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Nigeria: Mindestlohn-Einigung oder neue Streiks?

Okeri Ngutjinazo
7. Juni 2024

Anfang der Woche hatten mächtige Gewerkschaften in Nigeria Flugverkehr, Stromversorgung, Schulen und Verwaltung lahmgelegt. Jetzt wird verhandelt - doch die Vorstellungen über einen Mindestlohn liegen weit auseinander.

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Nigeria | Vor einem geschlossenen Eisentor mit dem Schild "Wir sind im Streik" sitzt ein Mann im roten Hemd auf einem Plastikstuhl
Gewerkschaften haben ihren Arbeitskampf für mögliche Gespräche mit der Regierung ausgesetztBild: Kola Sulaimon/AFP/Getty Images

Nachdem sie einmal bewiesen hatten, dass sie das Land lahmlegen können, setzen Nigerias größte Gewerkschaften auf Verhandlungen: Mindestens bis Dienstag haben sie ihren unbefristeten Streik unterbrochen. Der Nigeria Labor Congress (NLC) und der Trade Union Congress (TUC), hoffen, mit diesem Zugeständnis die Regierung für Gespräche an den Verhandlungstisch zu holen.  

Arbeitnehmer fordern einen höheren Mindestlohn in einer Zeit, in der Nigeria die schlimmste Lebenshaltungskostenkrise seit einer Generation erlebt: Zweistellige Inflationsraten sind bei jedem Lebensmitteleinkauf schmerzlich spürbar.

Nigeria | Vor dem Flughafengebäude mit geschlossenen Glastüren sitzt ein Passagier in orangefarbener Kleidung
Arbeitnehmer legten mit einem Generalstreik das Land lahm: Das Stromnetz war abgeschaltet, Krankenhäuser und Flughäfen geschlossenBild: Kola Sulaimon/AFP/Getty Images

Um ihre Forderung durchzusetzen, kündigten NLC und TUC unbefristete Streiks an und brachten damit am Montag bereits das Land weitgehend zum Stillstand: Flugzeuge blieben am Boden, das nationale Stromnetz fiel aus und Ämter und Schulen waren geschlossen.

Die Uhr tickt

Tayo Aboyeji, ein NLC-Sekretär, drohte allerdings mit neuen Streikaktionen - wenn die Regierung sich nicht innerhalb einer Woche mit den Arbeitnehmern einigen werde.

Dieser Arbeitskampf ist bereits der vierte Protest der Gewerkschaften seit Amtsantritt des nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu im Mai 2023. Arbeitnehmer drücken ihren Frust über die aktuelle Politik des Präsidenten aus, der Benzinsubventionen zusammenstrich, Strompreise erhöhte - und dem es bislang nicht gelang, die Landeswährung Naira zu stabilisieren.

Die Gewerkschaften fordern einen monatlichen Mindestlohn von 494.000 Naira (etwa 300 Euro), also weit mehr als die derzeitigen 30.000 Naira. Die Regierung gab einen Mindestlohn von mehr als 60.000 Naira als eigenes Zielniveau aus. Beide Seiten wollten sich jedoch um eine Einigung bemühen. 

Lohnerhöhung "lähmt die Wirtschaft"

Informationsminister Mohammed Idris fürchtet Mehrbelastungen für die Staatskasse von jährlich 9,5 Milliarden Naira, würde auf Bundesebene der geforderte Mindestlohn greifen. "Dazu kommen Auswirkungen auf die Kosten für die Landesregierungen und die Beschäftigten des privaten Sektors." Eine solche Lohnsumme würde die nigerianische Wirtschaft lähmen, da sie zu massiven Arbeitsplatzverlusten führe, insbesondere im privaten Sektor, so Idris.

Nigeria | Zwei Schüler in braun-weißer Uniform sitzen vor ihrer geschlossenen Schule auf dem Gehweg
Auch Schulen blieben im landesweiten Streik geschlossenBild: Kola Sulaimon/AFP/Getty Images

Dr. John Markus Ayuba, ehemaliger Bankmanager und Finanzkommissar im nigerianischen Bundesstaat Kaduna, warnte vor den Konsequenzen im DW-Interview: Das Angebot der Regierung an die Gewerkschaft reichten für einen durchschnittlichen Nigerianer zum Leben nicht aus.

"Der Betrag liegt weit unter dem, was ein durchschnittlicher Nigerianer braucht, um in diesem Land gut zu leben, denn ich lebe in Nigeria und weiß, was das bedeutet", betonte Ayuba und fügte hinzu: Wenn die Gewerkschaften den Betrag von 60.000 Naira akzeptieren würden, hätten sie den Streik gar nicht erst beginnen dürfen.

Viele Nigerianer sind sauer

Nach Angaben der NLC-Gewerkschafterin Roselyuba Anara war der Streik schon lange geplant. "Die Menschen haben die Nase voll. Das Leiden ist zu groß, der Hunger ist zu groß, und die Inflation beißt", sagte sie zur DW und fügte hinzu, dass der Naira nutzlos sei, da "die Preise, die Kosten für Lebensmittel auf den Märkten so hoch sind, dass die Armut eskaliert ist".

Anara wirft Präsident Tinubu vor, er habe die Wirtschaft durch das abrupte Ende der Benzin-Subventionierung im Mai 2023 abgewürgt: Seine Entscheidung, die Subventionen abrupt zu beenden, führte zu einer Verdoppelung der Benzinpreise, steigenden Lebensmittel- und Transportkosten und einem Anstieg der Preise für importierte Produkte.

Markt in Lagos: Menschen in bunter Kleidung drängen sich auf einem Markt, aufgespannte Schirme sind zum Verkauf, Bücher und anderes
Markt in Lagos: Lebenshaltungskosten sind für Nigerianer hoch, viele können sich Lebensmittel kaum leistenBild: Emmanuel Osodi/AA/picture alliance

"Wie kann man die Subvention streichen, ohne die Menschen darauf vorzubereiten?" Es betreffe zum Beispiel die Marktfrau, die Pfeffer und Tomaten in Dollar verkaufen, sagte Anara. "Mit Naira kann sie keine Lebensmittel kaufen, keine Transportkosten bezahlen, keine Medikamente kaufen oder sich nicht einmal um ihre Kinder kümmern kann, dann ist es sinnlos", sagte die Gewerkschafterin zur DW.

Lackmustest für alle

Seit seinem Amtsantritt hat Tinubu einige wirtschaftliche Reformen in Angriff genommen, die seiner Meinung nach notwendig sind und in Zukunft Früchte tragen werden. Sie haben jedoch zusammen mit den makroökonomischen Auswirkungen der COVID-Pandemie und des russischen Krieges in der Ukraine einen zusätzlichen Druck auf die Inflation ausgeübt, die in diesem Jahr mit mehr als 30 Prozent einen Höchststand seit fast 30 Jahren erreicht hat.

Tinubu habe sich als jemand erwiesen, der die Massen anspricht, aber was im Moment passiere, ist "ein Lackmustest für uns, um zu sehen, was in diesem Fall passiert", sagte Dr. John Markus Ayuba im DW-Interview. Er rief die Regierung dazu auf, dass - wenn schon Opfer gebracht werden müssen - dies auf breiter Front geschehen sollte, auch in der Regierung. Konkret meinte der Bankmanager damit die Diäten der Abgeordneten in Nationalversammlung, Senat und Repräsentantenhaus. Beschwerden, diese seien unverhältnismäßig hoch, seien bislang verhallt.

Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowski