Der "despektierliche" Geldbeschaffer
9. Januar 2017Zweieinhalb Stunden muss sich Günther Oettinger am Montag den Fragen des EU-Parlaments stellen. Viele davon mit einer Stoßrichtung: Der deutsche Kommissar habe nicht mehr die Glaubwürdigkeit, dieses Amt auszufüllen. Dabei hätte die nunmehr siebenjährige EU-Karriere Oettingers eine Erfolgsstory sein können. Als Ministerpräsident Baden-Württembergs geschasst, belächelten viele in Brüssel den Schwaben anfänglich zwar noch, unter anderem wegen seiner ulkigen Aussprache im Englischen. Schnell aber zeigte der konservative Politiker, warum man ihn nicht unterschätzen sollte. Sein bisher größter Erfolg in Brüssel: Als Kommissar für Energie schaffte er es durch Beharrlichkeit und fachliche Kompetenz, den Gas-Streit zwischen der Ukraine und Russland beizulegen. Eine Leistung, die ihm viele nicht zugetraut hätten, schließlich standen sich beide Parteien damals wie heute in einem erbitterten kriegsähnlichen Konflikt gegenüber.
Soweit so gut, wären da nicht die regelmäßigen Ausrutscher, die sich der deutsche Politiker leistet. Wäre er ein Eiskunstläufer, so hätte er wohl wegen zahlreicher Fehler in der Kür - nicht in der Pflicht - keine Chance auf die Medaillenplätze. Ein Beispiel hierfür ist seine Hamburger Rede im Oktober 2016, in der er Chinesen als "Schlitzaugen" bezeichnete. Für manche war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, Rufe nach einem Rücktritt wurden laut.
Schon wenige Monate vorher war Oettinger in die Kritik geraten, als er im Privatflugzeug des Russland-Lobbyisten Klaus Mangold mitflog. Er habe "Zweifel", so Jens Geier von den europäischen Sozialdemokraten (S&D), ob Oettinger als Personalkommissar geeignet sei. Der Kommissar selbst zeigte sich am Montag reuig und entschuldigte sich mehrfach.
Haushalt verringern, Einnahmen erhöhen
Die Debatte um "Lobby-Hörigkeit" und "despektierliche Aussagen", wie es Julia Rede von den Grünen nennt, verdeckt allerdings den Blick auf das, worum es bei der Ernennung Oettingers zum Kommissar für Haushalt und Personal wirklich geht: Nicht weniger als die Rolle der Deutschen in einer Europäischen Union ohne Großbritannien. Mit dem Brexit, also dem wahrscheinlichen Austritt der Briten aus der EU, verliert Deutschland nicht nur einen seiner wichtigsten Verbündeten in wirtschaftlichen Fragen und die Union selbst ein Gegengewicht zu möglicher deutscher Dominanz. Die EU verliert mit dem britischen Nettozahler auch eine Menge Geld, das Vereinigte Königreich überweist jährlich bis zu zehn Milliarden Euro mehr nach Brüssel, als von dort ins Land zurückkommen.
Die Frage nun ist also, wer soll das entstehende Loch stopfen? Auf diese Frage blieb Oettinger vage, sprach von einem Mittelweg zwischen Haushalt verringern und Einnahmen erhöhen. Die Beförderung des Schwaben spricht allerdings Bände darüber, wie sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das mit den Mehreinnahmen vorstellt. "Natürlich erhofft sich die Kommission mehr Einfluss auf Deutschland durch die Entscheidung", bestätigt ein EU-Beamter gegenüber der Deutschen Welle. In anderen Worten: Oettinger soll frisches Geld in Berlin besorgen. Schließlich ist er Merkels Kommissar, die Bundeskanzlerin schlug ihn 2009 für den Posten vor. Mit dem deutschen Finanzminister verbindet den frischgebackenen Haushalts-Kommissar auch einiges. Wolfgang Schäuble und er gehören dem gleichen CDU-Landesverband an und stammen beide aus Baden-Württemberg. Seine Qualitäten in der Pflicht, also als potenzieller Geldbeschaffer, sollen seine Ausrutscher in der Kür aufwiegen.
Viel Angriffsfläche
Aber die Ernennung Oettingers auf den neuen Posten und möglicherweise auch zu einem der Vizepräsidenten der EU-Kommission könnte noch für eine Menge Krach sorgen. Zum einen drückt der Kommissionspräsident damit einen Kandidaten durch, der im Parlament auf viel Widerstand stößt. In letzter Instanz muss aber gerade dieses Parlament den EU-Haushalt verabschieden. Darüber hinaus fühlen sich einige Parlamentarier von Juncker provoziert, da er die Anhörung am Montag nicht abwartete und Oettinger bereits im Dezember ernannte. Formal ist das korrekt, aber Kritiker wie der S&D-Politiker Geier sehen darin dennoch eine "Missachtung des Parlaments". Die Anhörung sei ein fachlicher sowie ethischer Eignungstest.
Fachlich, das wurde am Montag deutlich, muss sich Oettinger wenig Sorgen machen. Am Ende ging es bei den meisten Fragen dann doch um seinen neuen Job als Haushalts-Kommissar, er antwortete ruhig und kompetent. Sein neuer Wirkungsbereich liegt ihm aufgrund seiner Erfahrungen als Regierungschef in Baden-Württemberg vermutlich mehr als sein bisheriges Digital-Ressort. Aber er bietet viel Angriffsfläche, einerseits ethisch, andererseits weil er Deutscher ist. Seine Ernennung ist ein zweischneidiges Schwert. "Die Deutschen sind dabei, ihren Einfluss in den EU-Institutionen auszubauen", so der EU-Beamte, "die anderen Mitgliedsstaaten werden das langfristig nicht unbedingt schätzen." Eine Beruhigungspille für all diejenigen, die eine zu große deutsche Dominanz in der EU fürchten, liegt allerdings bereit: Bei der Wahl zum nächsten Präsidenten des EU-Parlaments kommende Woche gibt es keinen deutschen Kandidaten.