Vor der Katastrophe
29. März 2007DW-WORLD.DE: Sie sind gerade erst von Ihrem Aufenthalt in Nord Korea zurückgekehrt. Wie sind Ihre Eindrücke von der Situation vor Ort? Steht Nordkorea wirklich eine Hungerkatastrophe bevor?
Paul Risley: Normalerweise deckt Nordkorea seinen Nahrungsmittelbedarf durch die heimische Ernte, durch Importe und durch Spenden anderer Länder. Im Moment ist die Versorgung der Bevölkerung mit Getreide allerdings verheerend schlecht. Zum ersten Mal seit Jahren hat die nordkoreanische Regierung eingeräumt, dass eine Million Tonnen Getreide fehlen - Mais, Weizen und Reis. Nordkorea steht möglicherweise eine humanitäre Krise bevor.
Welche Regionen haben Sie während Ihrer Reise durch Nordkorea besucht, und konnten Sie auch mit den Menschen auf der Straße sprechen?
Insgesamt waren wir für fünf Tage unterwegs. Wir sind von der Hauptstadt Pjöngjang bis nach Huchang, einer Stadt an der chinesischen Grenze gereist, mehr als 250 Kilometer. Unterwegs haben wir Städte, Dörfer und verschiedene Gemeinden besucht. Dabei haben wir jene Seite Nordkoreas kennen gelernt, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekommt.
Wie viele Menschen sind denn voraussichtlich von der bevorstehenden Hungerkatastrophe betroffen?
Schon jetzt sind die Nahrungsmittel knapp - besonders auf dem Land, außerhalb der Hauptstadt. Wir haben Waisenhäuser, Kinderzentren und Kinderkrankenhäuser aufgesucht. Überall haben uns lokale Gemeindevertreter bestätigt, dass die Zahl unterernährter Kinder groß ist. Auf unser Drängen hat man uns ein paar von ihnen gezeigt. Sie sind kleiner als ihre Altersgefährten, viele sind sehr krank. Wir waren verwundert über die Offenheit der Verantwortlichen, die uns diese Begegnungen ermöglicht haben. Es zeigt uns aber auch, wie ernst die Lage wirklich ist.
Was sind eigentlich die Hauptgründe für Nordkoreas Nahrungsmittel-Dilemma? Auch in den letzten Jahren hat es ja immer wieder Hungerkatastrophen im Land gegeben.
Auch wenn man sich noch so sehr anstrengt - in Nordkorea ist es fast nicht möglich, genug Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung zu produzieren. Das Land ist einfach zu bergig. Außerdem sind die landwirtschaftlichen Produktionsmethoden unterentwickelt, um nicht zu sagen primitiv. Auf den Feldern gibt es Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Bauern, die noch per Hand den Boden pflügen, um ihn für das Reissetzen im Frühjahr vorzubereiten. In anderen Ländern verrichtet man so eine Arbeit mit Traktoren, oder zumindest mit Lasttieren. In Nordkorea machen das die Bauern allein - so wie vor Jahrhunderten.
Ein anderer Grund für die jetzige Lage ist der Rückgang der Nahrungsmittelhilfe, die in den letzten zwei Jahren vor allem aus Südkorea kam. Diese war nach den Raketen- und Atomtests Nordkoreas im letzten Jahr eingestellt worden.
Warum ist in den letzten Monaten auch die internationale Hilfe zurückgegangen? Liegt das an Nordkoreas Atomwaffenprogramm?
Ja, viele der Länder, die normalerweise Nahrungsmittel oder Geld spenden, haben dies nicht getan. Vielleicht wartet man auf eine erfolgreiche Resolution im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche zum nordkoreanischen Atomwaffenprogramm. Aber die Hungernden in Nordkorea warten zu lassen, während die Diplomaten verhandeln und den Atomstreit beilegen, ist unmöglich. Im Moment sind Vertreter des UN World Food Programme in Seoul, um mit der südkoreanischen Regierung zu verhandeln. Wir versuchen Südkorea davon zu überzeugen, die Nahrungsmittelhilfe wieder aufzunehmen. Dies soll aber im Rahmen des World Food Programme geschehen, damit die Hilfe von internationalem Personal überwacht und gelenkt werden kann. Nur so kommen die Nahrungsspenden auch tatsächlich bei den Ärmsten an.
Wie reagiert das World Food Programme der Vereinten Nationen auf die bevorstehende Hungerkatastrophe? Wird es sein Hilfsprogramm für Nordkorea ausweiten?
Nach unseren Schätzungen sind heute ungefähr sechs Millionen Menschen in Nordkorea unterversorgt. Diese könnte man sofort mit Nahrungsmittelhilfe erreichen. Im Moment haben wir aber nur die Erlaubnis, zwei Millionen Menschen zu betreuen. Von diesen erreichen wir wiederum nur 700.000, da die internationalen Spenden ausbleiben. Die nordkoreanische Regierung hat bereits angedeutet, dass sie uns erlauben würde, unser Hilfsprogramm auszuweiten.