Friedenspreis für Sebastião Salgado
20. Oktober 2019Salgado fotografierte Goldminenarbeiter in Brasilien ebenso wie Hungerleidende in Niger oder Kriegsflüchtlinge im Kongo. Doch während er früher Menschen als Opfer ablichtete, engagiert sich der Fotograf und Fotoreporter heute für den Erhalt der Natur. Beides nahm die Friedenspreis-Jury des Börsenvereins für ihn ein. Sie erkannte dem in Paris lebenden Bildkünstler die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung zu, die alljährlich im Rahmen der Frankfurter Buchmesse überreicht wird.
Der deutsche Filmregisseur Wim Wenders, der 2014 den Dokumentarfilm "Das Salz der Erde" - eine Hommage an den Starfotografen - drehte, betonte in seiner Laudatio während der Preisverleihung, dass Salgados Werke "nie nur Schauen, sondern immer auch Teilen und Mit-Teilen" seien und dass die Fotografien auch immer "das Zuhören, Mitgehen, Zeugnisgeben, Sicheinlassen" als zentrale Elemente enthielten. Wenders bezeichnete Salgado desweiteren als "Held des Friedens".
Salgado selbst sagte in seiner emotionalen Dankesrede, dass er die Ehrung mit seiner Frau und allen Menschen teile, die er über Jahrzehnte fotografiert habe und prangerte die Umweltverschmutzung insbesondere im Amazonasgebiet an.
Noch vor der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche am 20. Oktober hatte Salgado einen eindringlichen Appell an seine Zeitgenossen gerichtet: "Umweltzerstörung kann rückgängig gemacht werden", sagte der 75-Jährige der Deutschen Presse-Agentur (dpa) im Interview, "wir haben genug Ressourcen, genug Wissen, genug Technologie, um wiederaufzubauen, was wir zerstört haben."
Als eine "große Persönlichkeit und Humanisten" würdigt Margot Klingsporn den Preisträger. Sie leitet die Hamburger Fotoagentur Focus, die Salgado in Deutschland vertritt. "Salagado ist ein mutiger, engagierter Mensch, bei dem Arbeitsethik und persönliche Ethik eins sind", so Klingsporn zur DW.
Per Zufall zum Starfotografen
In der Tat erstaunt vieles an diesem Friedenspreisträger. Nicht nur, dass er eigentlich gelernter Wirtschaftswissenschaftler ist und bei frühen Dienstreisen nach Afrika eher zufällig zur Fotografie kam. Beeindruckend ist vor allen Dingen, was er mit seiner Kamera aufs Korn nahm - und wie.
Salgados dokumentarischer Blick auf die Welt und ihre Bewohner brachte ihm schon früh Anerkennung ein. 1973 macht er sich als Fotojournalist selbständig und brach zu seinen Fotoreportagen auf. Ab 1974 arbeitete er für die Foto-Agentur Sygma, bereiste Portugal, Angola und Mosambik. Dann wechselte er zur Agentur Gamma, berichtete aus Afrika, Europa und Lateinamerika. 1979 wurde Salgado in die angesehene Agentur Magnum aufgenommen.
Seine Spezialität sind opulente Schwarz-Weiß-Fotografien. In Langzeitprojekten nahm Salgado das Leben der Menschen am unteren Ende der Gesellschaft ins Visier, vor allem in Entwicklungsländern. So lotete er in den 1980er Jahren in seinem Projekt "workers - Arbeiter" die Zukunft der Arbeit aus. Daraus entstanden Bildbände und beeindruckende Wanderausstellungen.
Opulente Schwarz-Weiß-Fotografien
Berühmt ist auch seine Fotoreportage von 1986 über hart arbeitende Goldschürfer in der brasilianischen Goldmine Serra Pelada, deren Arbeitsbedingungen mittelalterlich anmuten. Und für das New York Times Magazine fotografierte Salgado im April 1991 im zweiten Golfkrieg von Saddam Husseins Truppen in Brand gesetzte Ölquellen und die folgenden Löscharbeiten.
Für viele seiner Arbeiten wurde Salgado mit Preisen geehrt. Er ist heute Mitglied der American Academy of Arts and Sciences, seit 2016 auch der französischen Académie des Beaux-Arts.
Kritik am Preisträger
Trotz seines Erfolgs werfen Fotografen-Kollegen und Kulturwissenschaftler Salgado vor, Themen wie Umweltzerstörung und Ausbeutung in schönen Bildern zu inszenieren. Die Essener Professorin für Dokumentar-Fotografie Elisabeth Neudörfl sagte im Deutschlandfunk, Salgados Blick auf die Welt sei "rückwärtsgewandt". Er fotografiere Pinguine in der gleichen Ästhetik wie Minen-Arbeiter. Das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen machte den Streit um Salgados Fotos gar zum Thema einer Podiumsdiskussion.
"Ich habe entdeckt, dass es auf diesem Planeten nicht nur Menschen gibt", sagte der Fotograf kürzlich in einem dpa-Interview. "Zuvor habe ich nur Menschen fotografiert. Aber dann habe ich die Ameisen entdeckt, die Vögel, die Affen, die Krokodile. Sie alle sind so wichtig für den Planeten. Alle sind wichtig, nicht nur meine Spezies. Was auch immer mit uns passiert: Der Planet wird da sein. Seit ich das weiß, kann ich in Frieden leben." Was Fotografie bewirken könne, wurde er gefragt. "Alleine nichts. Ich kann ein Bild machen, das die Menschen mögen, vielleicht auch ein Bild, das sie bewegt. Aber das bewirkt nichts. Es muss Teil einer Bewegung werden, zusammen mit Text, dem Willen von Regierungen, dem Engagement von Organisationen. Vielleicht kann ich etwas anstoßen."
In seiner Dankesrede während der Preisverleihung bezeichnete Salgado sich als "Sozialfotografen" und betonte, dass er einen großen Teil seines Lebens dafür eingesetzt habe, "Zeugnis abzulegen über die Not unseres Planeten und so vieler seiner Bewohner, die unter grausamen, unmenschlichen Bedingungen leben". Die Menschheit müsse, so Salgado, neue Mittel und Wege des Zusammenlebens finden.Teamwork mit Ehefrau Lélia
Mit seiner Frau Lélia Deluiz Wanick Salgado hat Sebastião Salgado zwei erwachsene Kinder. Sie ist Architektin, gibt die meisten seiner Bücher heraus und kuratiert seine Ausstellungen. In Deutschland waren Fotografien Salgados zuletzt im Kulturforum C/O Berlin zu sehen. Der Zyklus "Genesis", eine visuelle Hommage an den blauen Planeten, zeigte archaische Vulkanlandschaften, arktische Eismassen, mäandernde Fluss-Canyons, von Nebel umhüllte Gebirgsketten, ursprüngliche Regenwälder und endlose Sanddünen.
Im vergangenen Jahr ging der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an die deutschen Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assmann. Zum Kreis der Preisträger zählen Autoren wie Margaret Atwood, Susan Sontag, Siegfrid Lenz, David Grossmann, Navid Kermani, Jaron Lanier und Carolin Emcke, aber auch der Künstler Anselm Kiefer.
Die Auszeichnung wird seit 1950 vergeben. Geehrt wird alljährlich eine Person aus Literatur, Wissenschaft und Kunst, die in hervorragendem Maß "zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat".