Opposition ohne Chance
14. September 2015Es sei "ein höchst demokratischer Wahlkampf" gewesen, es habe Konkurrenz gegeben und der Wahlausgang sei in einigen Fällen bis zum Schluss offen geblieben. So lobte auf einer Tagung am Montag in Moskau ein Kreml-freundlicher Politikexperte die Ergebnisse der Regionalwahl in Russland am vergangen Wochenende. Der Leiter der Zentralen Wahlkommission, Wladimir Tschurow, sprach zuvor von einer sauberen Wahl. Ministerpräsident Dmitri Medwedew attestierte der von ihm angeführten Kremlpartei Geeintes Russland ein "gutes Ergebnis".
Die Botschaft dieser und anderer Stimmen lautet: Es darf keine Zweifel am Wahlergebnis geben. Genau die scheinen manchen Beobachtern aber angebracht. Zum einen fand die Abstimmung vor dem Hintergrund der angespannten Lage in der russischen Wirtschaft statt, die unter Sanktionen wegen Moskaus Ukrainepolitik und der niedrigen Ölpreise leidet. Vor der Wahl wurde deshalb spekuliert, dass die Wähler die Regierungspartei für die Wirtschaftskrise und für die steigende Verbraucherpreise bestrafen könnten. Zum anderen gab es in vergangenen Jahren regelmäßig Vorwürfe wegen Wahlfälschung. Besonders im Winter 2011/2012 führten solche Vorwürfe zu Massenprotesten auf Moskaus Straßen.
Parlamentsparteien auch bei Regionalwahl stark
Nach vorläufigen Amtsergebnissen ist die Kremlpartei Geeintes Russland nicht nur wieder stärkste Kraft geworden, sondern konnte sich im Verglich zu vor fünf Jahren auch leicht verbessern. Sie kam in den meisten Regionen auf 50 bis 70 Prozent der Stimmen. An zweiter Stelle mit 10 bis 20 Prozent der Stimmen konnte sich die Kommunistische Partei behaupten, die sich als wichtiger politischer Gegner der Regierungspartei bestätigt sieht. Auch die Rechtspopulisten der Liberal-Demokratischen Partei Russlands (LDPR) sowie die linke Partei "Gerechtes Russland" sind erneut in Provinzräte eingezogen.
Damit gewannen bei dieser Regionalwahl die vier Parteien, die auch im Parlament vertreten sind. Insgesamt wurden am vergangenen Sonntag 21 Gebietsgouverneure und hunderte neue Vertretungen in Städten und Dörfern gewählt. Die Wahlbeteiligung war jedoch in manchen Regionen sehr niedrig – unter 20 Prozent.
Opposition beklagt unfaire Wahlkampfbedingungen
Die liberale Opposition räumte inzwischen ihre Niederlage ein. Eine "Demokratische Koalition", ein Wahlbündnis auf Basis der "Volksfreiheits"-Partei PARNAS, konnte im Gebiet Kostroma nicht die Fünf-Prozent-Hürde knacken. "Wir haben verloren", schrieb am Montag Ilja Jaschin, stellvertretender Vorsitzende der PARNAS-Partei im Facebook. Das wahre Ergebnis sei zwar höher als die amtlichen rund zwei Prozent, doch liege es unter der Fünf-Prozent-Hürde.
PARNAS trat unter schwierigen Bedingungen an. Das Oppositionsbündnis, das von der nicht zugelassenen Fortschrittspartei des Moskauer Antikorruptionsbloggers und Kremlkritikers Alexej Nawalny unterstützt wurde, wollte ursprünglich in vier russischen Regionen antreten. In einer dieser Regionen, in der drittgrößten Stadt Russlands Novosibirsk, versprach sie sich gute Chancen. Doch zugelasen wurde sie nur in Kostroma, rund 300 nordöstlich von Moskau. In Nowosibirsk und anderen Regionen wurde ihr aufgrund von angeblich nicht echten Unterschriften die Zulassung verweigert. Auch in Kostroma wurde die Zulassung zunächst abgelehnt und erst nach einer Beschwerde erteilt. Durch das juristische Verfahren wurde Zeit verloren und die Opposition konnte nur drei Wochen lang Wahlkampf machen. "Man kann es schwer als Wahl bezeichnen", sagte Nawalny der DW. "Aus der Sicht des Kremls haben wir in Kostroma die wenigsten Chancen auf einen Sieg gehabt."
Unterschriftensammlung als Filter für Opposition
Wahlergebnisse seien noch vor der Abstimmung durch Entscheidungen der Behörden "faktisch vorbestimmt" gewesen, schreibt in ihrer Analyse die nichtstaatliche Wahlbeobachterbewegung "Golos" (Stimme). Julius von Freytag-Loringhofen nennt die vorgeschriebene Unterschriftensammlung vor der Wahl den "Hauptfilter" für die Opposition. "Das Entscheidende bei dieser Wahl war, dass im Voraus dafür gesorgt wurde, dass unabhängige oppositionelle Kandidaten nicht antreten können", sagte der Leiter des Moskauer Büros der FDP-nahen Friedrich Naumann Stiftung der DW.
Es habe Berichten zufolge auch Fälschungen gegeben, allerdings nicht mehr als sonst auch, so von Freytag-Loringhofen. "Golos" berichtete am Montag über hunderte gemeldete Verstöße im Gebiet Kostroma. Die Wahlkommission in Moskau bekam dagegen nach eigenen Angaben nur 29 Beschwerden.
Kremlpartei profitiert von Putin-Beliebtheit
Ein wichtiger Faktor für die Niederlage der Opposition scheint die aktuelle Stimmung in Russland zu sein. Mehr als 85 Prozent der Russen seien laut Umfragen für den Kreml, für die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 und für die aggressive Politik des Präsidenten Wladimir Putin gegenüber dem Westen, sagt von Freytag-Loringhofen. "In Zusammenhang mit den Sanktionen hat es dazu geführt, dass der Großteil der Bevölkerung in Russland sich enger hinter dem Kreml und damit hinter "Geeintes Russland" stellt", so der Experte.
Die Abstimmung am vergangenen Sonntag gilt als wichtiger Stimmungstest vor der kommenden Parlamentswahl im Herbst 2016. "Wir wollten zeigen, dass die Opposition trotz des kurzen Wahlkampfs, trotzt nicht ausreichender Finanzierung und trotz der Schmutzkampagne im Fernsehen in einer Provinz wie Kostroma in die lokale Vertretung einziehen kann", sagte am Wahltag der Oppositionspolitiker Nawalny. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.