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Ein weißer Afrikaner im Bundestag

Daniel Pelz
16. Januar 2021

Geboren wurde Ottmar von Holtz im damaligen Südwestafrika. Vor dem Militärdienst floh er nach Deutschland. Nun sitzt er im Bundestag. Begegnung mit einem, der bis heute in zwei Ländern zuhause ist. Von Daniel Pelz.

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Ottmar von Holtz (Bündnis 90/Die Grünen) I Bundestag
Bild: Jörg Carstensen/dpa/picture-alliance

Auf den ersten Blick wirkt Ottmar von Holz wie der nette Geschichtslehrer, an den man sich auch Jahre nach dem Abitur gerne erinnert: Graue Haare, Brille, freundliches Lächeln. Mit Maske betritt er den nüchternen Konferenzraum im Bundestag und nimmt vor einer großen Weltkarte Platz. Er ist einer von 709 Abgeordneten und doch ganz anders als viele hier: Einziger Namibier im Parlament, bis heute Doppelstaatler mit zwei Pässen, Migrant.

1961 kommt er in Gobabis im Osten Namibias zur Welt. Über 12.000 Kilometer von Berlin entfernt. Er habe eine behütete Kindheit gehabt, sagt von Holtz zur DW.  Die haben aber nur weiße Kinder: Seit dem Ersten Weltkrieg gehört Namibia, das damals noch Südwestafrika heißt, zu Südafrika. Die berüchtigte Rassentrennung gilt auch hier: Macht und Ressourcen liegen in den Händen der weißen Minderheit. Mit der schwarzen Mehrheit kreuzen sich ihre Wege kaum. "Wir waren eigentlich Fremde im eigenen Land", erinnert sich der Publizist und Aktivist Henning Melber, der ebenfalls in Südwestafrika aufwuchs, im DW-Interview.

'Hier stimmt was nicht'

Das merkt auch von Holtz. Einmal will er nach dem Unterricht seine Mutter auf der Arbeit besuchen. Ein älterer Schwarzer betritt mit ihm das Gebäude. "Ich habe ihm die Tür aufgehalten, damit er mit mir im Fahrstuhl fahren kann. Da hat er auf das Schild über dem Fahrstuhl hingewiesen, auf dem stand: 'Nur für Weiße' und gesagt 'Er darf nicht'. Da habe ich gedacht: Hier stimmt was nicht". Von Holtz beginnt zu rebellieren, bestärkt von seinem Vater, der die Apartheid ebenfalls im Stillen ablehnt.

Unabhängigkeits-Feier in der Hauptstadt Windhuk
Erst 1990 wird Namibia unabhängigBild: picture-alliance/dpa/AFP

Es ist eine kleine Rebellion: Er setzt sich auf Bänke, die nur für Schwarze reserviert sind oder stellt sich bewusst in den Schlangen für Schwarze an. Mehr als böse Blicke gibt es nicht. Einige andere Weiße gehen weiter: Sie schließen sich der schwarzen Befreiungsbewegung SWAPO an und müssen das Land verlassen. Den Schritt geht er nicht.

Trotzdem steht auch von Holtz bald vor einer schicksalhaften Entscheidung. Alle Weißen über 16 müssen Wehrdienst in der südafrikanischen Armee leisten - 48 Monate lang. Keine Zeit, die man einfach nur absitzt. Im Nachbarland Angola kämpft die Armee in einem blutigen Konflikt gegen die SWAPO. "Wenn man in Windhuk lebte, konnte man das nicht im Alltag spüren, aber mental war der Konflikt vorhanden", sagt Zeitzeuge Melber.

