Nouripour: Berlin hat moralische Verantwortung
19. März 2018Deutsche Welle: Selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hegt erhebliche Zweifel daran, dass der türkische Einsatz vom Völkerrecht gedeckt ist. Warum hält sich die Bundesregierung beim Thema Afrin so zurück?
Omid Nouripour: Ich bin ehrlich gesagt fassungslos. Ich kann nicht beantworten, warum die Bundesregierung zum Vorgehen der Türkei in Afrin keine klaren Worte findet. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, dass dort auch deutsche Panzer eingesetzt werden. Es gibt nicht nur eine politische, sondern auch eine moralische Verantwortung der Bundesregierung. Und es wäre das Mindeste, auszusprechen, dass die militärische Offensive der Türkei und die Belagerung Afrins völkerrechtswidrig ist.
In Afrin bombardiert ein NATO-Verbündeter. Ist denn Deutschland wirklich machtlos und handlungsunfähig gegenüber der Türkei?
Die Bundesregierung hat sich von Erdogan ein Stück weit abhängig gemacht. Erstens hat man sich in der Flüchtlingsfrage viel zu lange erpressen lassen, und das hat sich bis heute nahtlos fortgesetzt. Das Zweite ist die Verbesserung der Beziehung zur Türkei: Die Entlassung von Deniz Yücel aus dem Gefängnis war eine sehr schöne Nachricht. Aber wir sollten uns von dem Tauwetter nicht täuschen lassen. Es bedeutet sicher keine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Noch immer sitzen viele Journalisten in Haft und die Bundesregierung kann und darf das nicht einfach ignorieren. Sie muss das völkerrechtswidrige Vorgehen der Türkei in Afrin in den Gremien der NATO zur Sprache bringen. Die NATO tut sich keinen Gefallen, wenn sie diesen massiven Konflikt gar nicht thematisiert.
Aber wovor hat die Nato denn Sorge? Dass sich die Türkei Russland zuwendet oder ist man in Sorge um die Institution NATO insgesamt, weil Donald Trump ihr auch kritisch gegenübersteht?
Es ist offensichtlich, dass das Agieren von Donald Trump viele Leute in der NATO so verunsichert, dass sie sich Vieles nicht trauen. Aber das Schweigen zu einer Kontroverse löst diese nicht. Bei der YPG reden wir über Milizen, die vom NATO-Mitglied USA mitfinanziert und mitausgestattet wurden, um gegen ISIS (Anm. d. Redaktion: 'Islamischer Staat') zu kämpfen. Gleichzeitig haben sie durch die Kontrolle weiter Teile Nordsyriens verhindert, dass der Iran über den Landweg die Hisbollah im Libanon unterstützen kann. Das wird jetzt vermutlich wieder geschehen. Die windelweichen Aussagen der Amerikaner zur Belagerung Afrins sind eine Bankrotterklärung. Wenn es jemals so etwas wie eine amerikanische Syrien-Politik gegeben haben sollte, dann ist diese spätestens jetzt krachend gescheitert.
Das bedeutet, dass sowohl Deutschland als auch andere westliche Staaten keine langfristige Strategie verfolgen?
Die Syrien-Politik des Westens ist eine ziemliche Katastrophe. Wir mussten das Feld Russland und Assad überlassen, und jetzt werden wir nicht mal mehr zu wichtigen Gesprächsrunden eingeladen. Während auf der einen Seite die Briten Waffen an die Rebellen geliefert haben, haben andere EU-Mitgliedsstaaten zum Beispiel Waffen an Assad verkauft. Und irgendwann kam die berechtigte Frage: Wer seid ihr Europäer und was wollt ihr eigentlich? Das spiegelt sich natürlich auch beim Vorgehen gegenüber der Türkei wider: Dass sich in Europa kaum jemand traut die Stimme zu erheben, wenn es um massiven Völkerrechtsbruch geht.
Die Kurden in Afrin fühlten sich im Stich gelassen, sagte der Generalsekretär der "Kurdischen Gemeinde Deutschland" (KGD), Cahit Basar und sie forderte Vermittlung von Europa. Ihrer letzten Antwort zufolge, scheint das eher schwierig zu werden, oder?
Ich bin wahrlich kein Freund der YPG. Sie ist eng mit der PKK verbunden und in Teilen eine stalinistische Organisation, aber ich verstehe wirklich alle Kurdinnen und Kurden, die sagen, dass sie sich nicht das erste Mal verraten fühlen. Was wir erleben ist knallharte Geo- und Bündnispolitik und die scheint der Bundesregierung wichtiger, als die Rechte der Kurdinnen und Kurden. Wir sind es den Menschen schuldig, wenigstens auszusprechen, was da passiert: Die Türkei verletzt das Völkerrecht massiv.
Die Bundesregierung hat ja sogar noch bis zum 15. Januar Kriegsgerät in Millionenhöhe an die Türkei geliefert. Wie beurteilen Sie das?
Das war eine systematische und extrem harte Lüge vom ehemaligen Außenminister Gabriel, der öffentlich erklärt hat, dass es keine Lieferungen während der Offensive der Türkei mehr gibt und dann 20 Genehmigungen im Wert von 4,4 Millionen Euro genehmigt hat. In jedem demokratischen Land der Welt stellt sich nach so einer massiven Lüge die Frage des Rücktritts. Durch die Neuaufstellung der Regierung hat sich das erübrigt, aber was bleibt ist ein fader Beigeschmack. Das führt bei mir dazu, dass ich kein Vertrauen mehr in diese Bundesregierung habe und nicht ernsthaft davon ausgehe, dass sie eine restriktive Rüstungsexportpolitik betreiben wird. Aber es bleibt die Hoffnung, dass der neue Außenminister Heiko Maas das anders macht, - auch wenn er beim EU-Außenministertreffen in Brüssel dazu nicht besonders viel gesagt hat.
Die Türkei scheint nicht mehr auf den Sturz des Regimes in Damaskus zu setzen. Hat sich auch Deutschland, hat sich der Westen damit abgefunden, dass Assad an der Macht bleibt?
Assad ist der Gewinner des Chaos in Syrien, das ist eindeutig. Aber den Unterstützern Assads muss man eine Frage stellen: Glauben diese denn ernsthaft, dass dauerhaft Frieden und Versöhnung möglich ist in Syrien mit einem Präsident, der für die große Mehrheit der Bevölkerung die Symbolfigur für die Ruinen ihrer Städte, für Fassbomben und Chemiewaffeneinsätze ist? Ich glaube nicht. Das was jetzt folgen wird, ist Friedhofsruhe. Aber so gibt es keine Möglichkeit auf Versöhnung. Und ohne Versöhnung wird es auf Dauer nicht friedlich bleiben in Syrien. Dafür tragen dann die Länder, die Assad weiterhin stützen, die Verantwortung.
Was erwarten Sie jetzt ganz konkret von der Bundesregierung im Bezug auf Afrin?
Die Bundesregierung muss im NATO-Rat das Vorgehen der Türkei in Afrin aufsetzen lassen, damit dort wenigstens darüber gesprochen wird und die Türkei ihr unverhältnismäßiges Vorgehen erklären muss. Ankara soll nicht das Gefühl haben, dass die Welt einen Völkerrechtsbruch stillschweigend akzeptiert.
Omid Nouripour ist außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag.
Das Gespräch führte Diana Hodali.