Was steckt hinter dem Wettskandal?
5. Februar 2013"Die Zahlen sind beängstigend", sagte in einer ersten Reaktion der Manager der Fußball-Nationalmannschaft Oliver Bierhoff. 380 Spiele in 15 europäischen Ländern stehen unter Manipulationsverdacht. 425 Personen sollen in die Manipulationen involviert gewesen sein. Allein in Deutschland gelten 70 Spiele als verschoben. Das sind mehr Begegnungen, als die im bislang größten Ermittlungsverfahren bekannt gewordenen 51 Spiele, die von der Bochumer Sonderkommission (SOKO) "Flankengott" als verdächtig eingestuft worden waren.
Ob es sich um ganz neue Erkenntnisse handelt, ist dennoch fraglich. "Viele der betroffenen Spiele waren uns schon bekannt", sagte Althans. Ein Sprecher seiner Behörde ging gegenüber der "Rheinischen Post" noch weiter: "Es gibt keine neuen Erkenntnisse, was den deutschen Fußball betrifft." Da bleibt die Frage: Warum waren die 19 Spiele, die jetzt in der Bilanz der Europol-Operation Veto auftauchen, nicht Gegenstand des Strafverfahrens gegen den Wettpaten Ante Sapina & Co.?
Im Fall der Türkei liegen die Daten der SOKO "Flankengott" und von Operation Veto näher beieinander. Von 74 Spielen türkischer Ligen war in Bochum die Rede. Jetzt werden 79 erwähnt. Auch die Zahlen der insgesamt verschobenen Spiele in Europa ähneln sich. 270 Partien nannte Bochum, 380 Europol. Addiert man ein knappes Dutzend bislang bekannt gewordener Manipulationen in Finnland und 70 bis 80 Spiele, die Gegenstand der Ermittlungen dreier italienischer Staatsanwaltschaften sind und die allesamt nicht Eingang in das Bochumer Verfahren fanden, dann ist Operation Veto kaum mehr als eine Sammlung bisheriger Untersuchungsergebnisse.
Konservative Sammlung
Es ist zudem eine Sammlung, die hinter bekannten Verdachtszahlen weit zurückbleibt. Auf Anfrage der DW sagte der Sprecher des von der FIFA 2007 eingerichteten Early Warning Systems EWS, dass 2011 und 2012 insgesamt 1500 Spiele unter die Lupe genommen wurden. Es deutet sich an: Worüber Oliver Bierhoff erschrickt, ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Als "Spitze des Eisbergs" bezeichnete auch Europol-Chef Rob Wainwright die Ergebnisse von Operation Veto.
Eine neue Qualität haben diese Ermittlung dennoch. Erstmals wurden die Erkenntnisse verschiedener europäischer Polizeibehörden in einer Untersuchung zusammengeführt. Europas Polizisten sind endlich einmal auf einem ähnlichen Kooperationsniveau wie die Wettbetrüger selbst. Denn die arbeiten traditionell ohne Rücksicht auf Ländergrenzen. Die bisher gefassten beziehungsweise mit Haftbefehl gesuchten Personen in diversen europäischen Ermittlungen waren deutscher, Schweizer, italienischer, ungarischer, serbischer, kroatischer, albanischer, norwegischer, kosovarischer, türkischer, maltesischer und singapurianischer Nationalität. Unter ihnen waren Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Vereinsangestellte, Verbandsoffizielle und gewöhnliche Kriminelle.
"Wie globale Unternehmen"
"Diese Netzwerke sind wie globale Unternehmen. Sie operieren überall dort, wo sie Profit machen können", schätzte der Staatsanwalt der Mega-Ermittlung "Last Bet" aus Cremona, Roberto di Martino, in einem früheren Gespräch mit dem Autor die Situation ein. Sie bedienen sich dabei korruptionsanfälliger Personen. Der Auslöser der Ermittlung "Last Bet", der Drittliga-Torwart Marco Paoloni, war durch eigene Spielsucht in Versuchung geraten, der Berliner Schiedsrichter Robert Hoyzer, eine Zentralfigur der ersten Bochumer Ermittlung, vor allem durch Geltungsdrang.
Wuchern können die Netzwerke dank der Dynamik des modernen Fußballs. "Spieler und Betreuer ziehen schnell von einem Verein zum anderen. Sie halten aber Verbindung miteinander. Und wenn diese Kontakte dazu genutzt werden, Spiele zu manipulieren, verbreiten sie sich schnell über unzählige Vereine", erklärt der einstige Chefermittler aus Cremona, Sergio Lo Presti, die lawinenartige Entwicklung der letzten Jahre. In Italien wurden bislang 40 Spieler und Ex-Spieler vom Sportgericht verurteilt. Weitere Verfahren stehen an. In Italien gibt es - anders als in Deutschland - einen Straftatbestand Sportbetrug, der juristische Konsequenzen ermöglicht.
Die Spitze der Pyramide
All diese Verfahren zielen aber nur auf die mittleren und unteren Ebenen der Betrugspyramide. Deren Spitze ist in Singapur und Malaysia beheimatet. Bereits die SOKO "Flankengott" hatte auf Auftraggeber in Südostasien hingewiesen. Die Ermittler von "Last Bet" nannten konkrete Namen und stellten einen Haftbefehl auf Eng Tan Seet, genannt Dan Tan, aus. "Er steht an der Spitze einer betrügerischen Organisation, die sich den ganzen Erdball in Einflusszonen aufgeteilt hat", begründete Chefermittler Lo Presti den Haftbefehl. Dieser wurde über Interpol nach Singapur überstellt. Eine Sprecherin des dort zuständigen Corrupt Practices Investigation Bureau (CPIB) teilte der DW lapidar mit: "Wir sind nicht Mitglied von Interpol." Operation Veto klassifizierte sie als eine "Europol-Interpol-Ermittlung". Das Kernland der Wettbetrüger bleibt weiterhin eine "Terra Incognita" für europäische Ermittler. Daran scheint auch Operation Veto nichts ändern zu können.