Ohrfeige für den Präsidenten
30. März 2006Der Präsident stand nicht zur Wahl. Und doch ist Viktor Juschtschenko mit seiner westlich orientierten Partei „Nascha Ukraina" der große Verlierer der Parlamentswahlen in der Ukraine. Für den einstigen Helden der orange Revolution ist es eine doppelte Niederlage: Sein Rivale Viktor Janukowytsch feiert mit der stärker Russland zugewandten „Partei der Regionen" seine politische Wiederauferstehung. Ausgerechnet dieser Janukowytsch, den das Volk nach dreisten Wahlfälschungen bei den Präsidentschaftswahlen vor 15 Monaten durch eine Volksaufstand von der Macht verdrängt hatte. Der zweite Gewinner der Parlamentswahlen ist jedoch Julia Tymoschenko. Ihr gutes Abschneiden ist die eigentliche Überraschung dieser Wahlen. Dass die ehemalige Ministerpräsidentin mit ihrem Wahlblock "BJUT" zweitstärkste Kraft wird, kommt einer Ohrfeige für den Präsidenten gleich.
Traumpaar im Streit
Juschtschenko und Tymoschenko waren einst Verbündete. Doch nach Meinungsverschiedenheiten in der Wirtschaftspolitik und gegenseitigen Korruptionsvorwürfen schmiss der Präsident seine Regierungschefin aus dem Amt. Das Traumpaar der friedlichen Bürgerrevolution ging im Streit auseinander. Das Wählervotum könnte sie jetzt wieder zusammenführen. Eine Alternative gibt es dazu nicht, wenn das Scheitern der orange Reformideen verhindert werden soll.
Erfolge ausgeblieben
Das Wiedererstarken der Opposition zeigt, wie eng es für die Reformer in Kiew geworden ist. Viele Menschen sind von den bisherigen Ergebnissen der Reformpolitik enttäuscht. Vor allem Erfolge in der Wirtschaftspolitik sind ausgeblieben. Auch der Kampf gegen die Korruption, für den sich Präsident Juschtschenko so vehement eingesetzt hatte, ist irgendwo im Räderwerk des Machtapparates stecken geblieben. Viktor Janukowytsch und seine „Partei der Regionen" profitierten von diesen Fehlern und dem Zaudern des Präsidenten.
Droht Rückschlag für Reformprozess?
Jetzt steht Juschtschenko unter Druck. Schafft er es nicht, die Streitigkeiten mit Tymoschenko beizulegen, dann gelingt die Revanche der alten Kräfte. Dann muss sich Juschtschenko mit seinem Rivalen Janukowytsch arrangieren, indem er die Macht mit ihm teilt. Das wäre vielleicht noch nicht das Ende des politischen Aufbruchs der Ukraine nach Europa, aber ganz sicher ein schwerer Rückschlag für den Reformprozess.
Leicht wird Juschtschenko die Entscheidung für ein neues Bündnis mit Tymoschenko nicht fallen. Als Regierungschefin hatte Tymoschenko mit ihrer populistischen Wirtschaftspolitik westliche Investoren verunsichert. Politisch neigt sie zu Alleingängen. Sie ist alles andere als ein bequemer Koalitionspartner.
Doch Demokratie ist die Kunst des Kompromisses. Auch wenn die Koalitionsbildung schwierig werden wird - verglichen mit der Lage in Weißrussland sind die Wahlen in der Ukraine Ausdruck eines großen demokratischen Fortschritts.
Bernd Johann
DW-RADIO/Ukrainisch, 27.3.2006, Fokus Ost-Südost