Überläufer berichtet über Menschenversuche
3. Januar 2015Mitzuerleben, wie geistig und körperlich behinderte Kinder als Versuchskaninchen bei chemischen Waffentests des nordkoreanischen Militärs missbraucht werden, sagt Im Cheon-yong, habe bei ihm das Fass zum Überlaufen gebracht.
Als Offizier nordkoreanischer Spezial-Einsatzkräfte hatte Im zwar Vorbehalte gegen den Staat, in dem er lebte, und das Regime, dem er so weit es ihm möglich war, diente - doch erst die 'Spezialausbildung', die er als Angehöriger der Elitetruppen des Regimes an einer Militärakademie in der Provinz Nord-Pjöngjang absolvieren musste, gab den Ausschlag für seinen Entschluss, überzulaufen. "Wenn man an dieser Akademie seinen Abschluss machen will, muss man lernen, wie man den Feind täuscht ohne seine eigenen Truppen zu zeigen, wie Attentate durchgeführt werden, wie chemische Waffen verwendet werden und so weiter", berichtet er im DW-Interview.
"Und dann gibt es das, was sie an der Akademie 'Feldversuche' nennen", erinnert sich Im Cheon-yong. "Für die Versuche in biologischer und chemischer Kriegsführung brauchten wir 'Objekte'. Zuerst setzten sie Mäuse chemischen Kampfstoffen aus und zeigten uns, wie sie starben. Dann sahen wir zu, wie die Ausbilder die Tests mit Menschen durchführten, um uns zu zeigen, wie ein Mensch stirbt. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen", behauptet Im.
Er sei von dem, was er mit angesehen habe, angewidert gewesen und habe es geschafft, über die Grenze nach China zu entkommen und Mitte der 1990er Jahre nach Südkorea zu gelangen. Mit seinen 50 Jahren zählt Im heute zu den prominentesten Verfechtern eines Machtwechsels in Pjöngjang, als Präsident der "Soldiers' Alliance for Free North Korea" und der "Fellowship Foundation for Freedom".
Missbrauch der eigenen Bürger
Zahlreiche Nordkorea-Experten bestätigen, dass Ims Erlebnisse mit den Berichten anderer Überläufer übereinstimmen, die von Misshandlungen der Bürger des weltweit am meisten abgeschotteten Staates berichten. Einige dieser Zeugenaussagen wurden an die UN-Untersuchungskommission weitergegeben, bevor das Gremium im Februar 2014 seinen vernichtenden Bericht über die Lage der Menschenrechte in Nordkorea veröffentlichte.
"Es gibt mittlerweile zu viele dieser Berichte, um sie als unwahr abtun zu können", sagt Toshimitsu Shigemura im DW-Interview. Der Professor von der Waseda Universität in Tokio gilt als Autorität in Sachen Nordkorea. "Es gab in der Vergangenheit Berichte, die schwer zu verifizieren waren. Aber die Aussagen, die mittlerweile bekannt werden, stimmen miteinander überein und stammen aus verschiedenen Quellen", unterstreicht Shigemura. "Jeder, der nach Pjöngjang reist, wird bemerken, dass nirgendwo behinderte Menschen zu sehen sind", sagt der japanische Nordkorea-Experte. "Wir wissen inzwischen, dass sie schon als Kinder fortgeschafft und in besonderen Lagern eingesperrt werden. Das Regime macht das, weil es seinem Volk gegenüber andauernd behauptet, Nordkorea sei der Himmel auf Erden, und im Paradies kann es keine behinderten Menschen geben", erklärt Shigemura.
Kim Myong-chol, geschäftsführender Direktor des "Centre for North Korea-US Peace", weist die Behauptungen Ims zurück. "Es ist immer der gleiche Blödsinn", sagt er gegenüber der DW. "Dieser Typ, und viele andere wie er suchen nur nach einem Weg um Geld zu machen, indem sie die Aufmerksamkeit Südkoreas und der USA auf sich lenken. Deshalb denken sie sich diese Lügen aus. Leute wie er wissen nichts über das wirkliche Nordkorea. Alles was sie interessiert, ist mit ihren Lügen Geld zu verdienen."
Menschenversuche
Nach Ims Angaben reichen die Menschenversuche bis in die späten 60er Jahre zurück. Eine der ersten Einrichtungen, wo man die Auswirkungen biologischer und chemischer Waffen auf Menschen untersuchte, war die vom Militär kontrollierte Insel Mayang-do, nahe Sinpo. In der Hafenstadt an der Ostküste liegt die wichtigste U-Bootbasis Nordkoreas. Eine zweite Anlage sei danach auf einer Insel vor der Westküste der koreanischen Halbinsel errichtet worden und eine dritte werde neben einem Lager für politische Häftlinge außerhalb der Stadt Hyanghari betrieben, behauptet der Überläufer.
"Sie verwenden Anthrax-Bakterien und 40 verschiedene Arten chemischer Waffen, die vom nordkoreanischen Regime selbst entwickelt worden sind", sagt Im. "Durch die Experimente kennen sie die Auswirkungen dieser Waffen und welche Mengen davon eingesetzt werden müssen. Um die Handlungen des Regime zu legitimieren werden Kinder, die mit geistigen oder körperlichen Behinderungen geboren worden sind, nicht mit Gewalt fortgeschafft – obwohl nur wenige Bürger Nordkoreas die Möglichkeit haben, sich den Behörden zu widersetzen", sagt Im.
"Sie wollen es auf 'legale' Art und Weise tun, denn sie wollen nicht die Unterstützung des Volkes verlieren. Also werden die behinderten Kinder ihren Eltern für ein paar Kilo Reis abgekauft", erzählt er. "Die Vertreter des Regimes behaupten, sie würden für die Kinder sorgen."