NS-Raubkunst kehrt zu Eigentümern zurück
22. Januar 2020Es ist nicht leicht, Kunstwerke wiederzufinden, die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten enteignet wurden. Ebenso schwer ist es, die eigentlichen Besitzer oder deren Erben ausfindig zu machen. In zwei Fällen ist das jetzt gelungen: Gerade hat der Leverkusener Chemiekonzern Bayer AG ein Gemälde des Künstlers Oskar Moll an das Leipziger Museum der bildenden Künste zurückgegeben: das "Stillleben mit Mohn und schwarzer Kanne" von 1916 war seit 1951 im Besitz des Konzerns.
Am 22. Januar überreichte Kulturstaatsministerin Monika Grütters persönlich drei als NS-Raubkunst identifizierte Kunstwerke an die rechtmäßigen Erben aus Frankreich. Die Bundesregierung arbeite und handle im Bewusstsein der immerwährenden historischen Verantwortung Deutschlands, die von den Nationalsozialisten verübten Menschheitsverbrechen aufzuarbeiten, sagte sie. Die Restitution zur Aufarbeitung des NS-Kunstraubs trage dazu bei.
Zwei der Gemälde, die Grütters den Nachfahren des jüdischen Kunstsammlers Armand Dorville zurückgab, stammen aus dem Bestand des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Es handelt sich um das Aquarell "Dame im Abendkleid" und das Ölgemälde "Porträt einer Dame", beide Bilder wurden von Jean-Louis Forain gemalt. Auch die Zeichnung "Amazone mit aufbäumendem Pferd" von Constantin Guys, die sich zuletzt in Privatbesitz befand, wird Dorvilles Erben übergeben.
Das Erbe des Herrn Gurlitt
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Gemälde aus der Gurlitt-Sammlung restituiert wird. Der NS-Kunsthändler Hildebrand Gurlitt vererbte seine umfangreiche Sammlung seinem Sohn Cornelius. Im Februar 2012 wurden in dessen Münchner Wohnung zahlreiche Kunstwerke beschlagnahmt - der sogenannte Schwabinger Kunstfund. Jahrzehntelang hatte Cornelius Gurlitt dort unentdeckt 1280 Gemälde, darunter Meisterwerke von Picasso, Matisse oder Chagall, gehortet. ( Zwei Jahre später tauchten weitere 238 Gemälde in Gurlitts verwahrlostem Haus in Salzburg auf, Anmerk. d. Red.). Die Bilder stammen auch aus dem Besitz jüdischer Sammler, die ihr Hab und Gut in der Nazizeit verloren. Gurlitts Vater Hildebrand hatte sie damals zu Spottpreisen erworben. Nach dem Krieg wurde er nie zur Rechenschaft gezogen. Er starb 1956 – und vermachte den Kunstschatz, der erst im November 2013 der Öffentlichkeit bekannt wurde, seinem Sohn, der 2014 gestorben ist.
Eine Taskforce aus internationalen Forschern und Forscherinnen wurde eingerichtet, um die Herkunft und die Besitzverhältnisse der Kunstwerke zu überprüfen. "Es ist ein sehr gemischtes Konvolut", sagt der Kunsthistoriker Christoph Zuschlag von der Universität Bonn, Professor für moderne und zeitgenössische Kunst. "Die Gurlitts hatten selbst Künstler in der Familie, von denen einige Werke stammen. Solche Werke sind völlig unverdächtig." Wirklich bestätigte Fälle von Raubkunst gebe es nur wenige, so Zuschlag weiter. "Bis jetzt hatten wir sieben. Mit den beiden Werken, die jetzt zurückgegeben werden, sind es dann neun."
Von den Nazis beschlagnahmt: "Entartete Kunst"
Zuschlag beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Provenienzforschung. Dabei geht es nicht nur um Raubkunst aus Nazi-Beständen, sondern generell darum, die Herkunft und Geschichte sowie die Besitzgeschichte von Kulturgütern zu rekonstruieren, unabhängig von der Epoche. "Durch das Thema NS-Raubkunst ist die Provenienzforschung verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gekommen, und da spielt natürlich das Thema Gurlitt eine zentrale Rolle", so Zuschlag.
Neben geraubten Kunstwerken aus allen Epochen - etwa von jüdischen Familien - fand man bei Gurlitt auch Werke, die von den Nationalsozialisten als "entartete Kunst" diffamiert wurden. Solche meist modernen Werke wurden unter Hitlers Diktatur systematisch aus den Museen und Privatsammlungen beschlagnahmt und dann in Depots gelagert oder direkt verkauft. "Die Gurlitts waren in den Handel mit der 'entarteten Kunst' ebenso verwickelt wie in die Beschaffung von Raubkunst, etwa für Sammlungen von Nazi-Größen", erläutert Zuschlag. Auch diese Werke sogenannter entarteter Kunst sollen den Eigentümern oder den Museen zurückgegeben werden.
