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Gutachter in Erklärungsnot

Marcel Fürstenau z.Zt. München
18. Mai 2017

Psychiater Joachim Bauer schildert die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe als Opfer ihrer schweren Kindheit. Dass sich sein Befund strafmildernd auswirkt, hält DW-Reporter Marcel Fürstenau für unwahrscheinlich.

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München NSU-Prozess am 03.05.2017
Bild: Getty Images/AFP/M. Dalder

Für die Bundesanwaltschaft steht fest: Beate Zschäpe war Mitglied einer terroristischen Vereinigung, die sich selbst den Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gegeben hat. Der schwerwiegendste von einer ganzen Reihe Anklagepunkte lautet auf zehnfachen Mord. Motiv: Fremdenhass. Vier Jahre nach dem Beginn des NSU-Prozesses vor dem Münchener Oberlandesgericht spitzt sich der Streit um zwei Gutachten über die Schuldfähigkeit der Hauptangeklagten zu.

Der Freiburger Psychiater Joachim Bauer attestierte ihr Anfang Mai eine Persönlichkeitsstörung, die er auf frühkindliche Vernachlässigung zurückführt. Deshalb hält er Zschäpe zum Zeitpunkt der Taten für nur eingeschränkt schuldfähig. Am Donnerstag muss sich Bauer den Nachfragen des Strafsenats, der Bundesanwaltschaft und der Nebenkläger-Anwälte stellen. Und die haben viele Fragen. Erst nach acht Stunden endet die - wie üblich - mehrmals unterbrochene Vernehmung. Nur wenige der inzwischen 363 Verhandlungstage dauerten so lange.

Freundlich formulierte Kritik am "geschätzten" Kollegen

Entstanden ist Bauers Gutachten in enger Abstimmung mit den Zschäpe-Verteidigern Mathias Grasel und Hermann Borchert. Auslöser war das für ihre Mandantin unerfreuliche Gutachten des vom Gericht bestellten Psychiaters Henning Saß. Der hatte Zschäpe zu Beginn dieses Jahres volle Schuldfähigkeit bescheinigt und das Potenzial, nach verbüßter Strafe rückfällig zu werden. Bauer zeichnet ein wesentlich positiveres Bild von der 42-Jährigen als sein "geschätzter" Kollege.

München NSU-Prozess am 03.05.2017
Enge Absprache: Psychiater Joachim Bauer (li.) im Gespräch mit Beate Zschäpes Verteidiger Mathias GraselBild: Getty Images/AFP/M. Dalder

Dessen Beurteilung der mutmaßlichen Rechtsterroristen kann er nichts Positives abgewinnen. Begründung: Ein Gutachten könne nur aussagekräftig sein, wenn die Gelegenheit bestehe, mit der betreffenden Person zu sprechen - und zwar "über die Körpersprache hinaus". Damit spielt Bauer auf den Umstand an, dass Saß Zschäpe seit Prozessbeginn im Mai 2013 nur beobachten konnte. Ein Gespräch verweigerte sie. Mit Bauer hat sie hingegen seit Februar mehrmals geredet, insgesamt 14 Stunden. Sein Fazit: Zschäpe sei "glaubwürdig".

Richter Götzl fragt nach dem "Auftrag" der Verteidiger

Ihrer Darstellung zufolge hat sie in den über 13 Jahren im Untergrund stets erst im Nachhinein von den Mordtaten ihrer Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erfahren. Das habe sie entsetzt, aber sie habe sich nicht von ihnen trennen können. Weil sie Böhnhardt geliebt habe und beide Männer damit gedroht hätten, sich umzubringen, bevor sie ins Gefängnis gehen müssten. Zschäpe habe nicht schuld am Tod der Männer haben wollen.

München NSU Prozess Beate Zschäpe
Sie habe nicht mit ihm geflirtet, berichtete Bauer ungefragt über Beate Zschäpe, angeklagt wegen zehnfachen MordesBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

All das ist der Öffentlichkeit seit Dezember 2015 bekannt, als Zschäpe ihr jahrelanges Schweigen brach. Wirklich Neues findet sich also nicht in dem Gutachten. Diesen Eindruck hat anscheinend auch der Vorsitzende Richter. "War die Glaubwürdigkeit Frau Zschäpes Auftrag der Verteidiger?", fragt Manfred Götzl. Bauer verneint, es sei darum gegangen, ob ihre Aussagen glaubwürdig seien.

Obwohl niemand danach fragt, fügt Bauer hinzu, Zschäpe habe nicht versucht, eine "gute Figur" zu machen oder sich als "Opfer" darzustellen. Sie habe auch nicht versucht, ihn zu "beflirten" oder zu "bezirzen". Es sei eine "knochentrockene" Gesprächsatmosphäre gewesen.

Pralinen für Beate Zschäpe

Auf der Zuhörer- und Pressetribüne macht sich eine Mischung aus Heiterkeit und Kopfschütteln breit. Erst recht, als Nebenkläger-Anwalt Sebastian Scharmer eine für Bauer besonders peinliche Frage stellt: Ob es stimme, dass er bei seinem Gespräch mit Zschäpe am 4. Mai eine Schachtel Pralinen in die Justizvollzugsanstalt mitgebracht habe? "Ja", entgegnet der als Sachverständiger geladene Psychiater. Das sei eine "völlig unschuldige Geste der Humanität" gewesen, schiebt Bauer hinterher. Er habe damit nichts bezwecken wollen.

Scharmer will auch wissen, wer die Unterlagen ausgewählt habe für Bauers am 3. Mai im NSU-Prozess vorgetragenes Gutachten? Bauer zögert einen Moment, um dann zu sagen: "Herr Grasel" Außerdem muss er einräumen, nicht sämtliche Verfahrensakten von Zschäpes Verteidigern angefordert zu haben. Auch die Mindestanforderungen an sogenannte forensische Prognose-Gutachten - und darum soll es bei der Beurteilung der Angeklagten ja gehen - kennt Bauer nicht.

"Das war nicht meine Frage"

Souverän wie zu Beginn wirkt er in dieser späten Phase der Befragung schon lange nicht mehr. Seine Antworten kommen zögerlich, klingen oft umständlich oder sind ausweichend. "Das war nicht meine Frage", ist ein immer wieder zu hörender Einwand der Nebenkläger-Anwälte. Schließlich bittet Bauer unter Verweis auf die schon mehrere Stunden dauernde Befragung um eine Pause. Wenig später beendet der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Verhandlungstag.

In Erinnerung bleibt ein Gutachter, der entweder seinen Auftrag unter- oder sich selbst überschätzt hat. Für Beate Zschäpe dürfte Bauers Auftritt mit Blick auf das über sie zu fällende Urteil alles andere als hilfreich gewesen sein.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland