Hilfe für Trauma-Opfer
14. Juli 2017Es ist Freitagnachmittag in der Kleinstadt Uba im Nordosten Nigerias. Einige Frauen sind gerade dabei, ihre letzten Einkäufe zu erledigen. Die Atmosphäre in den schmalen Nebenstraßen ist entspannt und friedlich. "Dafür danken wir Gott. Hier in Uba herrscht jetzt wieder Ordnung", sagt die 22-jährige Hawa Hassan und spielt damit auf die Zeit unter Boko Haram an. Im September 2014 fiel die Miliz in Uba ein, terrorisierte die Bewohner - monatelang. Schätzungen zufolge ermordeten die Islamisten 20.000 Menschen in der Region, entführten Kinder und Frauen, vergewaltigten sie. Ganze Dörfer sind verwüstet. Uba gilt heute zwar als "befreit", doch die Gedanken an den Terror bleiben.
Hawa Hassan, die sich gemeinsam mit ihrer Schwester um den kranken Vater kümmert, schaut auf den sandigen Boden und schweigt. Sie will nicht über ihre Erinnerungen sprechen. Der 29-jährige Abubakar Mohammed schon. Er lebt im selben Viertel. "Viele Menschen leiden psychisch", sagt er. "Kinder mussten mitansehen, wie ihre Eltern ermordet worden sind."
Kaum psychologische Beratung
Doch Hilfe, um das Gesehene und Erlebte zu verarbeiten, gibt es kaum. Nur in den Provinzhauptstädten arbeiten ein paar Psychologen - für die meisten Menschen auf dem Land sind sie unerreichbar. Die Reisen dorthin sind zu lang und zu teuer. Vor allem fehlt es aber an Informationen darüber, was Trauma ist und welche Symptome damit einhergehen. "Das Konzept von seelischer Verletzung hat bis vor Kurzem gar nicht zu unserer afrikanischen Tradition gehört. In den meisten unserer Sprachen existiert das Wort 'Trauma' gar nicht. Wir können es nur umschreiben", sagt Maji Peterx, der für die Organisation 'Carefronting' mit Sitz in der Stadt Kaduna arbeitet. Er hat sich auf die Behandlung von Trauma-Patienten spezialisiert.
Nach wie vor verübt Boko Haram Anschläge und zahlreiche Binnenflüchtlinge - die Vereinten Nationen zählen aktuell 1,9 Millionen - trauen sich nicht zurück in ihre Heimatdörfer. Doch seit die Terrorgruppe offiziell keine Gebiete mehr im Nordosten Nigerias besetzt, bietet Peterx auch in kleineren Städten wie Mubi und Michika Workshops zum Umgang mit seelischen Verletzungen an. Er sagt: Die Nachfrage steigt. "Es gibt jetzt ein Bewusstsein. Die Menschen wissen, dass diese Gräueltaten sie beeinflussen. Angstzustände, Depressionen, Schlafstörungen - das sind Symptome, die mit dem Trauma einhergehen."
"Tiefe seelische Narben"
Carefronting versucht deshalb Menschen zu erreichen, die mit Opfern der Terrorgruppe Boko Haram in Kontakt stehen: Helfer, die in Kirchen- oder Moscheegemeinden aktiv sind, die sich in ihren Vierteln engagieren oder für nichtstaatliche Organisationen arbeiten. In den Workshops lernen sie, wie sie am besten reagieren, wenn jemand über erlebte Grausamkeiten sprechen will und wie sie selbst damit umgehen. Maji Peterx hat eigenen Angaben zufolge seit vergangenem Jahr mehr als 200 Personen geschult.
In der Provinzhauptstadt Yola hat gerade Maurice Kwairanga, katholischer Priester und Leiter des Komitees für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden, einen solchen Workshop vorbereitet und selbst teilgenommen. Kwairanga gibt zu: "Die Teilnehmer sind keine Psychologen oder Beratungsexperten." Trotzdem hält er die Arbeit für sehr wichtig. "Auch wenn nicht alles unbedingt systematisch verläuft, können wir Betroffenen helfen."
"Viele Menschen haben tiefe Narben in der Seele", sagt Maurice Kwairanga, der in Yola auch ein Camp für Binnenflüchtlinge leitet. Würde nicht über die Vergangenheit gesprochen werden, könne das eine neue Welle der Gewalt auslösen, befürchtet er: "Es kann dazu führen, dass Menschen Rache üben."
In der Kleinstadt Uba kann sich Hawa Hassan im Moment noch nicht vorstellen, das aufzuarbeiten, was sie unter der Terrorherrschaft von Boko Haram erlebt hat. "Ich möchte mich an nichts erinnern, was mit Boko Haram zu tun hat." Zum Glück habe sie keine Albträume. Im Moment lautet ihr Ziel: in die Zukunft blicken und hoffen, dass es in ihrer Heimat friedlich bleibt.