Organspende: Was man wissen muss
26. Juni 2019Worum geht es in dieser Debatte?
Die Zahlen der Organspender in Deutschland sinken seit Jahren. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation hatte die Anzahl der Organspender im Jahr 2017 mit 797 einen Tiefpunkt erreicht. Zwar stieg die Zahl 2018 auf 955 - doch das ist noch lange nicht genug: In Deutschland hoffen rund 9.400 schwer kranke Menschen weiterhin auf die Transplantation eines Organs.
Geht es nach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), soll jeder Deutsche, der nicht explizit widersprochen hat, als potenzieller Spender gelten. Die von ihm vorgeschlagene Widerspruchsregelung zur Organspende will Spahn mit einer breit angelegten Informationskampagne verbinden. Jeder Bürger solle dafür dreimal angeschrieben werden. Wer Organspenden ablehnt, kann das in ein Register eintragen lassen - wer aber nicht widerspricht oder gar keine Entscheidung trifft, soll als potenzieller Spender registriert werden. Allerdings soll es die Möglichkeit geben, die Entscheidung jederzeit zu revidieren.
SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach, der den Gesetzentwurf unterstützt, betonte, dass in Deutschland jedes Jahr um die 2.000 Menschen "auf der Warteliste sterben". Die abstrakte Bereitschaft zu spenden sei wesentlich höher als die Zahl der Menschen, die aktuell einen Organspendeausweis mit sich führen. Allerdings ist ungewiss, ob der Entwurf von Spahn im Bundestag verabschiedet wird.
Es gibt auch einen Alternativentwurf, den unter anderem Annalena Baerbock und Katja Kipping unterstützen. Die Grünen-Chefin und die Linke-Vorsitzende wollen die derzeit geltende Zustimmungsregelung beibehalten, aber alle Bürger sollen mindestens alle zehn Jahre beim Abholen eines Ausweises auf das Thema Organspende angesprochen werden.
Welche Kritik gibt es?
Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz ist gegen die Einführung der Widerspruchsregelung. Der Vorschlag von Baerbock und Kipping greife weniger in die Grundrechte ein, so Eugen Brysch im Deutschlandfunk.
Aber Brysch gehen beide Gesetzentwürfe nicht weit genug. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er, beide Vorschläge würden die "Gerechtigkeitsfrage völlig außer Acht lassen". Brysch verwies auf Umfragen, nach denen die Hälfte der Bundesbürger die Organverteilung in Deutschland als ungerecht empfänden. Er fordert eine Neuorganisation des Transplantationssystems. Sowohl die Kontrolle als auch die Organvergabe möchte seine Stiftung in staatlicher Verantwortung sehen.
Die katholische Kirche hat sich ebenfalls ablehnend geäußert gegenüber Spahns Vorschlag. So sagte die Deutsche Bischofskonferenz, man habe erhebliche ethische Bedenken gegen die Widerspruchslösung. Außerdem zeige sich in anderen Ländern, dass allein die Umstellung auf die Widerspruchslösung nicht zu mehr Organtransplantationen führe.
Welche weiteren Maßnahmen sieht das Gesundheitsministerium beim Thema Organspende vor?
Das Gesundheitsministerium hat bereits im vergangenen Jahr einen Gesetzentwurf erarbeitet, um durch eine bessere Vergütung der Krankenhäuser die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Zudem ist eine Stärkung der vor wenigen Jahren eingeführten Transplantationsbeauftragten vorgesehen. Seit 2012 muss jedes Krankenhaus, in dem eine Organspende räumlich und personell möglich ist, einen solchen Beauftragten benennen.
Außerdem sollen kleinere Entnahmekliniken durch qualifizierte Ärzte unterstützt werden. Vor allem sollen potenzielle Organspender besser erkannt und gemeldet werden. Dafür werde laut Bundesgesundheitsministerium ein flächendeckendes Berichtssystem eingeführt. "Kliniken werden verpflichtet, anonymisierte Daten an die Koordinierungsstelle zu übermitteln, die eine Analyse aller Todesfälle mit primärer und sekundärer Hirnschädigung ermöglicht", erklärte das Ministerium auf seiner Homepage. Dabei soll die Deutsche Stiftung Organtransplantation als Koordinationsstelle fungieren und auch bei der Verbesserung krankenhausinterner Abläufe beraten. Auch eine bessere Betreuung der Angehörigen ist vorgesehen.
Welche gesetzlichen Regelungen gibt es in Europa?
In Europa ist die Organspende unterschiedlich organisiert. Die gesetzlichen Regelungen bestimmen, wann und unter welchen Umständen die Organe einer verstorbenen Person entnommen werden dürfen.
In Deutschland gilt seit 2012 die Entscheidungslösung. Das heißt, dass eine Organentnahme nur dann zulässig ist, wenn der Betroffene zugestimmt hat. Jede krankenversicherte Person erhält ab dem vollendeten 16. Lebensjahr von ihrer Krankenkasse oder Versicherung Informationsmaterial, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu treffen.
Bei der engen Zustimmungslösung muss der Verstorbene bereits zu Lebzeiten einer Organentnahme zugestimmt haben. Bei der erweiterten Zustimmungslösung entscheiden die Angehörigen stellvertretend für die verstorbene Person, falls diese zu Lebzeiten keine Entscheidung getroffen und dokumentiert hat. Sie gilt beispielsweise in Griechenland, Großbritannien, Dänemark, Rumänien, Litauen und der Schweiz.
Die Widerspruchslösung gilt in Ländern wie Bulgarien, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn und Zypern. Sollte die verstorbene Person einer Organspende zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen haben, beispielsweise in einem Widerspruchsregister, können Organe zur Transplantation entnommen werden. Sollte keine Entscheidung der verstorbenen Person vorliegen, können die Angehörigen in einigen Ländern der Organspende widersprechen. Die Widerspruchsregelung mit Einspruchsrecht der Angehörigen gilt in Belgien, Estland, Finnland, Litauen und Norwegen.
Anfang 2018 haben die Niederlande ihr Organspendegesetz geändert und jede volljährige Person zum Organspender erklärt. Diese Regelung tritt 2020 in Kraft.
Verstirbt jemand im Ausland, gilt grundsätzlich die Regelung des jeweiligen Landes.
Welche Voraussetzungen müssen bei einer Organspende erfüllt werden?
Neben der Einwilligung des Verstorbenen oder seiner Angehörigen müssen auch medizinische Aspekte beachtet werden. Nur Menschen, bei denen ein Hirntod vorliegt, können Organe spenden. Also erst wenn die Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms unwiderruflich ausgefallen ist und dies von zwei Ärzten festgestellt wurde. Dabei wird das Herz-Kreislauf-System künstlich aufrechterhalten, damit die Organe und Gewebe weiter durchblutet werden. In den meisten Sterbefällen tritt zuerst ein Herzstillstand ein, weswegen die Organspende ohnehin nur für wenige Verstorbene in Frage kommt. Im Gegensatz zur Organspende kann eine Spende von Gewebe noch bis zu drei Tage nach dem Herzstillstand, dem sogenannten klinischen Tod, vorgenommen werden.