"Nordkorea will einen Friedensvertrag"
11. Mai 2017Deutsche Welle: Herr Colin. Sie haben von 2012 bis 2016 Brasiliens diplomatische Vertretung in Nordkorea geleitet und kennen das Land gut. Welche Strategie steckt hinter der aggressiven Haltung der nordkoreanischen Regierung?
Roberto Colin: Es gibt einen Grund für die aggressive Haltung, nämlich die nach wie vor ungelöste Frage des Koreakriegs, der nicht offiziell beendet ist. Es gibt nur einen Waffenstillstand zwischen Nordkorea, China und den USA - ohne einen Friedensvertrag. Pjöngjang versucht jetzt mit den Raketentests und der aggressiven Rhetorik, als nukleare Macht anerkannt zu werden, vor allem von den USA.
Die aktuell angespannte Situation resultiert aber nicht allein aus dem Verhalten Nordkoreas, sondern auch aus den gegenseitigen Aktionen der verschiedenen Akteure in der Region. Dazu gehören die USA, China sowie Nord- und Südkorea. Nordkorea will die USA dazu bringen, dass man sich an einen Tisch setzt. Letztendlich will Nordkorea einen Friedensvertrag, was auch das Ende der Sanktionen bedeuten würde. Nordkorea will den Status Quo verändern und will die USA mit seiner derzeitigen aggressiven Rhetorik an den Verhandlungstisch zwingen.
Seit 1964 befindet sich die koreanische Halbinsel in einer Situation, die weder Krieg noch Frieden ist. Manche Experten gehen davon aus, dass es für lange Zeit auch im Interesse der USA war, diese Situation so aufrecht zu erhalten. Andere, wie China, gehen davon aus, dass die rund 30.000 US-Soldaten in Südkorea vor allem die Chinesen in Schach halten sollen - und nicht die Nordkoreaner.
Kann man also sagen, dass Nordkoreas Vorwürfe gegen den Westen nicht nur pure Paranoia des Regimes sind?
Nordkorea hat keine Führung, die selbstmörderisch vorgeht. Die Führung ist sehr rational. Das Programm, die Rhetorik, alles ist sehr genau kalkuliert. Intern hat diese Strategie das Ziel, dass das nordkoreanische Volk sein Land als mächtiges, gefürchtetes und wichtiges Land wahrnimmt.
Und natürlich gibt es bei all dem auch noch ein weiteres Motiv. Jahrelang haben die USA und Südkorea gemeinsame Militärübungen abgehalten. Nordkorea fürchtet, dass es sich hier um Übungen für eine Invasion handeln könnte. Für Nordkorea sind die Raketentests die eigene Art zu antworten und ein Beweis der eigenen Macht. Doch die angespannte Situation wird von vielen Seiten befeuert.
Wie bewerten Sie das derzeitige Vorgehen Donald Trumps gegenüber Nordkorea?
Trumps Herangehensweise eröffnet neue Möglichkeiten. Er hat in seiner Kampagne klar gesagt, dass er das Nordkoreaproblem, das seit 64 Jahren besteht, lösen will. In den vergangenen sechs Jahrzehnten hat es viele verpasste Chancen gegeben. Trump ist bereits von einem Extrem ins andere Extrem gegangen, er hat gedroht und eine mögliche militärische Operation angedeutet. Gleichzeitig hat er gesagt, dass es ihm eine große Ehre wäre, sich mit Kim Jong Un zusammenzusetzen. Mit Trump und dem neuen sozialliberalen Präsidenten Moon Jae-in in Südkorea besteht nun die Möglichkeit, dass sich beide ähnlich ausrichten und es einen neuen Weg für eine Lösung gibt. Trump ist sehr pragmatisch.
Wie steht die Bevölkerung Nordkoreas zu den anhaltenden Konflikten des Landes?
Mit den erweiterten Möglichkeiten, sich über das Internet zu informieren und dank USB-Sticks konsumieren viele Nordkoreaner Serien und Filme aus Südkorea. Viele haben also eine Idee davon, wie das Leben da draußen ist. Doch wenn es um konkrete Fakten geht, weiß die Bevölkerung nicht, was außerhalb des Landes vor sich geht.
