Nordkorea behält Leiharbeitersystem
12. September 2017Von allem ein bisschen. So könnte man den Inhalt von Resolution 2375 vereinfacht zusammenfassen. Vieles von dem, was die USA ursprünglich gefordert hatten, stand am Ende nicht mehr im Text. Aus dem kompletten Ölembargo wurden beschränkte Lieferungen, die Auslandskonten des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un werden doch nicht eingefroren, genauso wenig wie die der staatlichen nordkoreanischen Fluggesellschaft Air Koryo und der Koreanischen Volksarmee. All das sind Kompromisse von Seiten Washingtons gegenüber Russland und China, um die Abstimmung im UN-Sicherheitsrat nicht zu gefährden.
Auch beim Status von nordkoreanischen Leiharbeitern, die im Ausland arbeiten und dort Geld für ihr Heimatland verdienen, machten die USA deutliche Zugeständnisse. Im ursprünglichen Entwurf war ein totales Beschäftigungsverbot vorgesehen. Das hätte bedeutet, dass Gastarbeiter de facto nach Nordkorea hätten zurückkehren müssen. Stattdessen wurde am Ende lediglich beschlossen, dass keine neuen Arbeitsgenehmigungen für Nordkoreaner mehr ausgestellt werden dürfen.
Das Geschäft mit den Arbeitskräften
Es ist bereits die neunte UN-Resolution seit dem ersten nordkoreanischen Atomtest im Jahr 2006. Wirkung gezeigt hat bisher keine von ihnen. Das Beispiel Leiharbeit zeigt exemplarisch einige der Schwierigkeiten auf, die deutlich machen, warum es so schwer ist, wirksame Maßnahmen zu finden. Die Leiharbeit ist ein Schattengeschäft, das dem Regime in Pjöngjang Jahr für Jahr zuverlässig dringend benötigte Devisen einbringt.
Dass Nordkorea in großem Stil Arbeitskräfte ins Ausland entsendet, um an dringend benötigtes Geld zu kommen, ist kein Geheimnis. Die Details sind es dagegen schon. Denn gesicherte Informationen sind wie so oft, wenn es um Nordkorea geht, Mangelware. Alles beruht lediglich auf Schätzungen. Und die Zahlen gehen weit auseinander.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind derzeit zwischen 35.000 und 100.000 Menschen unter sklavenartigen Bedingungen überall auf der Welt eingesetzt, die meisten davon in Russland und China. Sie schuften beispielsweise in der Holz- oder Textilindustrie, im Bergbau oder auch in der Landwirtschaft. Zeugenaussagen von Geflüchteten zufolge müssen sie oft weit mehr als zwölf Stunden arbeiten, stets strengstens bewacht von nordkoreanischem Sicherheitspersonal. Von ihrem Lohn sehen sie nicht viel, den Großteil des Geldes kassiert der nordkoreanische Staat ein. Die UN gehen davon aus, dass Nordkorea pro Jahr auf diesem Weg bis zu 2,3 Milliarden US-Dollar einnimmt.
Nordkoreanische Arbeiter – in Polen und Malta
Ein Teil dieses Geldes stammt aus der EU. Denn auch in Mitgliedsländern der Europäischen Union sind Arbeiter aus Nordkorea eingesetzt. Im Frühjahr 2016 veröffentlichte ein Team der niederländischen Universität Leiden unter Koreanistik-Professor Remco Breuker eine umfassende Studie zu diesem Thema. Demnach hielten sich zu jenem Zeitpunkt etwa 1000 Nordkoreaner in Europa auf: auf Malta und vor allem in Polen. Dort werden sie auf Baustellen, Werften oder im Gartenbau eingesetzt, verrichten oft körperlich anstrengende und gefährliche Arbeiten. Ihre Verträge werden von der Heimat-Regierung in Pjöngjang mit ausländischen Firmen direkt ausgehandelt, die Betroffenen selbst haben nichts Schriftliches in der Hand.
Heute recherchieren Remco Breuker und seine Mitarbeiter an einer Folgestudie. Aber auch nach anderthalb Jahren sind viele Fragen offen. "Wir wissen nach wie vor nicht genau, wie viele Nordkoreaner in der EU arbeiten. Es gibt Schätzungen, aber die sind sehr grob und könnten sich auch als komplett falsch herausstellen."
