Die Spuren der Krise
11. April 2012Bakayoko Hamed wischt sich den Schweiß von der Stirn. Der Abstieg zum Wasserfall ist steil, die Steine glitschig. Vorsichtig setzt der junge Mann einen Fuß vor den anderen. Doch nach 20 Minuten hat er es geschafft und strahlt: "Wir stehen hier vor dem Wasserfall von Man." Er gehört zu den beliebtesten Ausflugszielen der Region. Kein Wunder für Bakayoko Hamed: "Abends trifft man sich hier mit Freunden, diskutiert und erholt sich ein wenig." Der junge Mann muss ein bisschen gegen das Getöse des Wassers anschreien. Doch das macht er gerne.
Denn er ist Touristenführer und liebt es, Besuchern aus Europa seine Heimat zu zeigen. Man sei perfekt für einen Urlaub. Die Stadt, die im Westen der Elfenbeinküste liegt, sei besonders grün, und die vielen kleinen Berge würden sich perfekt für Wandertouren anbieten. Doch Bakayoko Hamed kann noch so viel Werbung machen. "Es kommen keine Touristen mehr. Sie alle glauben, die Elfenbeinküste sei viel zu gefährlich."
Das Land der zwei Präsidenten
Begonnen habe die Misere schon im September 2002, als der Bürgerkrieg ausbrach. Man galt damals als Rebellenhochburg. Fünf Jahre später wurde der Krieg endlich beendet. Bakayoko Hamed schöpfte wieder Hoffnung, die jedoch im November 2010 jäh zerstört wurde. Auslöser war die Stichwahl um das Präsidentenamt, die der Elfenbeinküste als weltweit größtem Kakaoproduzenten plötzlich zwei Staatsoberhäupter bescherte: Alassane Ouattara, den die internationale Gemeinschaft als gewählten Präsidenten anerkannte - und Laurent Gbagbo. Der langjährige Amtsinhaber weigerte sich zurückzutreten, und die Krise, wie die Ivorer die Monate nach den Wahlen bezeichnen, begann. Beendet wurde sie offiziell am 11. April, als Ouattaras Truppen mit internationaler Unterstützung Altpräsident Gbagbo in seinem Bunker verhafteten.
Abgeführt wurde er im Unterhemd. Die Bilder gingen um die Welt und hätten das Ende eines alten Machtinhabers nicht besser symbolisieren können. Denn Gbagbo galt schließlich als der Bösewicht, sein Herausforderer Ouattara als der Erneuerer und Hoffnungsträger. Was viele Menschen außerhalb der Elfenbeinküste allerdings nicht beachtet haben: Der Altpräsident hat zwar wohl nicht die Mehrheit der Stimmen bekommen, doch er ist von vielen Menschen gewählt worden.
Ouattaras Truppen wüteten in Duékoué
Romaric Giazahi schaut auf seine schwarze Nähmaschine, mit der er ein paar zerrissene Jeans flickt. Er kichert verlegen und gibt dann zu: "Ich habe Gbagbo gewählt." Heute ist es ihm peinlich. Er lebt in Duékoué, rund zwei Autostunden südlich von Man. Die Stadt galt schon immer als Gbagbo-freundlich. Ausgerechnet hier wüteten kurz vor dessen Festnahme die Truppen seines Gegners. Romaric Gaizahi war selbst betroffen. Er musste mit ansehen, wie der Markt abgefackelt wurde - sein Arbeitsplatz. All das geschah um den 29. März 2011 herum, als längst klar war: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Expräsident gefangen wird.
Trotzdem richteten Ouattaras Truppen Augenzeugen zufolge ein Massaker an. Wie viele Menschen starben, ist bis heute nicht geklärt. Vermutlich wären es noch mehr gewesen, wenn der katholische Priester Cyprien Ahouré nicht so beherzt reagiert hätte. Er öffnete die Tore der Missionsstation mitten in der Stadt für 30.000 Flüchtlinge: “Das war der blanke Horror und ist schrecklich gewesen.“
Mit den schrecklichen Erinnerungen leben
Ein Jahr später werden die Notunterkünfte nach und nach wieder abgebaut, und die Menschen kehren langsam in ihre Dörfer zurück. Auch Roady Tehanzin hat den Schritt gewagt. Mit seiner Familie lebt er wieder in Fengolo und macht sich Mut: "Seitdem der Krieg nun vorbei ist, ist die Lage hier im Land wieder stabil. Die Menschen können wieder arbeiten." Dann schweigt er einen Augenblick und gibt zu: "Wie früher ist es aber nicht mehr hier." Eine Erfahrung, die auch Priester Ahouré jeden Tag macht: "Wir müssen mit diesen schrecklichen Erinnerungen weiterleben."
Offensichtlich versucht niemand, diese Erinnerungen aufzuarbeiten. Alassane Ouattara richtete zwar bereits im September 2011 eine Versöhnungskommission nach südafrikanischem Vorbild ein. Doch seit der Eröffnungszeremonie ist es wieder still um diese geworden. Auch die Organisation Human Rights Watch kritisiert, dass Verbrechen nicht aufgearbeitet werden. Niemand habe die Vorfälle von Duékoué untersucht, geschweige denn den Verantwortlichen für die Massenmorde zur Rechenschaft gezogen, erklärt die Organisation.
Die Elfenbeinküste als Touristenziel
Es passt ins Bild, das viele Menschen im Westen der Elfenbeinküste von ihrem neuen Präsidenten haben. Nach außen gebe sich dieser staatsmännisch. Doch um die abgelegene Region an der Grenze zu Liberia kümmert er sich nicht. Touristenführer Bakayoko Hamed zuckt mit den Schultern. Zur Politik will er sich nicht äußern. Lieber appelliert er noch einmal an mögliche Touristen: "Die Elfenbeinküste ist wirklich ein sicheres Ziel, und Man hat so viel zu bieten." Doch bis potenzielle Urlauber davon überzeugt sind, wird sicherlich noch viel Zeit vergehen.