Verfassungsgericht weist erneut NPD-Klage zurück
16. Dezember 2014Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat eine Klage der rechtsextremen Partei NPD gegen Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) zurückgewiesen. Das Gericht entschied am Dienstag, dass Schwesig im thüringischen Landtagswahlkampf im Juni 2014 das Recht der Partei auf Chancengleichheit nicht verletzt habe. "Der Antrag ist unbegründet", verkündete Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Manuela Schwesig hatte in einem Zeitungsinterview gefordert: "Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt." Die NPD sah darin den Grundsatz verletzt, dass eine Ministerin sich parteineutral in einem Wahlkampf zu verhalten habe und strengte eine Verfassungsklage an. Die rechtsextreme Partei scheiterte beim Einzug in den Landtag Thüringen an der Fünf-Prozent-Hürde.
Kein Maulkorb für Spitzenpolitiker gegen NPD
Die Richter des Bundesverfassungsgerichts präzisierten jetzt, wie die Grenzen der Redefreiheit von Regierungsvertretern geregelt sein sollten. Demnach dürfen "Staatsorgane", also auch Ministerin Schwesig, nicht zu Gunsten oder zu Lasten einer Partei "Partei ergreifen". Ein Minister dürfe allerdings auch, so das Gericht weiter, außerhalb ihrer amtlichen Funktion am politischen Meinungskampf teilnehmen. Die Klage wurde daher verworfen, weil die Familienministerin in diesem Interview – so das Gericht – weder die "staatliche Autorität" noch die "Ressourcen ihres Amtes" in Anspruch genommen habe. Eine freie Meinungsäußerung als Privatperson und als Politikerin, bleibe der Ministerin daher nach Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes unbenommen. Der NPD-Anwalt, Peter Richter, kündigte bereits vor der Entscheidung der Karlsruher Richter an: "Im Zweifel werden wir die Sache vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen."
Damit muss die NPD aber erneut eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht einstecken. Wieder einmal, denn erst im Juni versuchte die rechtsextreme Partei, die Meinungsäußerung von Bundespräsident Joachim Gauck verbieten zu lassen, der die Anhänger der Partei als "Spinner" bezeichnet hatte. Auch damals scheiterte die NPD. Das Gericht begründete dies damit, dass auch ein deutsches Staatsoberhaupt in seinen Werturteilen über politische Parteien nicht zwangsläufig neutral bleiben müsse.
Experte: "Eine verlorene Klage stützt die Märtyrer-Position"
Dabei wird das Bundesverfassungsgericht von der NPD immer wieder als öffentliche Bühne benutzt. In jüngster Zeit mussten die obersten deutschen Richter förmlich eine Klage-Welle der Partei abarbeiten. Ende 2012 machte die NPD Schlagzeilen, in dem sie das Bundesverfassungsgericht bemühte, die eigene Verfassungsmäßigkeit als Partei zu überprüfen. Von vielen Beobachtern wurde das als durchsichtiges PR-Manöver bezeichnet. Ein anderes Mal verklagte die rechtsextreme Partei die FDP, da die Liberalen in ihren Wahlwerbespots angeblich die Parteirechte der NPD beschnitten hätten.
Alle Klagen wurden verworfen – und dennoch sehen manche die rechtsextreme Partei auch bei einem verlorenen Gerichtsverfahren als Gewinner. PR-Stratege Christopher Hauss von der Kommunikations-Agentur "menschen für medien" berät unter anderem Bundestagsabgeordnete. In der Online-Zeitung "Legal Tribune Online" lässt er sich zur NPD-Klagewelle mit den Worten zitieren: Wenn die Partei gewinne, sei das in jedem Fall gut für die NPD. "Genauso gut ist es aber, wenn ihre Klage erfolglos bleibt. Dann war es nämlich das System, das die Rechtsextremen ablehnen und bekämpfen, was ihnen Unrecht gegeben hat." Das stütze die Märtyrer-Argumentation gegenüber den eigenen Mitgliedern, so PR-Stratege Hauss.
Forscher: "Die NPD verliert, wenn sie verliert"
Völlig anderer Meinung dagegen ist Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke. Im DW-Interview kommentiert er die wiederholten NPD-Niederlagen vor dem Verfassungsgericht mit den Worten: Es schade der Partei, wenn sie zu oft verliere. Der Forscher begründet dies mit den autoritären Machtstrukturen innerhalb der Partei, die nur mit Erfolgen aufrecht zu erhalten sei. "Wenn sie zu oft verliert, dann verarbeitet diese Partei das schwer", so Funke. Dabei verfolge die NPD, so der Forscher, eine dreistufige Strategie. Zum einen gelte es für die Rechtsextremen, über die erfolgreiche Teilnahme an Wahlen finanzielle Mittel durch die staatliche Parteienfinanzierung einzuheimsen. Dann sei es für sie wichtig, mit oder - wenn es taktisch klug sei - auch ohne Gewalt auf der Straße präsent zu sein, um damit ihren "rassistischen Unsinn" zu Gehör zu bringen. Und in einem dritten Schritt gehe es darum, den Rechtsstaat mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Die Königsdisziplin sei dabei der Kampf vor dem obersten Verfassungsgericht. "Im Fall der gegenwärtigen Versuche der NPD vor dem Bundesverfassungsgericht zu reüssieren, versucht sie, gezielt die Meinungsfreiheit einzuschränken", so Forscher Funke.
Die Strategie der NPD, diese Bühne für sich zu missbrauchen, sei bisher allerdings nur begrenzt erfolgreich, so der Forscher: "Im Vergleich zur Weimarer Republik ist die Bühne der NPD doch begrenzt geblieben". Dabei sei es generell nicht sinnvoll, Rassismen und Rassisten eine Bühne zu bieten. "Nur dort, wo es unvermeidbar ist", so Funke. Und in einem rechtsstaatlichen Verfahren, sei dies eben unvermeidbar. Sein Fazit: "Aber das hält der Rechtsstaat doch aus".
Zucken im Überlebenskampf der rechtsextremen Partei
Für Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke ist die Klage-Welle der NPD vor dem Bundesverfassungsgericht Teil einer großangelegten PR-Strategie im Überlebenskampf der rechtsextremen Partei, so der Forscher. Der Hintergrund: Im kommenden Jahr wird aller Voraussicht nach das NPD-Verbotsverfahren erneut vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Dies geschieht nicht zum ersten Mal, denn bereits im Jahr 2003 versuchte eine Koalition von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat die NPD verbieten zu lassen. Der Antrag scheiterte vor dem Bundesverfassungsgericht am 18. März 2003 an Verfahrensfehlern der Kläger. Damals wurde bemängelt, dass Agenten des Verfassungsschutzes (V-Leute) die rechtsextreme Partei unterwandert hätten, weshalb eine klare Abgrenzung der innerhalb der Partei begangenen Straftaten nicht mehr möglich sei. Angestoßen wurde das erneute NPD-Verbotsverfahren dieses Mal von der Zweiten Kammer, dem Bundesrat. Für Rechtsextremismus-Forscher Funke ist klar: "Es ist wichtig für die NPD, ob sie verboten wird oder nicht und ob damit ihr Einfluss steigt oder sich abschwächt."