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Enstation Lager

Alexander Goebel, Johannesburg10. Juli 2008

Die fremdenfeindlichen Hetzjagden in Südafrika haben tausende Einwanderer in Flüchtlingslager getrieben. Dort herrschen katastrophale Bedingungen.

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Lager in Germiston im Osten von Johannesburg, Quelle: dpa
Lager in Germiston im Osten von JohannesburgBild: picture-alliance/ dpa

Wie dieser Mann aus Malawi flohen im Mai viele Ausländer zu Polizeistationen, von wo aus sie in den Lagern landeten, Quelle: dpa
Wie dieser Mann aus Malawi flohen im Mai viele Ausländer zu Polizeistationen, von wo aus sie in den Lagern landetenBild: picture-alliance/ dpa

Ein kalter Wintertag im Rifle Range Camp von Glenvista, einem Stadtteil von Johannesburg. Freiwillige Helfer verteilen Essen, die Schlangen sind endlos. Weißbrot und Orangen werden knapp. Nasibu zittert. Sie starrt auf den hohen Zaun mit Stacheldraht und hält sich an ihrer Mutter fest. "Die Männer sind gekommen und haben uns angegriffen. Da haben wir die Polizei gerufen, aber die kam nicht", erzählt sie. "Wir leiden sehr in diesem Camp, nach Hause können wir nicht, und deshalb wollen wir in ein anderes Land gehen. Es ist so schlimm hier."

Verdorbenes Essen

Nasibu wartet geduldig, bis sie an die Reihe kommt. Sie hofft, dass sie nicht schon wieder kalte Hot-Dog-Würstchen essen muss. Von den letzten bekam Nasibu Durchfall - wie die meisten hier im Camp. Aber schlimmer noch ist die Angst vor den Menschen jenseits des Zauns, findet die siebenjährige Mavel. Wie ihre Freundin Nasibu ist sie im Kongo geboren und in Südafrika aufgewachsen. "Als wir zur Kirche gegangen sind, haben wir gesehen, wie einer von unseren Landsleuten auf der Straße totgeschlagen wurde. Da sind wir in die Kirche gerannt und sind dann drin geblieben bis zum nächsten Tag", berichtet Mavel. "Wir hatten solche Angst, dass sie uns auch umbringen. Und dann eines Nachts sind Leute bei uns eingestiegen und haben alle unsere Sachen gestohlen."

Mavel und Nasibu gehen nicht mehr in die Schule, ihre Väter haben keine Arbeit mehr. Jetzt leben sie in weißen, tonnenförmigen Zelten. Die hat das UN-Flüchtlingshilfswerk geliefert, aber mehr auch nicht. Die Regierung von Südafrika will die Fäden in der Hand behalten. Journalisten sind nicht gern gesehen, Camps wie Rifle Range sind den Verantwortlichen peinlich.

Keine Duschen, kein Strom

Dabei schreien die Verhältnisse hier nach mehr Öffentlichkeit. Im Camp leben rund zweieinhalbtausend Menschen aus vierzehn Nationen. Am stärksten vertreten sind Menschen aus Tansania, Kenia, Äthiopien, Simbabwe, Burundi, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo. Viele Flüchtlinge sind so wütend wie Christine Seba aus Burundi. "Man behandelt uns wie … ich weiß gar nicht, wie man das noch nennen soll", sagt sie. "Wenn Du kein Zulu sprichst oder kein Südafrikaner bist, dann ist das wie ein Verbrechen!" Es gibt keine Duschen, keinen Strom, die Frauen kochen in einem kleinen Eimer am offenen Feuer vor den Zelten. Die Stadtverwaltung hat sich mit dem Roten Kreuz überworfen, die Organisation läuft schlecht. Wegen des verdorbenen Essens laufen die Toiletten über, zwischen den Zelten ducken sich kleine Kinder auf den Topf.

Die Lager wurden vielfach hastig aufgebaut, Quelle: dpa
Die Lager wurden vielfach hastig aufgebautBild: picture-alliance/ dpa

"Die Südafrikaner wollen uns nicht mehr. Wir sind aus dem Kongo gekommen, weil dort Krieg war, und wir haben gehofft, hier Frieden zu finden", sagt Christine Seba. "Aber hier ist es noch schlimmer. Da ist es besser, wenn wir gehen." Nur wohin? Das weiß niemand. Als die Slums brannten und der wütende Mob in den Townships Jagd auf Ausländer machte, mussten mehr als 10.000 Menschen fliehen. Der Hass auf die Fremden entlädt sich in den Vierteln der Armen, wo viele Menschen unterschiedlichster Herkunft auf engstem Raum leben und um ihr Auskommen kämpfen.

Dazu kommen die Sprach-Probleme: Wer "Indololwane" nicht buchstabieren kann oder "Amazinyo", die Zulu-Wörter für "Ellenbogen" und "Zähne", der ist sofort unten durch, sagt Nasibu: "Sie mögen uns nicht, sie nennen uns nur Kwere Kwere. Mit mir wollen sie auch nicht spielen." Kwere Kwere - das Wort, das im Rifle Range Camp alle Menschen lähmt. Auf Zulu bedeutet es "Ausländer". Die Sprache trennt Menschen. Wer kein Zulu beherrscht, geschweige denn Englisch, der gehört nicht dazu.

"Sollen sie mich doch umbringen"

"Sie wollen uns dominieren, wir sollen so sprechen wie sie", sagt Micheline Sakinda, während sie vor ihrem Zelt ihr Baby in einem Eimer wäscht. "Immer wieder wurde mir klargemacht, Südafrika sei ein englischsprachiges Land, aber wir aus dem Kongo sprechen ja Französisch zu Hause, Swahili oder Lingala, und natürlich versuchen wir, Englisch zu lernen. Aber viele von uns haben nie eine Schule besucht, und es ist sehr schwer für uns."

Jeder hier im Camp kennt den Namen Ernesto Nhamwavane. In den Zeitungen war er Ende Mai nur noch der "flaming man": Ein wütender Mob von Schwarzen hatte den jungen Mosambikaner durch die Armensiedlung von Ramaphosa gejagt und dann bei lebendigem Leibe verbrannt. Eine Ikone des Grauens. Situationen wie diese sind es, die im Camp vielen den Mut nehmen. Und die Hoffnung. Denn sicher fühlen sie sich in Südafrika längst nicht mehr, sagt etwa Dominic Krieka, der im Januar aus Kenia nach Südafrika kam. "Ich warte auf die Vereinten Nationen, damit sie dieses Camp übernehmen und uns dann von hier wegbringen."

Und was, wenn die UNO nicht kommt? "Wenn sie morgen kommen und uns erschießen, wenn sie dieses Lager zu unserem Grab machen wollen – ich bin bereit dazu", sagt Krieka. "Sollen sie mich doch umbringen. Ich habe nichts zu verlieren und ich habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen.