OECD traut Deutschland erst 2024 wieder Wachstum zu
7. Juni 2023Die OECD traut der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr kein Wachstum zu, sondern erst wieder 2024. "Die hohe Inflation schmälert die Realeinkommen und Ersparnisse", hieß es am Mittwoch in einer neuen Analyse der Industriestaaten-Organisation. 2023 werde die Wirtschaft stagnieren, nächstes Jahr dann um 1,3 Prozent wachsen - im langfristigen Schnitt beides schwache Werte. Die Schätzung für 2023 hatte zuletzt noch bei 0,3 Prozent gelegen. Für 2024 ist sie unverändert.
Der private Konsum dürfte angesichts der höchsten Inflation seit Jahrzehnten zunächst ein Bremsfaktor bleiben. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing hatte kürzlich gesagt, mindestens 30 Prozent der Kunden von Banken könnten ihre normale Ausgaben nicht mehr aus ihrem Einkommen bestreiten, sondern müssten an die Ersparnisse ran. Der Export dürfte dagegen laut OECD Wachstumsimpulse liefern, weil sich die Lieferkettenprobleme allmählich auflösen und der Auftragsbestand hoch ist.
Ähnliche Einschätzung wie der IWF
Der Internationale Währungsfonds hatte die Lage zuletzt ähnlich eingeschätzt. Laut IWF wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr in etwa stagnieren, von 2024 bis 2026 dann um jeweils ein bis zwei Prozent zulegen. Die Bundesregierung ist dagegen etwas optimistischer. Sie rechnet 2023 mit einem Wachstum von 0,4 Prozent, 2024 dann mit 1,6 Prozent.
Nach Einschätzung der OECD wird die Inflation in Deutschland mit 6,3 Prozent in diesem Jahr und 3,0 Prozent im nächsten Jahr viel zu hoch für den Geschmack der Notenbanken bleiben, aber zumindest zurückgehen. Die Reallöhne dürften 2024 dank deutlicher Zuwächse nach den jüngsten Tarifrunden wieder steigen und den Konsum stabilisieren. Hier prognostiziert die OECD für Deutschland 2023 ein Minus von 1,4 Prozent, 2024 dürfte der private Verbrauch aber um 1,6 Prozent zulegen. Die staatlichen Ausgaben dürften 2023 um 3,9 Prozent sinken, nächstes Jahr dann aber wieder um 1,4 Prozent steigen. Der Export von Waren und Dienstleistungen dürfte dieses Jahr um 1,1 und 2024 dann um 2,4 Prozent zunehmen.
"Ein erhebliches Abwärtsrisiko bergen die Gaspreise und eine potenzielle Gasrationierung im kommenden Winter", so die OECD. Ein Ende des Krieges in der Ukraine würde die Konjunkturaussichten dagegen stärken und die Energiepreise drücken. "Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sollten die Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie älteren und geringqualifizierten Arbeitskräften erhöht und die Aus- und Weiterbildung verbessert werden."
Auch Weltwirtschaft wächst nur wenig
Die Weltwirtschaft hat nach Einschätzung der OECD die Talsohle vermutlich durchschnitten. Der Weg zu einer kräftigen Konjunkturerholung sei jedoch weit. Im Vergleich zur Vergangenheit werde sie schwach ausfallen. "Für 2023 rechnen wir mit einem globalen Wachstum von 2,7 Prozent, das sich 2024 leicht auf 2,9 Prozent beleben dürfte. Damit wird es immer noch deutlich unter dem Durchschnitt der zehn Jahre vor der Corona-Pandemie liegen." 2022 hatte das Wachstum noch bei 3,3 Prozent gelegen. Die Schätzung für 2023 wurde gegenüber der vorherigen Prognose aus dem März um einen Zehntelpunkt angehoben, die für 2024 blieb unverändert.
Die Kerninflation ohne die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise bleibe zu hoch, ebenso wie die Verschuldung, warnten die OECD-Experten. Weitere Zinserhöhungen seien im Kampf gegen hohe Teuerungsraten wohl nötig. "Die Wirkung der gestiegenen Zinsen macht sich in immer mehr Wirtschaftszweigen bemerkbar." Dies werde Schwachstellen im Finanzsystem offenlegen, vor allem in Ländern mit hoher Verschuldung. Im Fall solcher Probleme sollten Notenbanken Liquidität zur Verfügung stellen, um Ansteckungseffekte zu verhindern.
hb/tko (rtr)