Tankerstau vor Spaniens Flüssiggas-Terminals
20. Oktober 2022Spaniens Gasspeicher sind voll. So voll, dass etliche riesige Flüssiggastanker, die das südeuropäische EU-Land mit Brennstoff versorgen, ihre Fracht nicht entladen können und sich vor den Hafenterminals an den spanischen Küsten stauen. Allein in der Bucht der südspanischen Atlantikstadt Cádiz liegen 15 Gastanker, berichtet Spaniens öffentlicher Fernsehsender TVE. Rund um die iberische Halbinsel und im Mittelmeer sollen sich wenigstens 35 Gasschiffe in Warteposition befinden.
Nicht weit von Cádiz entfernt befindet sich in der Hafenstadt Huelva eines jener Gasterminals, an denen die bis zu 300 Meter langen Schiffe ihre Ladung löschen können. Spanien verfügt insgesamt über sechs Terminals mit angeschlossenen Depots. Eine siebte Anlage wird demnächst im Atlantikhafen Gijón in Betrieb genommen. In den Terminals wird das für den Schiffstransport verflüssigte Gas (liquefied natural gas, LNG) wieder in seinen gasförmigen Zustand zurück verwandelt, damit es in Pipelines weitertransportiert werden kann.
Überlastete Infrastruktur
Spanien besitzt nach Angaben des nationalen Gasnetzbetreibers Enagas mit seinen Anlagen ein Drittel aller Flüssiggas-Kapazitäten und 45 Prozent des gesamten LNG-Speicherplatzes der EU. Doch auch diese größte LNG-Infrastruktur Europas ist derzeit überlastet - mit der Folge, dass Tankschiffe abgewiesen werden müssen.
Hintergrund des Tankerstaus ist zum einen ein Overbooking unerwarteter Art: Angesichts der Sorge um eine Energieknappheit im Zuge des russischen Kriegs in der Ukraine hatten die spanischen Energiekonzerne im Frühjahr und Sommer ihre Gasbestellungen erhöht.
In den vergangenen Monaten kamen deswegen immer mehr LNG-Tankschiffe in Spanien an. Von Januar bis Ende September wurden bereits mehr als 250 Riesentanker in Spanien entladen - so viele wie im gesamten vergangenen Jahr.
Doch parallel sank die Nachfrage im Land. Laut dem Netzbetreiber Enagas wurde zum Beispiel im September knapp sieben Prozent weniger Gas verbraucht als im Vergleichsmonat des Vorjahres.
Schwächere Nachfrage durch mildes Wetter
"Die Nachfrage fällt derzeit, weil das Wetter noch relativ mild ist, die Reserven auf einem Höchststand sind und sich die wirtschaftliche Aktivität abschwächt", sagt Pablo Gil, spanischer Analyst des internationalen Brokerunternehmens XTB. Auch machen sich Energiesparmaßnahmen bemerkbar.
"Es kommt im Oktober zu einem Ungleichgewicht zwischen den programmierten Lieferungen und der Nachfrage", heißt es dazu seitens Enagas. "Diese Situation in Spanien ist kein Einzelfall in Europa, sondern ereignet sich auch in anderen Ländern."
Dieses Überangebot werde wohl noch bis November bestehen bleiben, prognostiziert Enagas. Die Entladetermine der Tanker müssten deswegen verschoben werden - solange bis wieder Speicherkapazitäten frei seien.
Aber nicht alle vor der Küste ankernden Tankschiffe haben ihre Ladung bereits verkauft. Nicht wenige Tanker sind von den Gasexportländern USA, Algerien oder Nigeria ohne festes Ziel in See gestochen und warten nun darauf, dass die Gasnachfrage wieder steigt und sie ein attraktives Angebot für ihre Ladung erhalten.
James Waddell, Energieexperte des britischen Beratungsunternehmen Energy Aspects, geht davon aus, dass der Gasbedarf mit der kalten Jahreszeit deutlich in die Höhe gehen wird: "In der Heizperiode im November, Dezember und Januar werden wir mehr Gas brauchen", sagte Waddell der DW.
Momentan seien die großen Schwankungen unterworfenen Großmarktpreise auf einem vergleichsweise niedrigen Stand, so der Energieexperte. Doch das werde sich vermutlich wieder ändern, sodass sich die Wartezeit der Tankschiffe für die Gashändler lohnen könnte. Waddel rechnet im Winter mit "sehr viel höheren Gaspreisen in Europa".
Lücken im Pipelinenetz
Waddell erinnert daran, dass eine gute Vernetzung des europäischen Energiesystems helfen kann, Überkapazitäten, wie sie gerade in Spanien bestehen, an andere Länder weiterzuleiten. Doch da gebe es, etwa zwischen Spanien und Frankreich, noch immer Lücken im Pipelinenetz.
Die Regierungen in Madrid, Lissabon und Berlin setzen sich schon länger für den Bau einer leistungsstarken Gaspipeline von der iberischen Halbinsel nach Südfrankreich ein. In Frankreich soll die Pipeline, die seit zehn Jahren unter dem Projektnamen MidCat diskutiert wird, an das europäische Fernleitungsnetz angeschlossen werden. In der Zukunft soll die Leitung auch Wasserstoff transportieren können.
Frankreich lehnt die MidCat-Pipeline wegen Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit ab. Doch das letzte Wort ist dabei möglicherweise noch nicht gesprochen. Die Pipeline war auch Thema beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz vor einiger Zeit in Spanien. Zudem laufen diskrete Verhandlungen, bei denen, um Frankreich ins Boot zu locken, der zukunftsträchtige Wasserstoff- und nicht der Gastransport im Vordergrund steht.
Portugals Regierungschef António Costa, der zusammen mit Spaniens Premier Pedro Sánchez den französischen Präsidenten Emmanuel Macron vom Sinn des Projektes überzeugen will, gibt sich optimistisch: "Es wird eine grenzüberschreitende Verbindung geben", sagte er dieser Tage. "Aber das Projekt wird nicht mehr MidCat heißen, sondern es wird einen neuen Namen bekommen."
Und tatsächlich: Am Rande des EU-Gipfels in Brüssel beerdigten Costa, Sánchez und Macron das MidCat-Projekt und schlossen stattdessen eine neue Vereinbarung - nun soll eine Pipeline namens BarMar zwischen Barcelona und Marseilles durchs Mittelmeer verlegt werden. Die Röhre soll direkt für Wasserstoff optimiert werden und nur noch übergangsweise für Erdgas genutzt werden. Allerdings gibt es auch Zweifel an den neuen Plänen: Die von den drei Regierungen veröffentlichte Erklärung enthält weder Angaben zum Zeitplan noch zur Finanzierung der BarMar-Pipeline.