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Nigerias radikale Islamisten

Katrin Gänsler17. Dezember 2013

In Nigeria hat es sie immer gegeben: Besonders konservative und teils auch radikale Gruppierungen im Islam. Jüngstes Beispiel ist Boko Haram. Dabei sind viele Anhänger der Gruppen oft alles andere als religiös.

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Islam in Nigeria
Bild: DW/Katrin Gänsler

Muh'd Tukur Adam Abdullahi steht vor einem großen Poster, das in seinem Büro hängt. Der Druck ist schlecht und das Bild vergilbt. Doch der Imam der Al-manar Juma'at Moschee in Kaduna schaut es sich gerne an. Es zeigt die al-Haram-Moschee in Mekka, die größte der Welt. Erst vor wenigen Wochen war der Imam selbst dort. Er begleitete Pilger aus dem Bundesstaat Kaduna im Norden Nigerias bei ihrer Hadsch. Die Reise war für ihn ein besonderes Erlebnis, obwohl er Mekka gut kennt und in Saudi-Arabien studiert hat. "Dort fühle ich: Allah ist wundervoll, und der Islam ist eins."

Seine Verbindungen nach Saudi-Arabien sind intensiv. Geld erhalte er aber nicht, sagt Muh'd Tukur Adam Abdullahi und schüttelt energisch den Kopf. "Seit 9/11 ist kein einziger Cent aus Saudi-Arabien oder von irgendeiner ausländischen Organisation nach Nigeria geflossen." Andere Imame und Vertreter muslimischer Organisationen bestätigen das. Nur ab und zu gebe es ein bisschen Geld für den Bau einer Dorfmoschee oder für Waisenkinder. Sicherheitsexperten internationaler Organisationen – sie lassen sich nicht einmal ohne Namen zitieren – kommen jedoch zu einer anderen Bewertung. Sie vermuten, dass durchaus Gelder aus Ländern wie Saudi-Arabien, Katar und dem Iran in das westafrikanische Land fließen. Die Überprüfung bleibt indes schwierig.

Islam in Nigeria
Muh'd Tukur Adam Abdullahi, Imam der Al-manar Juma'at Moschee in KadunaBild: DW/Katrin Gänsler

Radikale Gruppierungen haben Tradition

In Nigeria gelten radikale islamische Gruppierungen als hausgemachtes Problem. Ein Beispiel dafür ist Boko Haram. Ihre Mitglieder wollen nach eigenem Bekunden die Scharia einführen und westliche Demokratieformen abschaffen. Der Gruppe werden gute Kontakte zum Terrornetzwerk Al Kaida und Trainings im Ausland nachgesagt. Gegründet wurde sie vor zwölf Jahren in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno. Radikalisiert hat sie sich im Sommer 2009 als Gründer Mohammed Yusuf und weitere Mitglieder der Führungsebene bei einem großangelegten Militäreinsatz ums Leben kamen. Noch heute wird kritisiert, dass Soldaten die Männer auf offener Straße hinrichteten anstatt sie zu verhaften.

Religiös, aber gottlos

Sani Isah, Imam der Waff Road Moschee in Kaduna, sucht Ursachen für die Radikalisierung von Gruppen wie Boko Haram noch woanders. Heute würden viele Anhänger solcher Gruppen Grundsätze des Korans ignorieren und Dinge zu ihren Gunsten interpretieren. Diese falsche Auslegung sei Nigerias Problem. "In allen Bewegungen gibt es deshalb Mängel und Fehler", sagt Sani Isah.

Falsche Auslegungen der Religion beobachtet auch Rechtsanwalt Joshua Alobo mit Sorge, im Islam wie auch im Christentum. Religion habe einen zu hohen Stellenwert und werde gleichzeitig falsch interpretiert. "Nigeria ist die am meisten religiöse Nation der Welt und gleichzeitig die gottloseste", kritisiert Alobo, der gerade ein Buch über Boko Haram verfasst hat. Sein Lieblingsbeispiel dafür ist die nigerianische Korruption. Wenn er beobachtet, wie sich diese durch alle Ebenen Nigerias zieht, ist er sicher: Nigerianer halten sich zwar für extrem religiös, handeln aber nicht danach.

Verführerische Namen

Es kommt auch immer wieder zu Straßenschlachten – angeblich für die Religion. Hauptsächlich junge Menschen liefern sich Kämpfe. Angelockt werden sie häufig durch neue und wohl klingende Namen, sagt Imam Sani Isha: "Salafismus klingt nach einem guten Namen. Er hört sich verführerisch an." Was tatsächlich dahinter steckt, davon hätten sie oft keine Ahnung und würden es auch gar nicht genau wissen wollen. Doch sie verteidigen den Namen.

Islam in Nigeria
Sani Isah, Imam der Waff Road Moschee in KadunaBild: DW/Katrin Gänsler

In Jos sitzt Sunday unter einem Baum im Schatten. Der junge Mann, der nur seinen Vornamen nennt, trägt eine schwarze Schirmmütze und ist ein Aussteiger. Früher hat auch Sunday, der lange als kleiner Drogendealer arbeitete, angeblich im Namen seiner Religion gekämpft. Leute wie ihn zu finden, das sei in Nigeria überhaupt kein Problem. "Die großen Männer kommen zu uns in den Dschungel, wenn sie etwas von uns wollen." Der sogenannte Dschungel, wo sich junge Kämpfer rekrutieren lassen, habe eigene Gesetze. "Für Recht und Ordnung interessiert sich niemand", sagt Sunday.

Straßenschlachten für die Religion

Sunday, der froh ist, vor zwei Jahren den Ausstieg geschafft zu haben, hat noch genau in Erinnerung, was die jungen Kämpfer wollen: Drogen. "Wenn sie die eingeworfen haben, dann kämpfen sie im Namen der Religion." Ob sie sonst in die Kirche oder die Moschee gehen würden? Sunday lacht und sagt: "Natürlich nicht." Die Religion sei nur bei den Straßenschlachten wichtig. Sunday lacht wieder: "Wir verteidigen sie, obwohl wir gar nicht religiös sind."