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Nitazene sind stärker und tödlicher als Heroin

26. Juni 2024

Nitazene sind starke synthetische Opioide. Entwickelt wurden sie in den 1950er-Jahren, klinisch eingesetzt wurden sie nie. Als Droge konsumiert, sorgen sie nun immer häufiger für Todesfälle.

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Mann sitzt auf einer Bank mit hängendem Kopf, der rechte Arm baumelt herunter
Drogenbehörden sind zunehmend besorgt wegen synthetischer Straßendrogen, darunter synthetisches Marihuana, Fentanyl und verschiedene NitazeneBild: Spencer Platt/Getty Images

Vor allem in den USA und in Großbritannien sind die Drogenbehörden zunehmend besorgt über den Konsum synthetischer Straßendrogen - also Drogen, die in öffentlichen Räumen wie Parks oder in Clubs verkauft werden. Darunter sind synthetisches Marihuana wie "Spice", aber auch Fentanyl und Oxycodon.

Die potentiell tödliche Wirkung von Fentanyl und Oxycodon war kaum erkannt, da tauchte ein weiteres schmerzstillendes Opioid auf und wurde zu einer lebensgefährlichen Straßendroge. Die gemeinhin als Nitazene bekannten 2-Benzyl-Benzimidazol-Opioide stammen ursprünglich aus der Pharmaindustrie und sind bis zu 500 Mal stärker als Heroin. Und sie machen sehr schnell abhängig. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Nitazene anderen Substanzen wie Heroin und Fentanyl, und sogar Cannabis beigemischt werden, um etwa die Herstellungskosten zu senken.

Globale Verbreitung

Auch der jüngst von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) veröffentlichte “Europäischen Drogenbericht 2024“ sieht “Europas wachsendes Opioidproblem“. In dem Drogenbericht spricht die EMCDDA von Nitazene als "eine neue Bedrohung“. Im Jahr 2023 waren laut neuestem Drogenbericht sechs der sieben neuen synthetischen Opioide, die dem EU-Frühwarnsystem gemeldet wurden, Nitazene. Insgesamt seien seit 2919 in Europa 16 Nitazene entdeckt worden.

In vielen EU-Ländern wurde ein starker Anstieg von Todesfällen und Vergiftungen durch Nitazene registriert. Zudem könnte die Dunkelziffer laut Europäischen Drogenbericht 2024 noch deutlich höher liegen. "Es könnte sein, dass Nitazene und ähnliche Substanzen in einigen Ländern zurzeit bei routinemäßigen postmortalen toxikologischen Untersuchungen nicht nachgewiesen werden, sodass die Zahl der mit ihnen verbundenen Todesfälle möglicherweise unterschätzt wird.“

Was sind Nitazene?

Nitazene, eine Klasse von mehr als 20 synthetischen chemischen Verbindungen, wurden ursprünglich in den 1950er-Jahren als opioide Schmerzmittel, sogenannte Analgetika, entwickelt. Sie wurden jedoch nie für die Verwendung in der Human- oder Veterinärmedizin zugelassen. Synthetische Drogen wie Nitazene und Fentanyl werden nicht wie Heroin oder Cannabis auf natürliche Weise angebaut oder kultiviert, sondern mithilfe von Chemikalien künstlich hergestellt.

Nitazene haben eine psychoaktive Wirkung, was laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bedeutet, dass sie "mentale Prozesse, einschließlich Wahrnehmung, Bewusstsein, Kognition oder Stimmung und Emotionen, beeinflussen".

In Pulverform verkauft, haben Nitazene eine gelbe, braune oder gebrochen weiße Farbe. Nach Angaben der US-Drogenbekämpfungsbehörde werden Nitazene auch in Pillen gepresst und "fälschlicherweise als Arzneimittel vermarktet, wie Dilaudid 'M-8'-Tabletten und Oxycodon 'M30'-Tabletten". Die Wirkung ähnelt denen anderer Opioide. Es kommt zu Euphorie, Sedierung und zu einer Art Wach-Schlaf-Bewusstsein, aber auch zu Atemdepression und Atemstillstand.

Warum ist das Risiko einer Überdosierung so hoch?

In einem offenen Brief an die Zeitschrift Lancet Public Health vom Februar 2024 schrieb die  Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht , dass Nitazene "seit 2022 zunehmend in Post-mortem-Analysen von drogenbedingten Todesfällen identifiziert wurden". 

Adam Holland von der School of Psychological Science der Universität Bristol kommentierte - ebenfalls in Lancet Public Health - dass Nitazene in Substanzen nachgewiesen wurden, die als andere Opioide, Benzodiazepine und Cannabisprodukte verkauft wurden. "Das bedeutet, dass viele Verbraucher unbeabsichtigt Nitazene konsumieren, ohne sich der Risiken bewusst zu sein", schrieb Holland.

In solchen Fällen ist die Gefahr einer Überdosierung besonders groß. Daten aus Großbritannien zeigen beispielsweise, dass zwischen Juli und Dezember 2023 mehr als 50 Menschen nach dem Konsum von Nitazenen starben.

Was bewirken Nitazene im Körper?

Nitazene interagieren mit verschiedenen Opioidrezeptoren im Gehirn und Nervensystem. Einer dieser Rezeptortypen wurde in einem Beratungspapier der britischen Regierung als "Hauptvermittler" im Gehirn beschrieben. Dieser beeinflusst positive, therapeutische Funktionen wie Schmerzlinderung und die Belohnung des Gehirns und ruft ein Gefühl der Euphorie hervor.

Eine 2022 durchgeführte Untersuchung, die sich mit der Funktion eines anderen Rezeptors beschäftigt, stellte allerdings fest, dass "sowohl therapeutische als auch unerwünschte Wirkungen von Opioiddrogen durch ihre Bindung" an die Rezeptoren hervorgerufen werden. Zu diesen unerwünschten Wirkungen gehören Sucht, Abhängigkeit und Entzugserscheinungen.

Quellen:

European Drug Report 2024: Trends and Developments

https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2024_en

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): "New psychoactive substances" in the European Drug Report 2023: https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2023/new-psychoactive-substances_en

Advisory Council on the Misuse of Drugs (UK, 2022): "Advice on 2-benzyl benzimidazole and piperidine benzimidazolone opioids" — updated December 2023: https://www.gov.uk/government/publications/acmd-advice-on-2-benzyl-benzimidazole-and-piperidine-benzimidazolone-opioids/acmd-advice-on-2-benzyl-benzimidazole-and-piperidine-benzimidazolone-opioids-accessible-version#pharmacology

Zhang JJ, Song CG, Dai JM, Li L, Yang XM, Chen ZN. "Mechanism of opioid addiction and its intervention therapy: Focusing on the reward circuitry and mu-opioid receptor" in MedComm, June 2022: https://doi.org/10.1002/mco2.148

Pergolizzi J Jr, Raffa R, LeQuang JAK, Breve F, Varrassi G. "Old Drugs and New Challenges: A Narrative Review of Nitazenes" in Cureus, June 2023: https://doi.org/10.7759/cureus.40736

Schüller M, Lucic I, Øiestad ÅML, Pedersen-Bjergaard S, Øiestad EL. "High-throughput quantification of emerging "nitazene" benzimidazole opioid analogs by microextraction and UHPLC-MS-MS" in Journal of Analytical Toxicology, September 2023: https://doi.org/10.1093/jat/bkad071

 

Der Artikel ist ursprünglich auf Englisch erschienen und wurde am 25.06.2024 aktualisiert. 

 

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Zulfikar Abbany Wissenschaftsredakteur