Der Fall Oskar Moll
Um einen solchen Fall handelt es sich bei dem Gemälde von Oskar Moll, das die Bayer AG jetzt dem Leipziger Museum der bildenden Künste übergeben hat. Es stammt nicht aus dem Konvolut von Cornelius Gurlitt. Von Seiten der Bayer AG hieß es, man habe das Gemälde seinerzeit rechtmäßig erworben. Mit der Schenkung an das Museum verbinde man die Hoffnung "zu einem Beispiel für ein neues Verständnis von gesellschaftlicher und kultureller Verantwortung im 21. Jahrhundert" zu werden.
Die Nationalsozialisten hatten das Gemälde 1937 zusammen mit rund 400 weiteren Werken des Leipziger Museums beschlagnahmt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kamen die Gemälde in den Kunsthandel. Im Rahmen der Provenienzrecherchen einer Mitarbeiterin der Kulturabteilung der Bayer AG "Bayer Kultur" konnte das Stillleben von Moll identifiziert werden und wird nun wieder in Leipzig zu sehen sein.
Gebündelte Provenienzforschung
Um die Provenienzforschung voranzutreiben, gibt es seit 2015 die Stiftung "Deutsches Zentrum Kulturgutverluste" in Magdeburg. Es ist unter anderem national und international ein zentraler Ansprechpartner, wenn es um Fragen der Umsetzung der "Washingtoner Prinzipien" geht.
Bei der sogenannten Washingtoner Konferenz im Dezember 1990 und der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1999 hatten sich 44 Staaten, darunter die BRD, verpflichtet, "nach Vermögenswerten aus der NS-Zeit, die Verfolgten abgenommen wurden, zu suchen" und sich um faire Lösungen zu bemühen. Die Rückgabe, die Restitution, ist dabei eine Möglichkeit, eine andere sind Entschädigungszahlungen an die rechtmäßigen Besitzer oder Dauerleihgaben an die Museen seitens der Besitzer.
Die "Washingtoner Prinzipien" sind eine Absichtserklärung und kein verbindliches Gesetz. "Ich denke, dass hinter der Anerkennung des Washingtoner Abkommens im Grunde die Anerkennung einer historischen Schuld steht", meint Kunsthistoriker Christoph Zuschlag.
"Die Suche nach Raubgut ist eine bleibende Aufgabe"
Die Gurlitt-Sammlung wurde mittlerweile zwar gesichtet und geprüft, aber die Arbeit ist längst nicht abgeschlossen. Immer wieder tauchen in Archiven neue Dokumente auf, die ein neues Licht auf die Besitzverhältnisse bestimmter Objekte werfen. Die beiden Gemälde des französischen Kunstsammlers und Notars Armand Dorville, die Kulturstaatsministerin Grütters jetzt zurückgab, wurden 1942 innerhalb von vier Tagen in Nizza zwangsversteigert und kamen später in die Hände von Hildebrand Gurlitt.
"Das Leid und das Unrecht, das die Familie Dorville unter den Nazis erleiden musste, lässt sich nicht wiedergutmachen", so Grütters. Sie empfinde es aber als wichtige Geste, mit der Rückgabe wenigstens ein Stück weit zu historischer Gerechtigkeit beitragen zu können. Die Kulturstaatsministerin überreichte die Werke offiziell am Tag der Deutsch-Französischen Freundschaft an die Familie von Armand Dorville. Am 22. Januar 1963 wurde diese Freundschaft mit dem Élysee-Vertrag im gleichnamigen Pariser Élysée-Palast besiegelt. Seit 2004 organisieren die Auswärtigen Ämter beider Staaten an diesem Tag Begegnungsveranstaltungen.
"Die Rückgaben zeigen, dass die Suche nach Raubgut eine bleibende Aufgabe ist", meint Zuschlag. "Es ist viel passiert, aber es bleibt ein großes Thema. Deshalb kann man da auch keinen Schlussstrich ziehen." Seit Anfang 2020 gibt es in Berlin einen "Helpdesk NS-Raubgut": Hier können sich ganz unbürokratisch Betroffene melden, denen in der Nazi-Zeit Kulturgüter entzogen wurden - ebenso wie ihre Erben.
Das Gespräch mit Christoph Zuschlag führte Annabelle Steffes.