Griechenland-Krise wird Chefsache
18. Juni 2015Im Saal in der Runde der Euro-Finanzminister war die Stimmung düster bis niedergeschlagen als der griechische Minister Yanis Varoufakis (Artikelbild l.) das Wort bekam. Eine halbe Stunde habe der Ökonomie-Professor wieder eloquent die gleichen wolkigen Reformvorschläge vorgetragen, die die Kreditgeber schon mehrfach als nicht ausreichend zurückgewiesen haben, heißt es von Diplomaten. Dem Chef der Euro-Gruppe, dem niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, reichte es irgendwann. Er entzog Varoufakis das Wort.
In seiner anschließenden Pressekonferenz fordert der griechische Finanzminister eine Umschuldung für sein Land und weist die Vorschläge der Kreditgeber, also Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds und EU-Kommission, scharf zurück. "Ich kann nicht darüber spekulieren, was passiert, wenn Europa es nicht schafft, eine Vereinbarung zu finden", sagt Varoufakis. Ein "Unfall", also ein unabsichtliches Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Währungsgemeinschaft sei "gefährlich nahe."
"Verhindern Sie eine Katastrophe"
Mit einem dramatischen Appell hatte sich zuvor der für Währungsfragen zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici öffentlich an die griechische Regierung gewandt: "Kehren sie mit vernünftigen, glaubwürdigen Vorschlägen an den Verhandlungstisch zurück, und zwar so schnell wie möglich, um eine Katastrophe abzuwenden", sagte er nach der Sitzung der 19 Finanzminister der Euro-Gruppe.
Gleichzeitig gab der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, in Brüssel bekannt, dass sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten bereits am Montag zu einem Krisen-Gipfel treffen würden. Der Gipfel könne keine Einzelheiten verhandeln, sagte der Chef der Euro-Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, aber die politischen Führer müssten sich positionieren. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras verlangt nach wie vor eine "politische Lösung".
Unklar ist allerdings, ob bis zum kommenden Montag überhaupt neue Vorschläge für einen Kompromiss vorliegen können. Beide Seiten streiten über weitere Sparmaßnahmen im griechischen Haushalt. Griechenland fordert eine Umschuldung, die die Kreditgeber bislang ablehnen. Die Ansicht von Finanzminister Varoufakis, dass man bei der Beurteilung der aktuellen Lücken im Haushalt nicht weit auseinander liege, teilen seine Ressort-Kollegen offenbar gar nicht. Der Streit habe politische Gründe, behauptet Varoufakis.
"Wir warten auf Griechenland"
Eine Stunde lang hatten die Minister, der EU-Kommissar, die Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF und der Präsident der Europäischen Zentralbank dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis ins Gewissen geredet. Anschließend sagt IWF-Chefin Christine Lagarde (Foto r.): "Wir warten. Wir warten!" Die Institutionen, also die Kreditgeber, seien sehr flexibel gewesen. Bei dem zu erzielenden Haushaltsüberschuss sei man Griechenland sehr weit entgegengekommen. Der Währungsfonds werde aber auf der pünktlichen Rückzahlung der fälligen Raten bestehen, so Lagarde. Griechenland muss bis zum 30. Juni 1,6 Milliarden Euro überweisen.
Der Chef der Euro-Gruppe, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, zieht eine bittere Bilanz der letzten Wochen und Monate. "Wir haben keine Fortschritte erreicht. Eine Übereinkunft, die vor allem glaubwürdig sein muss, war nicht möglich." Eine Einigung sei immer noch möglich, die Zeit laufe jedoch davon. Eine Auszahlung der vormals in Aussicht gestellten Hilfen von 7,2 Milliarden sei technisch inzwischen nicht mehr möglich. Das laufende Programm müsste daher über den 30. Juni hinaus verlängert werden.
Nächster Stopp Sondergipfel
Nach Ansicht von IWF-Chefin Lagarde muss der Gipfel am Montag vor allem zeigen, dass "da jetzt Erwachsene in einem Raum sitzen, die eine Lösung wollen." Das gelte vor allem auch für die Frage eines möglichen Schuldenschnitts. Diesen Schuldenschnitt fordert Varoufakis vehement ein. Ohne ihn könne es keine Vereinbarung geben. Er schloss aus, das Griechenland über das Wochenende nun neue Vorschläge vorlege. "Wir haben bereits Vorschläge auf den Tisch gelegt, die die Krise heute und sofort lösen könnten."
Christine Lagarde hatte auf den scharfen Ton angespielt, der seit Tagen zwischen den Parteien herrscht. Alexis Tsipras bezeichnete die Forderungen der Kreditgeber als absurd. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bezichtigte Tsipras der Lüge. Er würde die Öffentlichkeit in Griechenland irreführen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte noch am Mittwoch im Bundestag gesagt, wo ein Wille sei, sei auch ein Weg. Sie forderte die griechische Regierung zum Handeln auf. Der Ball liegt also weiter im Feld Griechenlands, am Montag beim Sondergipfel könnten sie ihn aufnehmen. Dann ist Griechenland noch neun Tage von einer Zahlungsunfähigkeit und einem möglichen Ausscheiden aus dem Euro entfernt.
Varoufakis schließt Kaptialverkehrskontrollen aus
Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem wiederholt in Luxemburg noch einmal: "Es ist unser tiefster Wunsch, Griechenland in der Eurozone zu halten. Wenn das nicht möglich ist, sind wir auf alle Möglichkeiten vorbereitet." Das schließt auch den Grexit mit ein. Doch Dijsselbloem betont: "Wir wollen vor allem eine faire Lösung für die Menschen in Griechenland." Der griechische Finanzminister lehnt Kontrollen des Kapitalverkehrs in Griechenland entschieden ab: "Das würde das genaue Gegenteil der Währungsunion bedeuten, die ja den freien Kapitalfluss garantieren soll". Durch abfließendes Kapital und immer mehr Kredite, die nicht bedient werden können, geraten nach griechischen Medienberichten die hellenischen Banken immer mehr in Bedrängnis. Yanis Varoufakis kündigt zum wiederholten Male an, dass er die Steuerverwaltung effizienter machen wolle und eine neue Aufsichtsbehörde für die Abwicklung des Staatshaushaltes aufbauen wollen. "Das ist unser Zeichen des guten Willens", so Varoufakis.