Angst vor dem Töten

Auch Rekruten müssen an die Front. Töten oder getötet werden? Ottmar von Holz will beides nicht. "Ein Junge aus der Nachbarschaft, mit dem ich früher gespielt hatte ist, ist in seiner Armeezeit auf eine Landmine gefahren. Ein Cousin von mir hat [den Dienst] seelisch nicht überstanden und ist daran zerbrochen. Da habe ich mir gesagt: Warum soll ich gegen meine eigenen Landsleute kämpfen?" sagt von Holtz. Er studiert Wirtschaftswissenschaften im benachbarten Südafrika, weil Studenten vom Dienst zurückgestellt werden. Doch damit hat er das Problem nur verschoben.

Auf dem Tisch vor ihm im Bundestag liegen namibische Zeitungen. Die meisten rund 30 Jahre alt, trotzdem glatt und liebevoll gefaltet, wie ein besonderer Schatz. Die Titelseiten erzählen von Namibias Freudentagen: Den ersten freien Wahlen 1989, der Unabhängigkeit 1990.

Ottmar von Holtz mit historischen Zeitungen aus Namibia
Bis heute ist von Holtz mit Namibia eng verbundenBild: Daniel Pelz/DW

Das alles liegt damals noch in weiter Ferne. Ottmar von Holtz ist klar: Er kann dem Militärdienst nur entkommen, wenn er geht. Mit 27 zieht er nach Deutschland, in das Land seiner Vorfahren. "Das war keine zweite Heimat, das war fremd", sagt er rückblickend. Die Deutschen verstehen sein von Afrikaans- und englischen Ausdrücken durchsetztes Deutsch nicht, er fremdelt mit der Mentalität. Doch von Holtz entscheidet, zu bleiben. Er setzt sein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Hannover fort, gründet eine Familie - der Grund, warum er auch nach der Unabhängigkeit Namibias nicht zurückgeht. Er wird Elternsprecher, Mitglied im Kreistag Hildesheim, schließlich niedersächsischer Landtagsabgeordneter. Seit 2017 sitzt er für die Grünen im Bundestag.

Er sei kein "Basta-Politiker", sagt seine Parteifreundin Julia Hamburg, heute Fraktionschefin im niedersächsischen Landtag. "Ich habe in stets als sehr ausgleichenden Menschen erlebt, der Argumente sehr ernstgenommen und abgewogen hat", so Hamburg zur DW. Seine eigene Biografie zeigt sich auch an den Themen, die er im Bundestag behandelt. Von Holtz ist Obmann seiner Partei im Entwicklungsausschuss und leitet den Unterausschuss Zivile Konfliktprävention.

Erschrecken vor der Kolonial-Amnesie

Auch Deutschlands Kolonialvergangenheit ist für ihn schon qua Herkunft Thema. "Sie war heftig und böse, mit vielen harten Folgen für die Betroffenen. Nicht nur in Namibia, sondern auch in Ostafrika oder Kamerun." Immer noch ist er erschrocken, wie wenig viele Deutsche von dieser dunklen Ära wissen.

Südafrikanischer Soldat in Namibia (Archivbild)
Südafrikas Armee kämpfte in einem blutigen Bürgerkrieg gegen die SWAPOBild: picture-alliance/AP Photo/B. Paddock

Schon lange fordert er mehr Aufklärung, vor allem in der Schule. Und eine deutsche Entschuldigung für den Völkermord an den Herero und Nama während der Kolonialzeit. Dass es die noch nicht gibt, liegt auch an seiner eigenen Partei: Auch der grüne Außenminister Joschka Fischer lehnte es stets ab, den Völkermord anzuerkennen. Die Wende brachte ausgerechnet eine CDU-geführte Regierung: Seit 2016 laufen Gespräche zwischen beiden Ländern.

Zum Ende des Gesprächs schaut von Holtz kurz wehmütig aus dem Fenster in den grauen Berliner Winterhimmel. Er sei sehr glücklich in Deutschland, sagt er. Und doch "Namibia ist das Land meiner Jugend  - die Gerüche, die Landschaften, die Menschen, die Sprachen, die Vielfalt, die Art wie man miteinander umgeht: All das löst bei mir Heimatgefühle aus und das vermisse ich, wenn ich eine Zeit lang nicht mehr da war."