Notebook statt Klassenheft
8. Januar 2013Wenn morgens um acht Uhr an der Berliner Heinrich-Mann-Schule die Mathematik-Stunde beginnt, holen zwanzig Schüler ihre Laptops aus den Taschen. Kurz darauf sausen die Finger der Achtklässler über Tastaturen und Mäuse. Der Satz des Pythagoras steht auf dem Plan: Wo ist die Kathete und wie berechnet man die Hypotenuse?
Diese Aufgaben stellt der Computer und nicht das Lehrbuch. Über ein Online-Lernprogramm weist Lehrerin Sabine Lemke jedem Schüler ein Aufgabenpaket zu. So können die Achtklässler in ihrer eigenen Geschwindigkeit die Lösungen erarbeiten - und gegebenenfalls einfach zu Hause dort weitermachen, wo sie im Unterricht aufgehört haben.
Computer nicht nur zum Chatten
"Die Schüler wachsen ja sowieso mit Laptop und Smartphone auf, deshalb finde ich es wichtig, ihnen zu zeigen, dass man mit diesen Geräten mehr anstellen kann als nur zu chatten oder Spiele zu spielen", sagt Sabine Lemke. Sie hat sich vor drei Jahren für die sogenannten Notebook-Klassen eingesetzt. Seitdem können sich 20 Schüler in jedem Jahrgang für die digitalisierte Form des Lernens entscheiden.
Dass die Berliner Gesamtschule so fortschrittlich ist, freut Referendar Jan Karcher. Denn als künftiger Lehrer kann er das Thema softwaregestützter Unterricht nicht einfach ignorieren - auch wenn es in seinem Studium eine untergeordnete Rolle gespielt hat. "Wir haben an der Uni kaum darüber gesprochen", erzählt er. Vereinzelt seien Programme vorgestellt worden, "aber die waren dann schon so alt, dass man die Schüler damit nur langweilen würde."
Ein Smartboard ersetzt die Tafel
Also hat Karcher in einer Studienarbeit kurzerhand selbst untersucht, welche Vor- und Nachteile der Einsatz von Computern im Unterricht hat. "Die Schüler verlaufen sich auch schon mal, besonders, wenn es um Effekte und komplizierte Grafiken für Präsentationen geht", lautet ein Ergebnis seiner Studien. Etwa bei Referaten, die als Powerpoint-Präsentationen gestaltet seien und bei denen vor lauter "special effects" der Inhalt zu kurz komme.
In den "Notebook-Klassen" werden die Schüler deshalb auch nicht vollkommen sich selbst überlassen. Ähnlich wie im analogen Unterricht erarbeiten die Lehrer gemeinsam mit ihnen Tafelbilder. Allerdings mit einem Unterschied: Statt einer Tafel hängt ein Smartboard an der Wand, das wie ein überdimensionaler Touchscreen funktioniert. Sabine Lemke und ihre Schüler können daran mit Händen geometrische Figuren zeichnen.
Mehr Leistungsbereitschaft mit Laptop
Bei den Achtklässlern kommt das natürlich gut an. "Wir sind schließlich im 21. Jahrhundert, da passt das irgendwie", meint einer der Schüler. Viele in der Klasse glauben, dass es später ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz verbessert, wenn sie Erfahrungen mit Schreib- und Onlineprogrammen vorweisen können.
Lehrerin Sabine Lemke sieht weitere Vorteile des digitalisierten Lernens. Einige Jugendliche seien nun motivierter und hätten mehr Spaß am Lernen, zum Beispiel Schüler mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche. "Sie tun sich wesentlich leichter, am Computer zu schreiben als mit der Hand", beobachtet Lemke. Ein weiterer Effekt: Seit die Laptops im Klassenzimmer stehen, ist das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern deutlich entspannter.
Die Schüler machen wieder mit
Früher hätten sich die Pädagogen immer wieder über den mangelnden Respekt und die fehlende Lernbereitschaft der Schüler beklagt, erzählt Sabine Lemke. Viele Jugendliche kommen aus sogenannten "Problemfamilien", in denen Arbeitslosigkeit und Armut, Sprach- und Integrationsschwierigkeiten an der Tagesordnung sind.
Außerdem hatten einige Eltern wenig Interesse an den Schulleistungen ihrer Kinder gezeigt. Mit der Anschaffung der Computer ist das nun passé. Sowohl die Schüler als auch ihre Eltern unterstützen das Projekt der "Notebook-Klassen". Mütter und Väter fragten nun nach, was ihre Kinder im Unterricht lernten und böten ihre Hilfe bei Projekten an, betont Lemke.
Ganz ohne Papier geht's nicht
Komplett ersetzen aber können die Laptops Papier und Stift nicht. "Der Computer ist kein Allheilmittel", gibt Sabine Lemke zu. Wenn der Beamer heiß läuft, fällt er schon mal aus. Dann bleibt das Smartboard leer und Sabine Lemke greift auf ausgedruckte Arbeitsblätter zurück.
Ein weiteres Problem: die mögliche Ablenkung. Auf ihrem eigenen Computer kann Sabine Lemke überprüfen, ob sich ihre Schüler wirklich um den Satz des Pythagoras kümmern oder ein Spiel geladen haben. Einige Internetseiten hat die Schule außerdem gesperrt. Trotzdem nutzt so mancher Schüler seinen Laptop auch für andere Dinge, sagt Sabine Lemke. "Früher gingen Zettelchen durch die Reihen - heute läuft das über Bluetooth."