Der NSU als Vorbild
22. Juli 2014Im Februar 2012 wurden in einem Städtchen in Sachsen-Anhalt ein Döner-Imbiss-Betreiber und dessen Freundin verletzt. Drei Männer standen danach im Verdacht, den türkischstämmigen Besitzer nicht nur geschlagen und getreten zu haben. Sie sollen ihm außerdem gedroht haben, er werde das elfte Opfer des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) sein, wenn er nicht die Stadt verließe. In erster Instanz sprach das Amtsgericht Merseburg zwei der Beschuldigten im Prozess frei. Der Dritte wurde zu zwei Wochenenden Jugendarrest verurteilt. Die Staatsanwaltschaft Halle ging gegen das Urteil in Berufung. Die Ereignisse traumatisierten die Familie des Imbiss-Betreibers dermaßen, dass sie inzwischen in einen anderen Ort gezogen ist.
Alle vier Tage eine Straftat mit NSU-Bezug
Fälle wie dieser, bei denen Sympathiebekundungen für die Terror-Gruppe NSU ausgesprochen werden, sind in Deutschland offenbar keine Seltenheit. In seinem Bericht für das vergangene Jahr spricht das Bundesamt für Verfassungsschutz lediglich von "vereinzelten" Straftaten "mit positiver Bezugnahme auf den NSU".
Doch die Ergebnisse, die die Abgeordnete der Linksfraktion, Martina Renner auf ihre kleine Anfrage erhalten hat, belegen etwas anderes. Die Politikerin hatte gemeinsam mit anderen Partei-Mitgliedern bei der Bundesregierung um Auskunft darüber gebeten, wie viele Straf- und Gewalttaten unter Bezugnahme auf den Nationalsozialistischen Untergrund seit seiner Selbst-Enttarnung im November 2011 registriert wurden. "Es waren vor allem mehr Taten, als ich vermutet hatte", so Renner im DW-Interview. So sollen laut Antwort der Bundesregierung 218 entsprechende Delikte begangen worden sein. Statistisch gesehen eine Straftat alle vier Tage. Vor allem Delikte wie Nötigung, Volksverhetzung, Sachbeschädigung und die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener werden aufgelistet. Aber auch sieben Gewalttaten, darunter Brandstiftung, schwere Körperverletzung oder schwerer Raub.
Volksverhetzung als Kavaliersdelikt?
Setzt man die Anzahl der begangenen Taten in Relation zu den Einwohnerzahlen der einzelnen Bundesländer, wurden in Thüringen, Sachsen und Bayern die meisten Strafdelikte mit NSU-Bezug begangen. Die mutmaßlichen Mitglieder des NSU-Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hielten sich vor allem in Thüringen und Sachsen auf, die meisten NSU-Morde wurden in Bayern verübt. Der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke zeigt sich von den Ergebnissen nicht überrascht. "Der NSU war längst Vorbild um solche Taten zu begehen und diese Taten wurden seit Jahren vom NSU-Umfeld begleitet." In Thüringen beispielsweise hätte sich die rechtsextreme Gruppe "Freie Netze" in "Nationalsozialistische Ersatzorganisation" umbenannt. "Das heißt, sie haben eine ähnliche nationalsozialistische Ideologie und eine ähnlich hohe Gewaltbereitschaft", so Funke im DW-Gespräch. Wichtig sei, dass die Sicherheitsbehörden solchen Taten systematischer nachgingen und die Strafen härter ausfielen. Viel zu oft würde zum Beispiel Volksverhetzung in den Gerichtssälen als Kavaliersdelikt gehandelt. "
Gefährdungspotential nicht unterschätzen
Auch Martina Renner wünscht sich in solchen Fällen eine härtere Gangart der Justiz. Bei einer möglichen Höchststrafe von bis zu fünf Jahren, biete der Volksverhetzungs-Paragraph durchaus diese Möglichkeit, so die Abgeordnete der Linksfraktion. Viele der Anklagen endeten aber mit einer Einstellung oder einer geringfügigen Verurteilung. Beispielsweise wenn in Foren gefragt würde, warum der NSU nicht noch ein paar Journalisten getötet habe. Oder wenn die Paulchen Panther-Figur mit Waffe im Anschlag ins Internet gestellt würde. Der NSU hatte Szenen aus dem Trickfilm in einem Video benutzt, in dem er seine Opfer verhöhnt hatte. "Ich denke, da muss man genau aufpassen. Das sind Symbole in die Szene hinein, mit denen man sich gegenseitig vergewissert, dass man, trotz gestiegenem Verfolgungsdruck durch die Behörden, zu den Personen und den Taten des NSU steht", so Renner.
Nachahmer des Nagelbomben-Anschlags von Köln?
Im Juni (03.06.2014) fanden Ermittler des Zollfahndungsamtes bei einer Durchsuchung in Gerolstein eine Nagelbombe in der Wohnung eines Mannes - wenige Tage bevor sich der Kölner Nagelbombenanschlag mit 22 zum Teil schwer Verletzten, der auch der rechtsextremen Terrorgruppe NSU zugeschrieben wird, zum zehnten Mal jährte. Der Sprengsatz war mit etwa 10 cm langen Nägeln bestückt und funktionsfähig. Der Bombenbastler war der Polizei bereits durch Gewaltdelikte, fremdenfeindliche Straftaten und Hakenkreuz-Schmierereien aufgefallen. Was er mit der Bombe vorgehabt habe, sei noch offen, so die Ermittler.