Nigerianer in Moskau: Geplatzter Traum
7. Juli 2018Die beiden nigerianischen Brüder möchten ihre Namen nicht nennen. Aus Scham. Denn die beiden jungen Männer, Anfang 20, sind Betrügern auf den Leim gegangen. In der nigerianischen Metropole Lagos haben ihnen Landsleute versprochen, in Russland als Profi-Fußballer viel Geld zu machen. Und falls das nicht klappe, dann fänden sie auf jeden Fall einen anderen Job, in dem sie gut verdienten. Eine Karriere als Sportler - was für ein Traum! Der jüngere Bruder spielte in Nigeria für Amateurvereine.
Einreisen konnten die beiden mit der sogenannten Fan-ID, die die russische Regierung zur Fußball-Weltmeisterschaft ausgegeben hat. Darauf sind persönliche Daten gespeichert. Sie ersetzt für Ausländer während der WM das sonst obligatorische Visum für Russland.
Falsche Versprechungen - echte Enttäuschung
Doch gleich nach der Ankunft auf dem Moskauer Flughafen zerplatzte der Traum der Brüder. "Unter der Telefonnummer, die man uns in Nigeria gegeben hatte, antwortete niemand", sagt der jüngere Bruder leise. Gemeinsam verbrachten sie drei Tage in einem Hotel. Dann ging ihnen das Geld aus. Sie baten die nigerianische Botschaft um Hilfe - und wurden weggeschickt. "Wir gingen dann zu einer Moschee", erinnert sich der jüngere Bruder. Schlafen konnten sie dort nicht, aber der Imam gab ihnen etwas zu essen. Sie übernachteten in Moskauer Parks. Prompt wurden sie beklaut: "Der Koffer war plötzlich weg." Sie gingen wieder zur Botschaft. Diesmal gab ihnen einer der Konsularbeamten eine Telefonnummer.
Es war die von Alternativa, einer russischen Nichtregierungsorganisation, deren ehrenamtliche Mitarbeiter Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit unterstützen. Alternativa finanziert sich ausschließlich aus Spenden. Auch den Brüdern konnte der Verein helfen: Er vermittelte sie an Murat Harsijew und Danier Tagiew. Die beiden betreiben am Stadtrand von Moskau das Hostel Alijanz mit gut 20 Betten. Sie waren bereit, die nigerianischen Brüder aufzunehmen - kostenlos, weil sie das als gute Muslime für ihre Pflicht halten.
Kein Visum, keine Arbeitserlaubnis, kein Geld
"Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man fremd, nicht willkommen ist, kein Geld hat", sagt Murat Harsijew. Er stammt aus dem Nord-Kaukasus, hat die Kriege um Tschetschenien in den neunziger Jahren, hat Flucht und Vertreibung erlebt. Inzwischen lebt er in Moskau als Geschäftsmann. Zusammen mit Danier Tagiew aus Samarkand hilft er, wo Glaubensbrüder Unterstützung brauchen. In der zweiten Juli-Hälfte müssen die beiden jungen Nigerianer zurückfliegen, weil ihre Fan-IDs dann die Gültigkeit verlieren - bis dahin können sie im Hostel bleiben.
Andere Nigerianer haben weniger Glück. Gleich vier sitzen im Büro von Alternativa im Zentrum Moskaus. Auch ihnen haben Schlepper in Lagos versprochen, als Fußballer oder als Arbeiter in Russland Geld verdienen zu können. Auch sie haben kein Visum, sondern nur eine Fan-ID, sprechen kein Russisch. Sie sind dankbar, dass Alternativa für sie die Übernachtungskosten in einem Hostel übernommen hat. Vorerst zumindest.
Unterstützung durch Ehrenamtliche und Spenden
"Wir können leider nicht allen helfen", sagt Julia Siluyanowa. Die 32-Jährige leitet das Büro von Alternativa in Moskau. Seit Beginn der Weltmeisterschaft kämen täglich hilfesuchende Nigerianer zu ihnen, sagt sie, aber die Botschaft unterstütze niemanden. Sie gebe nur die Nummer der NGO weiter. "Die Botschaft lässt helfen - ohne selbst etwas zu tun." Einer der anwesenden Nigerianer sagt, er schäme sich deswegen für die diplomatische Vertretung seines Landes: "So ein Verhalten hätte ich nicht erwartet."
Julia Siluyanowa glaubt, dass sich nur ein Bruchteil der betroffenen Nigerianer bei ihrer NGO meldeten und dass um die 200 Personen betroffen seien. "Viele haben die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch Fußball-Profi zu werden oder einen Job zu bekommen." Doch die eingereisten Afrikaner dürften in Russland gar nicht arbeiten. Wenn sie Geld verdienten, dann im kriminellen Milieu, "als Drogendealer". Was die Lage erschwert: Viele Nigerianer verfügen nur über gefälschte Rückflugtickets. Selbst wenn sie zurückwollen - ohne Geld wissen sie nicht, wie.
Die Nigerianer, die bei ihr Unterstützung suchten, hätten immerhin gültige Pässe, sagt Julia Siluyanowa, die im Büro mit zehn anderen Freiwilligen zu helfen versucht. Bis zum 23. Juli griffen die russischen Behörden nicht ein. So lange gelte die Aufenthaltserlaubnis der Fan-IDs. Danach aber müssten die Nigerianer das Land endgültig verlassen.