Obamas Erbe
12. Januar 2016Nur wenigen US-Präsidenten ist es vergönnt, zwei volle Amtszeiten im Weißen Haus zu verbringen. Das bringt die Chance, das letzte Amtsjahr mit der traditionellen Rede zur Lage der Nation vor beiden Kammern des Kongresses einzuläuten und dabei ganz bewusst eine Bilanz zu ziehen. In den vergangenen 50 Jahren gelang dies nur Ronald Reagan, Bill Clinton und George W. Bush - und nun Barack Obama. Und wie seine Vorgänger auch wird Präsident Obama seine letzte Rede zur Lage der Nation an diesem Dienstag hauptsächlich nutzen, um seinen Platz in der amerikanischen Geschichte zu reklamieren.
In einer vergangene Woche veröffentlichen Videobotschaft zur bevorstehenden State-of-the-Union-Ansprache kündigte der Präsident denn auch schon selbst an, dass sich er sich in einer seiner letzten großen Reden nicht wie traditionell üblich mit der politischen Agenda für das laufende Jahr befassen werde, sondern einen größeren Bogen spannen wolle.
Rückblick auf Präsidentschaft
"Obama wird sicherlich auch zu bestimmten Politikbereichen Stellung nehmen, aber nur insofern sie ihm helfen, seine 'präsidiale Größe' zu bekräftigen, also sich als historisch bedeutender Präsident darzustellen", sagt Jennifer Mercieca, Expertin für politische Rhetorik an der Texas A&M University.
In seiner Rede dürfte Obama seinen Mitbürgern denn auch schildern, wie schwierig die Situation zu Beginn seiner Amtszeit war und wie viel besser es seither unter seiner Führung geworden ist. Schließlich ist ein Grundmerkmal von allgemein als "groß" oder "historisch bedeutend" anerkannten Präsidenten wie George Washington, Abraham Lincoln oder Franklin D. Roosevelt, dass sie die USA erfolgreich durch schwierige Zeiten geführt haben.
Und tatsächlich kann Obama nach sieben Jahren Amtszeit durchaus Erfolge für sich reklamieren. "Er hat Amerika aus einer tiefen Rezession geführt, eine Gesundheitsreform verabschiedet, Wall Street reformiert", betont Iwan Morgan, Professor für US-Studien am University College London. Außenpolitisch kann er auf das Atomabkommen mit dem Iran, das Ende der politischen Eiszeit mit Kuba und den Klimapakt von Paris verweisen.
Innere und äußere Sicherheit
Aber um sich so lange wie in seinem letzten Amtsjahr noch möglich als handelnder Präsident zu präsentieren statt als "Lame Duck", also mehr oder weniger machtloser Politiker am Karriereende, wird Barack Obama sich selbst wohl zumindest ein aktuelles Thema auf die politische Agenda setzen: die innere und äußere Sicherheit der Vereinigten Staaten.
"Er könnte sagen, es gibt zwei Probleme, die die Sicherheit Amerikas bedrohen", sagt Iwan Morgan. "Zu Hause ist es die einfache Verfügbarkeit von Waffen für Leute, die sie nicht besitzen sollten. Und von außen ist es die Bedrohung durch den IS."
Zumindest auf den ersten Aspekt - die Verschärfung der US-Waffengesetze - wird er in seiner Rede wohl erneut ausführlicher eingehen und es damit endgültig zu seinem zentralen Anliegen in seinem letzten Amtsjahr machen. Zuvor hatte er das Thema bereits durch eine emotionale Ansprache bei einem Town-Hall-Meeting mit CNN und durch einen Artikel in der New York Times vorangetrieben.
Brücke zu Clinton
Mit dem Fokus auf die Waffengesetze in den USA schlägt Obama mehrere Fliegen mit einer Klappe. Er hat ein konkretes politisches Thema an dem er sich abarbeiten kann, ohne zum Erfolg verpflichtet zu sein, denn die Macht der amerikanischen Waffenlobby ist mittlerweile allgemein bekannt.
Der Kampf gegen die National Rifle Association (NRA) garantiert Obama in seinem letzten Amtsjahr aber auch weiterhin die Aufmerksamkeit der Bürger und Medien. Denn bei kaum einem anderen Thema ist das Land so gespalten wie wenn es um Waffen geht.
Und schließlich baut Obama mit seinem Kampf für schärfere Waffengesetze eine wichtige thematische Brücke zu seiner möglichen Nachfolgerin - Hillary Clinton. Sie lobte seine Initiative und betonte, der nächste Präsident müsse diesen Weg fortsetzen und nicht wieder einebnen.