Nikab-Entscheidung
22. August 2016Die Entscheidung fiel in wenigen Minuten nach dem angesetzten Erörterungstermin. Die Klägerin hatte wegen des großen Medieninteresses an ihrem Fall nicht ins Gericht kommen wollen. Die Verhandlung wurde daraufhin abgesagt, und das Gericht entschied in Abwesenheit der jungen Frau. Sie darf mit Nikab nicht am Unterricht teilnehmen.
Mitten in die politische Diskussion über Verbote von Burkas und ähnlichen Gesichtsverhüllungen in Deutschland platzt nun dieses Urteil im Rechtsstreit um den Nikab. Das ist ein Schleier, der im Gesicht einzig einen schmalen Schlitz um die Augen frei lässt, ansonsten aber geschlossen ist.
Der Fall
Eine volljährige muslimische Schülerin, deutsche Staatsangehörige aus einem Nachfolgestaat Jugoslawiens, wollte das Sophie-Scholl-Abendgymnasium in Osnabrück besuchen und dabei ihren Nikab aus religiösen Gründen nicht ablegen. Daraufhin hat die Schule ihre Zulassung, die sie im April noch erteilte, widerrufen. Die Frau soll dann angeboten haben, vor Unterrichtsbeginn einer weiblichen Schulbeschäftigten gegenüber ihren Schleier kurzzeitig zu öffnen. So hätte ihre Identität festgestellt werden können. Die Schule lehnte dieses Verfahren jedoch ab und berief sich auf das Landesschulrecht. Danach muss die Schule "funktionsfähig bleiben." Das sei aber mit dem Nikab nicht gewährleistet. Es müsse eine offene Kommunikation geben können, die neben dem Wort auch Gesichts- und Körpersprache benötige, argumentierte die Schulleitung. Die Schülerin beharrte weiter auf dem Nikab, der offenbar zuvor von anderen Schulen akzeptiert worden war. Erst am vergangenen Freitag klagte sie auf Zulassung an dem Abendgymnasium.
Verfahren im Eiltempo
Länger gab es kaum öffentliche Details, weil das Verwaltungsgericht Osnabrück die Angelegenheit im Eilverfahren entscheiden musste. Es zähle in dem jetzt beginnenden Schuljahr jeder Tag. Die Schülerin sollte in der Schule nicht fehlen. Der Fall musste also schnell gelöst werden. Dieses sogenannte "einstweilige Rechtsschutzverfahren" sah generell keine öffentliche Verhandlung vor. Jede Information bedurfte der Genehmigung des Richters. Die Schülerin sollte ursprünglich mit ihrer Anwältin, den Vertretern der Schule sowie der Schulbehörde für diesen Montag ins Verwaltungsgericht zu einer Erörterung verbindlich erscheinen. Gegen das Urteil kann die Frau noch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegen.
Juristische Bewertung
Zum Umgang mit Kopftüchern in Schulen gab es immer wieder einmal Gerichtsentscheidungen, die wegen der in Deutschland garantierten Religionsfreiheit oft positiv für die Kopftuch-Trägerinnen ausfielen. Wie Schulen aber mit Gesichtsschleiern wie dem Nikab verfahren sollen, dazu gibt es bisher nur einen Fall, der in Bayern am Verwaltungsgericht Regensburg und später in zweiter Instanz am Verwaltungsgerichtshof von München entschieden wurde. Im Jahr 2014 fiel das Urteil zugunsten der Schule aus, die den gesichtsverhüllenden Schleier verbieten durfte. In Bayern sah man den "Schulfrieden gestört". Es gelte, neben den Anforderungen der Schule auch die Gefühle der Mitschüler zu berücksichtigen, hieß es damals.
Schulrecht ist nicht einheitlich
Ähnlich sah das ein Elternverein in Nordrhein-Westfalen und unterstützte eine Grundschule, die in Düsseldorf den Gesichtsschleier verbot. Schulrecht ist Ländersache, und jedes Bundesland hat dazu unterschiedliche Festlegungen getroffen. Nirgendwo steht explizit geschrieben, dass ein Nikab oder eine Burka nicht getragen werden darf. Immer heisst es nur, die Funktionsfähigkeit der Schule müsse gewährleistet sein. Diese Formulierung ist immer Sache der Auslegung. Es muss jeder Fall einzeln entschieden werden. Immer wieder steht Freiheit der Religionsausführung gegen das Recht der Schulen auf reibungslose Abläufe. Ausschluss vom Unterricht gab es immer wieder einmal in Deutschland, weil Schülerinnen den Gesichtsschleier unbedingt tragen wollen. Einige Schülerinnen verzichteten dann auf das Anlegen des Kleidungsstückes, andere verließen schlicht die Schule, wie in einem Fall an der Bonner Bertholt-Brecht-Gesamtschule. Auch die Grundschule in Essen-Altendorf duldete keine vollverschleierte Muslima. An einigen Schulen reagierten muslimische Mütter mit der Abmeldung ihrer Kinder.
Die Vertretung vieler Lehrer und Pädagogen, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hat keine einheitliche Position zum Umgang mit der Vollverschleierung. Diese werde in bisherigen Diskussionen mehrheitlich immer wieder aus frauenrechtlichen Aspekten abgelehnt. Der Schleier symbolisiere, dass Männer über Frauen Macht ausübten, und das könne und dürfe eine Schule als Wert nicht transportieren, erklärt ein Sprecher der GEW gegenüber der DW. Selbst Lehrer schwanken in ihren Einschätzungen und Urteilen. Bei einer Stichprobe der DW kam schnell heraus: Die einen wollen es aus Respekt vor anderen Kulturen erlauben, andere erklären, dass mit Schleier keine Unterhaltung und Bewertung möglich sei. Welches Lager überwiegt, weiß nicht einmal die GEW einzuschätzen.