Nordirische Paramilitärs legen die Waffen nieder
1. November 2005Mehr als dreißig Jahre tobten die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland. Mehr als 3600 Menschen kamen dabei ums Leben - die Hälfte davon wurde durch die IRA (Irisch-Republikanische Armee) getötet.
Die Ursachen für den Konflikt reichen weit zurück: Schon 1917 gründeten Katholiken auf der irischen Insel eine Armee, die sich IRA nannte, um sich gegen die britische Kolonialmacht zu wehren. In einem Teil der Insel, dem heutigen Irland, gelang der Armee der Aufstand. Nordirland allerdings blieb britisch. Grund für die IRA, an ihrem Ziel - einem geeinten, unabhängigen Irland - festzuhalten. Die illegale Armee erkennt weder die Republik Irland noch den britisch dominierten Teilstaat Nordirland an.
Verwirrung an allen Fronten
Bei allen Friedensverhandlungen zwischen den protestantischen pro-britischen Unionisten und den katholischen pro-irischen Republikanern war die Entwaffnung der IRA immer eine der wichtigsten Forderungen gewesen. Dass sie wirklich einmal umgesetzt würde - damit hatte wohl bei den Unionisten niemand gerechnet. "Die Entwaffnung hat Verwirrung an allen Fronten hervorgerufen", sagt Bernhard Moltmann von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.
Zunächst sei der Schritt selbst in Zweifel gezogen worden. Zwar seien große Mengen an Waffen vernichtet worden. Es stelle sich trotzdem die Frage, ob tatsächlich alle Waffen vernichtet worden seien. Außerdem sei unklar, ob verdeckte Zugeständnisse gemacht worden seien, die nicht an die Öffentlichkeit geraten sind. Schon die offiziellen Abmachungen zwischen der Londoner Regierung und der IRA sorgten für Ärger. So haben Ende vergangener Woche in Belfast rund zehntausend Demonstranten gegen weitere Zugeständnisse der britischen Regierung an die IRA demonstriert. Auf scharfe Kritik stoßen unter anderem Pläne Londons, allen flüchtigen IRA-Mitgliedern eine Amnestie zu gewähren.
Reaktion auf IRA-Entwaffnung
Ein positives Zeichen kam am Sonntag (30.10.2005) von einer pro-britischen paramilitärischen Gruppe. Die Loyalist Volunteer Force (LVF) gab bekannt, dass sie ihre militärischen Einheiten aufgefordert habe, den bewaffneten Kampf aufzugeben. Sie reagiere damit auf die Entwaffnung der IRA. Die Guerilla-Gruppe war Mitte der 1990er von Billy "King Rat" Wright gegründet worden, einem Ex-Mitglied der Ulster Volunteer Force (UVF), der später von irischen Republikanern im Belfaster Maze-Gefängnis erschossen wurde. Die LVF ist für eine Reihe von konfessionell begründeten Morden verantwortlich, außerdem ist sie in Drogengeschäfte verwickelt. Der Entwaffnung der LVF könnten jetzt ähnliche Schritte anderer paramilitärischer Gruppen folgen, heißt es aus loyalistischen Kreisen.
Kriminalität und Eitelkeiten
Gekämpft wird unterdessen aber noch an einer anderer Front: Die größere UVF und ihre Absplitterung LVF liefern sich einen Machtkampf, bei dem seit Juli bereits vier Menschen getötet wurden. Mehrere Dutzend Familien wurden zum Verlassen ihres Wohnviertels gezwungen. Bei diesen Kämpfen unter den protestantischen Guerilla-Gruppen gehe es um Führungspositionen, Einflussgebiete, die Kontrolle von Schmuggelwegen, die Handhabung von gefälschten Gütern und der gesamten kriminellen Energie, sagt Moltmann. Zum Teil gehe es aber auch um die Eitelkeit von einzelnen Führern.
Viele Schritte auf dem Weg zum Frieden
Insgesamt sieht Moltmann die aktuelle Lage in Nordirland jedoch optimistisch. "Der Frieden wächst langsam und geht über viele Schritte", sagt er. Die Entwaffnungen seien dabei sicher ein weiterer Schritt. "Denn nunmehr ist ganz offensichtlich, dass alles, was an loyalistischer Gewalt passiert und weiter passieren wird, nicht mehr ein politisches Mandat in Anspruch nehmen kann, sondern nämlich das ist, was es ist: eine kriminelle Aktion."