Ohne Sitz und Stimme
23. September 2013"Sie suchen jemand, der am Boden zerstört ist? Dann sind Sie hier falsch!" Judith Skudelny klingt aufgeräumt, fast fröhlich bei der DW-Interviewanfrage zum Debakel der FDP. Aber die 37-jährige Juristin aus Leinfelden-Echterdingen in Baden-Württemberg ist alles andere als realitätsfern. Sie ist einfach nur gut aufgestellt: "Ich gehöre zu den Abgeordneten, die ihren Hauptberuf immer beibehalten haben. Ich bin selbstständige Insolvenzverwalterin und habe auch während meiner Tätigkeit im Bundestag in sehr geringem Umfang in diesem Beruf gearbeitet."
Für Judith Skudelny hat ihr vierjähriges Intermezzo im Parlament also vermutlich keine gravierenden existenziellen Konsequenzen. Auch der bisherige Gesundheitsminister Daniel Bahr gibt sich zuversichtlich: "Machen Sie sich mal um mich keine Sorgen, ich komme schon irgendwo unter", sagte er einem Reporter in Berlin.
Bei vielen anderen Abgeordneten, die 2009 durch das außergewöhnlich gute Ergebnis der FDP von 14,9 Prozent in den Bundestag gekommen waren, sehe das jedoch durchaus anders aus, sagt Politikwissenschaftler Gero Neugebauer: "Es gibt jüngere Leute, die Ende 2012 nach den ganzen Schwankungen und Pleiten bei den Landtagswahlen schon angefangen haben, nach Jobs Ausschau zu halten." Nach dem unerwartet guten Abschneiden der FDP bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Januar dieses Jahres hätten viele dann aber wieder damit aufgehört, weil sie ihre Partei im Aufschwung wähnten. "Und jetzt irren die im Gelände umher, haben keine Pensionsansprüche und müssen hoffen, dass sie was finden", so Neugebauer.
Keine "Frühstücksdirektoren" mehr
Eine Schwierigkeit für die Ex-Parlamentarier der Liberalen besteht nach Ansicht des Politikwissenschaftlers auch darin, dass sie nicht mehr so ohne Weiteres von ihrer Verankerung in der (gehobenen) Gesellschaft profitieren können: "Die Berliner Landschaft hat FDP-Politiker früher immer gern als sogenannte 'Frühstücksdirektoren' aufgenommen, zum Beispiel in landeseigenen Betrieben, in Banken und ähnlichen Einrichtungen. Das ist vorbei, solche Positionen gibt es nicht mehr. Wenn die keine Qualifikationen haben, finden sie auch nichts."
Betroffen sind nicht nur die 93 FDP-Abgeordneten. Gewissermaßen über Nacht sind auch deren knapp 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Jobs los. Judith Skudelny beschreibt die Situation so: "Wenn es so überraschend kommt, dann ist es, als wenn man einem den Teppich unter den Füßen wegzieht. Das ist eine sehr schwierige Situation für diese Menschen."
Neuer Anfang, neue Gesichter
Parteichef Philipp Rösler hat am Montag (23.09.2013) die Verantwortung für die dramatische Wahlniederlage der FDP übernommen und seinen Rücktritt angekündigt. Ähnliches wird auch von anderen Vorstands- und Präsidiumsmitgliedern erwartet. Möglicherweise wird Christian Lindner die neue Führungspersönlichkeit der Freien Demokraten. Der Vorsitzende des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen hat jedenfalls angedeutet, für das Amt zur Verfügung zu stehen.
Ob Lindner in die Fußstapfen von Parteigrößen wie Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel oder Otto Graf Lambsdorff treten kann, ob er polarisieren kann wie einst Jürgen Möllemann, das wird sich zeigen müssen. Gerade eine Partei wie die FDP, die sich in der Vergangenheit immer als Korrektiv der großen Volksparteien verstanden hat, lebe vom "gesellschaftlichen Konflikt", wie Gero Neugebauer es ausdrückt. Und der werde eben aufgrund der inhaltlichen Unterscheidungsmerkmale und durch markante Persönlichkeiten geführt - oder eben nicht: "Eine Partei braucht Köpfe, schon allein, um die Medien in ihrer Berichterstattung zu bedienen. Die Öffentlichkeit braucht Köpfe, um sie als Interpreten der Parteipolitik zu akzeptieren", so Neugebauer im DW-Gespräch. "Aber eine Partei mit einem diffusen Angebot und ohne Köpfe, die in der Lage sind, deutlich zu machen, wofür die FDP steht, die braucht wirklich eine lange Reha."
"Aufstehen, schütteln, weitermachen!"
Wie es mit der FDP weitergehen wird, ist noch vollkommen offen. Doch wer auch immer die Partei aus dem Tal unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde herausführen will: Die Solidarität der ehemaligen Abgeordneten scheint sicher. Judith Skudelny sagt von sich, sie sei vor der Wahl Liberale gewesen und sei es nach der Wahl mehr denn je: "Ich weiß, dass ich engagiert bin, dass ich nicht den Kopf in den Sand stecken werde, dass sehr, sehr viele so denken wie ich und dass wir beim nächsten Mal wieder dabei sein werden." Diese Zuversicht hat sie in gewisser Weise ihrem Sohn zu verdanken: "Der ist F-Jugend-Fußballspieler und da sag ich auch, ein verlorenes Spiel ist nicht alles. Aufstehen, schütteln, weitermachen! Und wenn ich will, dass meine Kinder das lernen, dann muss ich selber das auch können und unter Beweis stellen."