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Odyssee nach Europa

Falah Elias / KK27. April 2015

Ein junger Syrer floh vor der Gewalt in seinem Heimatland nach Europa. Die Route führte über Libyen und das Mittelmeer. Um sein Ziel zu erreichen, musste er viele Gefahren und Strapazen auf sich nehmen.

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Flüchtlingsboot im Mittelmeer - foto. Marco Di Lauro (Getty Images)
Bild: Marco Di Lauro/Getty Images

Lange hatte er gezögert, doch dann entschloss er sich, sein Heimatland zu verlassen. Denn dort, in Syrien, war das Leben seit Ausbruch des Krieges unerträglich geworden. Also machte sich Majid al-Yousuf (Name von der Redaktion geändert) auf den langen Weg von Damaskus über die Türkei, Algerien, Libyen und Italien bis nach Deutschland.

"In Damaskus studierte ich Informatik im sechsten Semester ", berichtet Majid im Gespräch mit der DW. "Doch die Lage wurde immer schwieriger, und so gab ich das Studium auf. Wir, mein jüngerer Bruder und ich, brachten unseren Vater dazu, seinen Wagen zu verkaufen. Unser Onkel lieh uns weiteres Geld, und so verfügten wir schließlich über insgesamt 8000 US-Dollar für die Flucht."

Bei den Vorbereitungen wurden Majid und sein Bruder von Freunden unterstützt. Weitere Hilfe fanden sie in den sozialen Netzwerken. Syrische Landsleute, denen die Reise nach Europa bereits gelungen war, gaben hier Ratschläge und Hinweise zu den besten Routen. "Auf diese Weise kamen wir auch in Kontakt zu einer Schmugglergruppe in Algerien. Diese hatte ihrerseits Kontakte zu einer weiteren Gruppe in Libyen."

In den Händen der Menschenschmuggler

Flüchtlinge in Seenot - Foto: Argiris Mantikos (Eurokinissi)
Bild: REUTERS/Argiris Mantikos/Eurokinissi

Die erste Etappe führte sie mit dem Flugzeug aus der Türkei nach Algerien. "Eine problemlose Strecke", berichtet Majid, "denn die algerischen Grenzen stehen Syrern offen."

Vom Flughafen ging es dann weiter in Richtung der libyschen Grenze. Zwölf Syrer hätten sich dafür zusammengefunden, berichtet Majid. "Jeder von uns zahlte für diesen Teil der Reise 300 Dollar. Kurz nach dem Start wurden wir an eine andere Schmugglergruppe übergeben, die uns über die Grenze in die libysche Wüste brachte. Dort übernahm uns eine weitere Gruppe, die uns bis an die Küste brachte. Von dort ging es dann nach wenigen Ruhestunden direkt weiter."

In der Regel kassierten die Schmuggler pro Person 600 Dollar für die Überfahrt nach Italien", berichtet Majid. "Wir aber zahlten ihnen je 1100 Dollar. Dafür wollten wir an Bord anständig behandelt werden und Essen und Trinken bekommen. Außerdem wollten wir sicherstellen, dass wir alle zusammen auf dasselbe Boot kamen." Bald aber mussten sie feststellen, dass man sie getäuscht hatte. "Sie nahmen uns unsere Koffer ab, um das Gewicht zu erleichtern, so dass das Boot noch mehr Leute aufnehmen konnte."

Menschenschmuggel in aller Öffentlichkeit

In Libyen fiel Majid vor allem eines auf: "Sämtliche Schmuggler sind miteinander vernetzt. Jede Gruppe kontrolliert zwar ihr eigenes Terrain. Aber ich glaube, sie bilden alle zusammen eine einzige Gang." Und noch etwas fiel ihm auf: "Libysche Soldaten beobachteten den Fluchtversuch zwar. Doch sie krümmten keinen Finger."

Der deutsche Journalist Wolfgang Bauer hat während seiner Recherche ähnliche Erfahrungen gemacht. Zusammen mit einem Freund hatte er sich als Flüchtling ausgegeben, der von Ägypten über das Mittelmeer nach Italien reisen wollte. Doch die Reise kam nicht zustande. Stattdessen fuhr Bauer nach Libyen. In Misrata und dem Städtchen Zuwara, im äußersten Westen des Landes gelegen, konnte er die Schmuggler aus nächster Nähe beobachten. Auch er berichtet, dass sie ihrer Arbeit in aller Öffentlichkeit nachgingen.

Anders sieht es dagegen in der Stadt Tobruk, im Osten des Landes, aus. In Libyen beanspruchen derzeit zwei Regierungen die Macht. Eine von ihnen hat ihren Sitz in Tobruk. Sie bekämpft die Schmuggler. Auf diese Weise will sie Ärger mit dem Westen vermeiden. Denn der erkennt sie - und nicht die Regierung in Tripolis - als legitime Staatsspitze an.

Horror auf dem Mittelmeer

Für Majid aber ging die Reise in Zuwara im äußersten Westen weiter. "Wir stiegen in ein kleines Schlauchboot, das uns zu einem größeren Boot brachte. Dort begann der Horror." Auf diesem Boot, berichtet er, fanden sich rund 300 Personen zusammen. "Die Schmuggler wiesen alle jungen Männer an, sich in den Maschinenraum im Unterdeck zu begeben. Die Frauen und Kinder hingegen blieben oben."

Flüchtlingsboot an einem Frachtschiff - Foto: Opielok Offshore Carriers (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Opielok Offshore Carriers

"Unter Deck war es sehr heiß, und es gab kaum Luft. Es gab nur eine einzige Luke. Durch diese strömte zumindest ein bisschen Luft herein. Trotzdem: Viele Menschen übergaben sich und wurden ohnmächtig. Die Situation war unerträglich."

Außerdem fühlten er und seine Freunde sich betrogen. "Denn obwohl wir je 1100 Euro bezahlt hatten, behandelte man uns, als hätten wir 600 bezahlt."

Ankunft in Italien

Die Reise dauerte sechs Stunden. Dann stieß das Boot auf ein Schiff der italienischen Küstenwache. Dessen Besatzung nahm die Passagiere auf und brachte sie in ein Flüchtlingszentrum, wo man sie mit Essen und Trinken versorgte und ihnen eine erste Unterkunft zur Verfügung stellte.

Passagiere berichteten später, das Schiff sei nicht von einem der Schmuggler gesteuert worden, sondern von einem Flüchtling, der sich ein wenig in Navigation auskannte. "Sie hatten ihm ein GPS-Gerät und ein satellitengestütztes Telefon in die Hand gedrückt", erzählt Majid. "Im Notfall sollte er damit die italienischen Rettungsdienste kontaktieren."

Auf verschlungenen Wegen hatte Majid Italien schließlich erreicht. Alle Wege führen nach Rom, heißt es, doch darauf konnten die Flüchtlinge nur hoffen. Denn die Ankunft dort war und ist für sie keinesfalls garantiert. Viele, die dorthin wollen, ertrinken Tag für Tag im Mittelmeer. Dieses wird so zum Grab ihrer Träume.