Namen und Gesicht
22. Juli 2007"Gruß aus Flossenbürg" steht auf einer Postkarte im ersten Ausstellungsraum: ein kleiner Oberpfälzer Ort unter einer Burgruine. Das Bild stammt aus den 1920er Jahren, aber idyllisch sieht es in der 2000-Einwohner-Gemeinde an der tschechischen Grenze auch heute noch aus. Dass hier während der Nazi-Zeit eines der zwölf größten Konzentrationslager Deutschlands war, in dem der Theologe Dietrich Bonhoeffer starb, geriet nach dem Krieg beinahe in Vergessenheit.
"Zwei Drittel der Häftlinge waren Osteuropäer", erläutert Christian Omonsky, Pressekoordinator der Ausstellung. Erst als der "Eiserne Vorhang" fiel und die ehemaligen Gefangenen zum 50. Jahrestag der Lagerbefreiung 1995 den Ort des Grauens wieder besuchen konnten, habe "der Druck der Überlebenden und Interessierten hier einen Prozess in Gang gesetzt", sagt Omonsky. Als Ergebnis dieses Prozesses wurde am Sonntag eine Dauerausstellung eröffnet, die aus dem KZ erst eine "echte Gedenkstätte" macht, wie Omonsky formuliert.
Außenlager mit 100.000 Gefangenen
Das KZ im beschaulichen Steinhauer-Dorf Flossenbürg war Verwaltungszentrum für 90 Außenlager in Bayern, Böhmen und Sachsen. Minderheiten wie Juden, Sinti und Roma waren in diesen Lagern eingesperrt, politisch Andersdenkende, Kriegsgefangene, Homosexuelle und so genannte "Asoziale" und "Berufsverbrecher" – 16.000 Frauen und 84.000 Männer. Auch die Überlebenden, die nicht im Hauptlager waren, fahren regelmäßig nach Flossenbürg. "Für uns bedeutet das immer ein Zurückkehren in die Vergangenheit", sagt Lisa Mikova aus Prag, die im sächsischen Freiberg gefangen war. "Aber wir wollen beispielsweise Schülern unsere Geschichte erzählen in der Hoffnung, dass wir sie vor dem Faschismus warnen können."
Lisa Mikova wurde 1942 interniert, weil sie Jüdin war. Ihre Eltern, die Schwiegereltern und ein Schwager wurden in Auschwitz umgebracht, sie kam nach Freiberg. "Dort mussten wir in einer Flugzeugfabrik zwölf Stunden täglich ganz schwer arbeiten", erinnert sich Mikova. "Dann mussten wir durch die Stadt zum Barackenlager gehen. Das war sehr kalt, denn wir waren nur dürftig gekleidet, trugen keine Unterwäsche, wir hatten nur Holzschuhe und kahl geschorene Köpfe. Und es gab nicht viel zu essen - nur etwas braunes Wasser, dass sich Kaffee nannte, Suppe und ein Stück Brot."
"Den Opfern wieder ein Gesicht geben"
30.000 Häftlinge starben in Flossenbürg und den Außenlagern: von der SS ermordet, erfroren, bei gefährlichen Arbeiten etwa im Flossenbürger Steinbruch verunglückt oder an Krankheiten wie Lungenentzündung und Tuberkulose gestorben. Wer hier gefangen war, der war nur noch eine Nummer. "Diesen Opfern, die jahrzehntelang nahezu aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden waren, möchten wir ein Gesicht geben", sagt Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit.
Im zentralen Ausstellungsraum findet der Besucher deshalb überraschenderweise Freizeit- und Familienfotos: ein junger Mann in der elterlichen Schmiede, ein Hochzeitsbild, junge Männer vor einem Hotel, ein Liebespaar im hohen Gras. Erst die Bildtexte machen klar, dass diese Menschen später in Konzentrationslager deportiert wurden. Wie die Häftlinge selbst das Grauen erlebt haben, zeigen Kunstwerke von Überlebenden. Es sind erschreckende Bilder, etwa die Zeichnung einer Hinrichtung von fünf Gefangenen vor einem hell erleuchteten Christbaum, bei der alle Häftlinge zusehen mussten.
Gebäude wieder im Originalzustand
Daneben sind Teile des Konzentrationslagers wieder in den Originalzustand zurückversetzt worden. Das KZ war nach der Befreiung durch die Amerikaner bald anderweitig genutzt worden - Wohnhäuser wurden gebaut, eine Holzspielzeugfirma übernahm leer stehende Gebäude. Auf dem Appellplatz stand eine nun abgebrochene Industriehalle, nur im Arrestbau war seit den 80er Jahren eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Lagers.
Für die Ausstellung und die originalgetreue Herrichtung der Gebäude haben Gedenkstättenleiter Skriebeleit und seine Mitarbeiter vier Jahre geforscht - ehemalige Gefangene befragt, Farbschichten analysiert, gegraben. In der Ausstellung in der ehemaligen Lagerwäscherei sind nun auch Exponate aus dem Lageralltag wie Kleidung und Schuhe eines tschechischen Häftlings zu sehen. Bewusst klammert die Ausstellung auch die Täter nicht aus. SS-Männer sind beispielsweise mit Gitarre auf der Burgruine zu sehen - ein schier unfassbarer Kontrast zum Überlebenskampf im Konzentrationslager.
Lager beherrschte den ganzen Ort
Allerdings ist nur etwa ein Fünftel des früheren KZ-Geländes in die Gedenkstätte einbezogen - anstelle der Lagerbaracken stehen heute Wohnhäuser, der ehemals zum Lager gehörige Steinbruch wird weiterhin genutzt. Zur Nazi-Zeit beherrschte das Konzentrationslager den Ort ökonomisch und sozial, regionale Firmen bewarben sich um Bauaufträge oder wollten Zwangsarbeiter ausleihen. "Es geht auch darum, konkret zu zeigen, wie ein KZ in einem Ort entstehen kann", nennt Gedenkstättenleiter Skriebeleit einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung.
Gerade die Gemeinde Flossenbürg habe sich sehr für die Gedenkstätte engagiert, hebt Skriebeleit hervor. Zur Ausstellungseröffnung am Sonntag kamen der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, außerdem der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko, dessen Vater in Flossenbürg eingesperrt war, Charlotte Knobloch vom Zentralrat der Juden, Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma sowie der israelische Botschafter Shimon Stein. Vor allem aber kamen 84 ehemalige Gefangene, die seit Jahren Überlebendentreffen organisieren. Einige möchten lieber nicht in das neue Museum. Lisa Mikova dagegen will es sich ansehen: "Natürlich gibt es Sachen, die in uns bleiben, darüber kommt man nicht hinweg. Aber ich bin sehr neugierig auf die Ausstellung."