Unbequemes Thema, wenig Kooperationsbereitschaft
Ein Grund für die schlechte Informationslage sei die Tatsache, dass die betroffenen Länder sich gegen eine Zusammenarbeit regelrecht sperren würden, so Breuker gegenüber der DW. "Einzelne Mitgliedstaaten waren nicht sehr kooperativ. Das ist ein großes Problem. Solange es von Seiten der EU und der EU-Kommission keine konzertierten und abgestimmten Anstrengungen gibt, wird es sehr schwierig, hier etwas zu bewegen. Dann sind auch Sanktionen nutzlos und ineffektiv."
Die Europäische Union hatte sich in der vergangenen Woche hinter den damals noch unveränderten Resolutionsentwurf der USA gestellt und angekündigt, möglicherweise auch eigene Sanktionen weiter zu verschärfen. Nach Ansicht von Remco Breuker wäre das prinzipiell ein Schritt in die richtige Richtung. "Wenn nordkoreanische Zwangsarbeit innerhalb der Europäischen Union sanktioniert würde, dann hätte das schon Auswirkungen, denn da ist eine Menge Geld involviert. Im besten Fall sollten solche Sanktionen abgestimmt sein mit den UN, den USA und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO."
30.000 Dollar für den Arbeitgeber, 50 für den Arbeiter
Allerdings: Solche Maßnahmen können nur effektiv sein, wenn sie zielgerichtet sind. Und genau da liegt das Problem, meint Breuker. "Wir können ja nur Dinge sanktionieren, über die wir Bescheid wissen – also beispielsweise Devisenquellen, die uns bekannt sind. Aber es gibt eben auch all die informellen wirtschaftlichen Netzwerke. Wir haben eine große Wissenslücke, wie Nordkorea im Ausland Geld einnimmt."
Es gelte zunächst, diese Netzwerke zu identifizieren und zu finden. "Wir wissen, dass es sie gibt, aber in vielen Fällen wissen wir eben nicht, wo sie sind, wie viel Geld sie abwerfen oder wer darin involviert ist. Das müssen wir erst einmal herausfinden." Erst dann könnten Sanktionen wirklich greifen.
Wenn ein nordkoreanischer Leiharbeiter am Ende des Monats 100 Euro in der Tasche hat, dann kann er sich glücklich schätzen. Das haben die Befragungen der Uni Leiden ergeben. Durchschnittlich bleiben den Betroffenen lediglich 50 Euro, den Rest, nämlich geschätzte 90 Prozent, streichen der nordkoreanische Staat und Mittelsmänner ein. Und auch das in der EU ansässige Unternehmen profitiert gewaltig von dem Einsatz der Leiharbeiter, sagt Breuker: "Die ILO hat für die EU ausgerechnet, dass ein einzelner Arbeitnehmer dem ausbeutenden Unternehmen einen Nettogewinn von ungefähr 30.000 Dollar pro Jahr erwirtschaftet. "
Einstimmigkeit im Sicherheitsrat als Erfolg
Vorerst bleibt im Zusammenhang mit den Leiharbeitern aus Nordkorea der Status Quo bestehen. Diejenigen, die bereits im Ausland tätig sind, dürfen bleiben: nicht nur in der EU, China oder Russland, sondern auch in Asien, Afrika oder auf der arabischen Halbinsel.
Trotz der deutlich abgespeckten Maßnahmen, die der UN-Sicherheitsrat jetzt als Antwort auf den mutmaßlichen Wasserstoffbombentest Nordkoreas vor gut einer Woche beschlossen hat, zeigte sich Südkorea mit dem Maßnahmenkatalog zufrieden. "Verglichen mit dem ursprünglich von den USA eingebrachten Entwurf ist die Resolution zwar abgeschwächt", sagte Premierminister Lee Nak Yon in einer Kabinettssitzung. Allerdings sei es ein Erfolg, dass die Abstimmung im UN-Sicherheitsrat einstimmig ausfiel.