Nukleares Wettrüsten
18. Oktober 2006Macht das Vorbild Nordkorea schon bald Schule? Immerhin verfügen laut Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bis zu 30 Länder über die notwendige Technologie für die Entwicklung von Atomwaffen. Das gegenwärtige politische Klima auf der Erde sei nicht dazu angetan, das Sicherheitsbedürfnis vieler Staaten zu befriedigen. Deswegen sei die Versuchung groß, Atomwaffen zu entwickeln, sagte IAEA-Chef Mohammed el Baradei am Rande eines Symposiums zur Nichtverbreitung von Atomwaffen, das die IAEA noch bis zum Freitag (20.10.) in Wien veranstaltet.
Nicht nur "Schurkenstaaten" im Visier
Die Warnung El Baradeis kommt durchaus überraschend. Schließlich gibt es offiziell nur fünf Atommächte: die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Von lediglich vier weiteren Staaten - Indien, Pakistan, Israel und nunmehr auch Nordkorea - wird vermutet, dass sie über Atomwaffen verfügen.
Doch El Baradei hatte keineswegs nur "böse Schurkenstaaten" wie Nordkorea im Blick, sondern auch Industrieländer wie Deutschland, Japan, Belgien, Kanada oder Schweden, die technisch zum Bau einer Atombombe in der Lage sind. Denn: "Es ist einfacher, eine Nuklearexplosion herbeizuführen, als einen Reaktor zu betreiben", sagt Annette Schaper, Projektleiterin der Forschungsgruppe Rüstungskontrolle und Abrüstung bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Besitzen also Länder wie der Iran erst einmal die Technologien zur zivilen Nutzung der Atomenergie, könnten sie - rein theoretisch - auch eine Atombombe bauen.
Zieht jetzt ganz Asien nach?
Ein Ende der "scheußlich stabilen Welt", wie George Orwell das Atomzeitalter einmal nannte, ist somit noch lange nicht Sicht. Von einem "Gleichgewicht des Schreckens" wie zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion kann allerdings keine Rede sein, eher schon von einem Rüstungswettlauf: "Vor allem in asiatischen Ländern wie Taiwan, Indonesien, Südkorea und Japan wird die Kernwaffenfrage jetzt wieder neu diskutiert", betont Götz Neuneck, Abrüstungsexperte am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik.
Zwar hat Japan offiziell noch nicht einmal eine Armee. Offiziell lehnt das Land auch den Bau, Besitz und die Stationierung von Atomwaffen auf eigenem Boden ab. Dennoch habe El Baradei mit seiner Warnung vor allem auf japanische Rüstungsbestrebungen angespielt, ist sich Nuklearexpertin Schaper sicher. Rein technisch ist Japan zum Bau einer Atombombe bereits jetzt in der Lage: "Japan besitzt erhebliche Mengen an Plutonium und Raketentechnologie", erläutert Neuneck. Ein Rüstungswettlauf könne nun durch die Drohung Nordkoreas, einen zweiten Atomtest durchzuführen, Auftrieb erhalten.
Größte Gefahr: der Nuklearterrorismus
Am Dienstag (17.10.06) reagierte die internationale Gemeinschaft entsetzt auf Hinweise, wonach Nordkorea einen zweiten Atomwaffentest plane. "Wenn sie glauben, dass wir das durchgehen lassen, werden sie merken, dass sie Unrecht haben", sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Tony Snow, in Washington.
Atom-Experten sind sich aber einig, dass die weitaus größere Gefahr nicht von Staatslenkern ausgeht, die "Dr. Seltsam" spielen, sondern von Terroristen. "Als Quelle für Nuklearterroristen kommt nicht nur Nordkorea infrage, sondern vor allem auch Pakistan", betont Sicherheitsexpertin Schaper.
Pakistan war bereits in der Vergangenheit wenig zimperlich mit der Weitergabe seines nukleartechnischen Knowhows. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen hatte die inoffizielle Atommacht allem Anschein nach drei Länder mit entsprechenden Technologien ausgerüstet: Nordkorea, Libyen und den Iran.