eine Gesetzesvorlage erarbeitet, nach der die Autovermieter ab 2020 den Anteil an Elektroautos jedes Jahr um zehn Prozent steigern müssen. Mietwagen gelten auf den Balearen als ernsthaftes Umweltproblem. In der Sommersaison werden auf Mallorca 90.000 Autos eingesetzt. Im Winter werden die älteren Modelle an Privatpersonen verkauft. Deshalb gibt es auf der Insel die größte Fahrzeugdichte von ganz Spanien, auf 100 Einwohner kommen 85 Autos.
Auf der Suche nach dem besseren Berlin-Besucher
Auch Berlin hat in den vergangenen Jahren die Begleiterscheinungen von Massentourismus kennengelernt. In der Party-Hauptstadt Europas kam es wiederholt zu Konflikten zwischen Einheimischen und Besuchern. Fast 13 Millionen Touristen kamen 2017 in die deutsche Hauptstadt. In den besonders angesagten Stadtvierteln Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln klagen Anwohner über Lärmbelästigung, Müll und Verdrängung durch Ferienwohnungen.
Anfang des Jahres hat der Senat sein neues Tourismuskonzept "2018+" vorgelegt. Danach gehe es nicht mehr - wie in der Vergangenheit - nur um neue Steigerungsraten, also noch mehr Touristen, sondern darum, den Qualitätstourismus zu fördern. Kongress- und Messebesucher, Gourmets und Kulturinteressierte sollen umworben werden, weniger die Partytouristen. Die Erlebnisqualität der Berlin-Gäste soll zusammen mit der Lebensqualität von Berlinerinnen und Berlinern verbessert werden.
Zu den Maßnahmen, welche die Auswüchse des Massentourismus verhindern sollen, zählen etwa eine bessere Infrastruktur für Fahrrad- und Wassertourismus, die häufigere Reinigung von Parks und mehr öffentliche Toiletten. Darüber hinaus will man Berlinreisenden vermitteln, dass auch die Ränder der Hauptstadt von Wannsee bis Marzahn attraktive Ausflugsziele bereit halten.
Im Vergleich zu Mallorca und Venedig sind die Folgen von Overtourism für die Metropole Berlin jedoch überschaubar. Und manche Probleme lösen sich ganz unverhofft. Wegen der Pleite des Budgetfliegers Air Berlin sind die Tourismuszahlen gar nicht so stark gestiegen, wie die Kritiker befürchtet und die Tourismuswerber gehofft hatten.