Es gibt keine Radiosender, wie man sie in Osteuropa in den 80er-Jahren empfangen konnte. In Nordkorea können die Radios und Fernsehgeräte nicht einmal die Signale aus dem Ausland empfangen. Die Informationen, die an das Volk gelangen, sind komplett kontrolliert von der Propaganda und der offiziellen Linie des Regimes. Doch ich glaube, dass die modernen Medien mit der Zeit das Informationsmonopol des Regimes brechen werden. Irgendwie schaffen es die Informationen immer, sich einen Weg zu bahnen.
Gegen Nordkorea wurden international zahlreiche Sanktionen verhängt. Wie wirken sich diese auf das Land aus?
Die Sanktionen treffen nicht die politischen Eliten, sondern diejenigen, die nicht unter ihnen leiden sollten, also die Bevölkerung in ihrem Alltag. Sogar die Arbeit internationaler Organisationen wie der UNO und anderer NGOs ist davon betroffen. Und selbst Diplomaten sind gezwungen, Bargeld in das Land einzuführen, um vor Ort überleben zu können. Nordkorea ist komplett vom internationalen Finanzsystem abgeschnitten. Das macht der lokalen Bevölkerung natürlich zu schaffen. Doch für das Funktionieren des Regimes ist dies nicht so fundamental.
Wie sehen Sie die Zukunft von Nordkorea? Glauben Sie, dass sich Pjöngjang irgendwann friedlich verhalten und für die Politik vorhersehbar handeln wird?
Das ist schon möglich. Bis zum Jahr 1905 war Korea komplett isoliert von der Welt, es hatte eine mittelalterliche Gesellschaft, man bezeichnete das Land auch als das Eremiten-Königreich. Viele Dinge, die heute in Nordkorea geschehen, sind keine ursprünglichen Ideen des Regimes. Pjöngjang ist zurückgekehrt in in die Zeit vor 1905. Danach war Nordkorea Protektorat Japans und musste 40 Jahre lang unter der brutalen Besetzung der Japaner leben.
Dieses Land hat niemals Demokratie oder Freiheit erlebt. Aber die Lage kann sich ändern, dafür muss man sich nur Deutschland oder Japan anschauen. Selbst Südkorea hat die Demokratie erlernt.
Welche Veränderungen konnten Sie während Ihrer Zeit in Nordkorea wahrnehmen?
Ich habe einen kleinen Einblick in das Land erhalten. Ich sage klein, weil es starke Einschränkungen gibt. Das fängt schon beim Kontakt zur Bevölkerung an, der zwar möglich ist, aber stets sehr oberflächlich. Ich durfte beispielsweise keinen Nordkoreaner zu mir nach Hause einladen. Trotzdem habe ich in den vier Jahren einige äußerliche Veränderungen wahrgenommen, die zusammengenommen etwas bedeuten könnten.
Ich ging beispielsweise nur an bestimmten für Ausländer reservierten Tagen in meinen Sportclub. An den anderen Tagen durften die Nordkoreaner trainieren. Von einem Tag auf den anderen wurde diese Regel abgeschafft und Ausländer wie Nordkoreaner durften gleichzeitig ins Schwimmbad des Clubs. Es wurde sogar normal, dass man sich miteinander unterhielt. Die Menschen in Nordkorea sind sehr höflich und gastfreundlich. Das sind Dinge, die einem Außenstehenden vielleicht banal erscheinen können. Das aktuelle Regime ist nicht unveränderbar. Es verändert sich etwas im Land, langsam, aber etwas ändert sich.
Roberto Colin leitete die brasilianische Vertretung in Nordkorea von 2012 bis 2016. Ende der 80er diente der heute 64-Jährige in Bonn und konnte so die Veränderungen nach dem Fall der Mauer mit beobachten.
Das Interview führte Jean-Philip Struck (Adaption Greta Hamann).