"Ohne ausländische Pflegekräfte geht es nicht“
19. Dezember 2018Litzeth Muñoz kann sich genau an den Tag erinnern, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hat: der 7. Mai 2018. An diesem Tag erhält die junge Mexikanerin die Nachricht, dass sie eine Ausbildungsstelle 10.000 Kilometer entfernt von ihrer Heimat ergattert hat: eine Ausbildung zur Pflegekraft in Deutschland. "Meine Eltern sagten mir, Du bist verrückt, Deutschland ist so weit weg. Was willst Du dort?"
Aber Muñoz ist felsenfest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Kurze Zeit später beginnt sie in Mexiko-Stadt den Intensiv-Sprachkurs, den ihr neuer Arbeitgeber aus Deutschland bezahlt. Am 30. Oktober steigt sie in den Flieger - und tauscht die Neun-Millionen-Einwohner-Metropole Mexiko-Stadt mit dem beschaulichen 35.000-Einwohner-Städtchen Riesa in Sachsen.
Deutsche Mentalität schon verinnerlicht
"Du arbeitest Dich halbtot in Mexiko, hast trotzdem zu wenig Geld und kaum Zeit für die Familie" - als ein Freund ihres Mannes die 28-Jährige auf das deutsche Angebot auf Facebook aufmerksam macht, muss Litzeth Muñoz nicht lange überlegen. In einem Hospiz hat sie jahrelang mit krebskranken Menschen gearbeitet, ihre Eintrittskarte für die Ausbildungsstelle. "Der Job reizt mich und natürlich auch Deutschland mit seiner Lebensqualität," erläutert Muñoz in nahezu perfektem Deutsch.
Mit ihren 14 Mit-Auszubildenden aus Mexiko wohnt sie im einem Seniorenzentrum und büffelt täglich die neue Sprache inklusive medizinischer Fachbegriffe. Aber vermisst Muñoz nicht ihren Mann, einen Anwalt, den sie erst einmal allein in Mexiko zurückgelassen hat? "Klar, aber ich muss mich jetzt auf andere Sachen konzentrieren. Ich will die nächste Prüfung bestehen" - Muñoz muss ein wenig über sich selbst lachen, wie sehr sie die deutsche Mentalität schon verinnerlicht hat.
"Der Markt der Pflegekräfte ist leer gefegt"
Sigrid Laffin-Hommes hört solche Sätze gerne. Für die Pressesprecherin der Azurit-Gruppe mit 55 Senioren- und Pflegezentren sowie 6000 Pflegeplätzen in Deutschland war der Versuch, auch in Lateinamerika nach Pflegekräften Ausschau zu halten, ein Volltreffer: "Wir sind begeistert, wie schnell unsere mexikanischen Auszubildenden Deutsch lernen und wie motiviert sie sind." Dass Pflegeunternehmen mittlerweile nicht nur in Osteuropa nach Personal suchen, sondern weltweit, habe einen einfachen Grund: "Der Markt ist leer gefegt. Wir haben in den letzten Jahren unglaublich in Marketing investiert, denn der Wettbewerb um Pflegekräfte ist heutzutage brutal."
Ein neues Einwanderungsgesetz müsse vor allem eine bundeseinheitliche Regelung zur Anerkennung beinhalten, findet Laffin-Hommes: "Derzeit kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen, man verzweifelt hier am Föderalismus." Außerdem sollte mehr Personal in den Ausländerbehörden her, "man muss immer wieder nachfragen und das dauert und dauert". So kommt es, dass gerade im Pflegebereich die Wirtschaft die Politik manchmal treiben muss. Dabei ist doch eines laut der Pressesprecherin der Azurit-Gruppe sonnenklar: "Wir werden die Pflege hier in Deutschland ohne ausländische Unterstützung nicht mehr gewährleisten können."
Fachkräfte auch aus Nicht-EU-Staaten gesucht
Bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung, kurz ZAV, hat man das schon lange verstanden. Dass die Mexikanerin Litzeth Muñoz bald deutsche Rentner pflegt, hat sie vor allem der Initiative der ZAV zu verdanken - sie fragte bei der Azurit-Gruppe nach, ob sie sich nicht einmal in Mexiko nach Pflegekräften umschauen wolle. "Das Ausbildungsniveau in der Pflege in Mexiko ist hoch und ermöglicht in der Regel eine Teilanerkennung in Deutschland", erläutert Alexander Wilhelm, der Geschäftsführer Internationale Zusammenarbeit in der ZAV.
Natürlich benötige die Vermittlung von Pflegekräften aus Nicht-EU-Staaten viel Zeit und Vorbereitung und ein besonderes Engagement der beteiligten Arbeitgeber, doch langfristig bleibe Deutschland keine andere Wahl. "In Süd- und Osteuropa geht aktuell durch die positive wirtschaftliche Entwicklung die Migrationsbereitschaft zurück, wir müssen die dringend benötigten ausländischen Fachkräfte gezielt aus Nicht-EU-Staaten gewinnen", sagt Alexander Wilhelm.
"Ich mag Deutschland"
Und so könnte Litzeth Muñoz Vorreiterin sein, genauso wie das Modell, Menschen wie sie schnell in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren: ein Deutschkurs bereits vor Ort, weil gerade die Sprache der Schlüssel zur Integration ist, die Unterkunft in einem Seniorenheim, um mit Deutschen frühzeitig in Kontakt zu treten. Und schließlich die Berufsanerkennung, in Muñoz‘ Fall eine mehrmonatige Ausbildung ab dem 1. April 2019 in Passau.
Die Mexikanerin fühlt sich nach sieben Wochen in Deutschland bereits heimisch: "Seit ich hier angekommen bin, ist es fast, wie zu Hause zu sein. Ich mag Deutschland!" Die nächste Bewährungsprobe steht allerdings kurz bevor: Ein stilles und besinnliches Weihnachtsfest in Deutschland statt einer lauten und fröhlichen Feier wie in Mexiko. "Kein Problem", sagt Litseth Muñoz mit einem Schmunzeln: "Unser Leiter hat uns schon gesagt, dass wir alle zusammen in ein mexikanisches Restaurant gehen!"