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Nigeria: Die neuen Wege der Menschenhändler

Katrin Gänsler
30. Oktober 2017

Jedes Jahr ziehen tausende junge Menschen vom Bundesstaat Benue in Ostnigeria in den Südwesten des Landes. Sie träumen von einer Ausbildung und einem guten Gehalt. Doch es erwartet sie eine moderne Form von Sklaverei.

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Nigeria Menschenhandel Naka
Bild: DW/K. Gänsler

Die 18-jährige Judith Akuha sitzt auf einer kleinen Holzbank im ländlichen Osten Nigerias. Ihr Blick ist leer. Zwischendurch verscheucht sie mit den Händen ein paar Hühner, die aus einem kleinen Schälchen Melonensamen herauspicken wollen. Dann setzt sie sich wieder hin, starrt ohne sichtbare Gefühlsregung in die Ferne. Diese Apathie ist ein typisches Symptom für jene, die aus dem Südwesten zurückgekehrt sind. Judith wird verfolgt von Erinnerungen an die vergangenen drei Jahre. Am Anfang stand das Versprechen ihres Onkels, der heute nicht mehr lebt. "Er wollte mich im Yoruba-Land auf die Schule schicken. Sogar die Fahrt dorthin bezahlte er", erinnert sie sich.

Nigeria Menschenhandel Judith Akuha
Judith Akuha wurde drei Jahre auf einer Farm festgehaltenBild: DW/K. Gänsler

Tatsächlich arbeitete der Onkel mit Menschenhändlern zusammen. Was er sich davon versprach, Judith zu vermitteln - oder welche Gegenleistung er bekam, weiß sie nicht. Doch statt einer Ausbildung erwartete sie körperliche Arbeit: "Morgens musste ich um sechs Uhr aufstehen und wurde dann auf eins der Felder gebracht. Abends ging es zurück", erzählt die junge Frau monoton. Manchmal hört sie für einen Moment auf und spricht dann über den Hunger und den Mangel an allem. Sie bekam nur Geld, um ein paar Kekse zu kaufen. Noch erniedrigender war die schmutzige und zerfetzte Kleidung: "Ich hatte nichts zum Wechseln."

Menschenhandel und Sklaverei

"Yoruba-Land" - so nennt man hier in Benue den Südwesten Nigerias, seit Jahrzehnten das übliche Ziel für Arbeitsmigration, eine selbstverständliche Einkommensquelle. In den 1980er Jahren waren Farmer aus Yoruba-Land nach Benue gekommen und hatten mit den Dorfchefs Löhne ausgehandelt, die nach getaner Arbeit auch gezahlt wurden. Das Angebot war freiwillig. Dass die Farmer am anderen Ende des Landes nach Arbeitern suchen, liegt daran, dass Landwirtschaft in beiden Regionen auf recht ähnliche Art betrieben wird.

Nigeria Menschenhandel Valentine Kwaghchimin
Valentine Kwagchimin ist besorgt über die Ausmaße von Menschenhandel und moderner SklavereiBild: DW/K. Gänsler

Inzwischen habe sich die Situation besorgniserregend verändert, findet Valentine Kwaghchimin, der in der Provinzhauptstadt Makurdi für das Caritas-Komitee für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden arbeitet. Im vergangenen Jahr hat er erste Daten erhoben, die zeigen: Heute ist von der Freiwilligkeit nichts mehr übrig geblieben. "Der Transport in den Südwesten ist ganz klar Menschenhandel. Die Lebensbedingungen weisen Formen von moderner Sklaverei auf."

Frauen werden zur Prostitution gezwungen

Elementare Rechte würden den Arbeitern verweigert, berichtet Kwaghchimin. Die Männer und Frauen würden auf den Farmen eingesperrt und dürften diese höchstens unter Aufsicht verlassen. Ihnen würden die Mobiltelefone abgenommen. Nachts müssten sie in kleinen Räumen zusammengepfercht auf dem Boden schlafen. Sanitäranlagen gebe es oft nicht. Auch Judith hat es so erlebt. Andere Frauen berichten von Vergewaltigungen und Zwangsprostitution. Wer sich weigert, dem wird das wenige Essen gestrichen. Nach den Beobachtungen von Valentine Kwaghchimin sind es jährlich mindestens 11.000 Menschen aus Benue, die im Südwesten unter diesen Konditionen leben. Die Dunkelziffer ist vermutlich weitaus höher. Da das Phänomen bisher nicht viel Beachtung gefunden hat, mangelt es an Informationen.

Nigeria Menschenhandel Sylvester Udam Ugbede
Laut Sylvester Udam Ugbede gehen nur wenige Opfer zur Polizei - denn die fordert Geld, bevor sie eine Untersuchung einleitetBild: DW/K. Gänsler

In Naka, einer Kleinstadt mit rund 30.000 Bewohnern, hat Sylvester Udam Ugbede die gleichen Beobachtungen gemacht. Der Pensionär hat schon viele Menschen in den Südwesten gehen sehen. "Die Zahlen hängen etwas davon ab, wie viele Arbeitskräfte gerade gebraucht werden. Besonders anfällig sind junge Männer, die niemanden haben, der ihnen die Schule bezahlt." Während die Mädchen mit einer Ausbildung gelockt werden, wird Männern ein guter Lohn als landwirtschaftlicher Mitarbeiter versprochen. Von 30.000 bis 40.000 Naira (70 bis 93 Euro) ist die Rede. In Nigeria liegt der Mindestlohn bei 18.000 Naira.

Keine Chance auf Gerechtigkeit

Doch davon sehen die meisten nie etwas. "Erst heißt es, dass die Ernte schlecht war. Dann muss sie erst verkauft werden. Sie werden immer vertröstet", erklärt Ugbede. Zur Polizei würden die Opfer aber nur selten gehen. "Ab und zu gelingt es jemandem, Bezahlung einzufordern. Aber häufig passiert das nicht. Denn am Anfang muss man schließlich auch die Polizei bezahlen, damit sie den Fall untersucht."

Nigeria Menschenhandel Bundesstaat Benue
Der Bundesstaat Benue gilt als Kornkammer Nigerias - vor allem Yams und Maniok werden hier angebautBild: DW/K. Gänsler

Dabei hat mittlerweile auch die nigerianische Behörde zur Bekämpfung des Menschenhandels, kurz Naptip, Kenntnis von dem System, das ganz ähnlich wie internationaler Menschenhandel mit Zwangsprostitution funktioniert. "Wir sind dabei, in verschiedenen Gegenden für folgendes zu plädieren: Wenn ihr Landwirtschaft betreiben wollt, dann denkt daran, dass Benue die Kornkammer des Landes ist", sagt Daniel Atokolo, der das Naptip-Regionalbüro in Makurdi leitet. Statt ihr Glück in der Ferne zu suchen, sollten die Menschen Kooperativen formen und das vorhandene Land bewirtschaften.

Alleine mit dem Trauma

Judith, die heute bei Bekannten in Naka Unterschlupf gefunden hat, hat noch nie von Naptip gehört. Auch eine andere Organisation, die beispielsweise eine Therapie für Opfer des Menschenhandels anbietet, kennt sie nicht. Geholfen hat ihr nur eine Frau, deren Namen sie nicht einmal kennt. "Sie hat mich angesprochen: Judith, wenn ich Geld für den Transport gebe, fährst Du dann zurück? Ich habe ja gesagt", erinnert sie sich. Alleine hätte sie nicht einmal das Geld für ihre Flucht aufbringen können. Viele kehren wie Judith traumatisiert und mit leeren Händen zurück. Was ihnen bleibt, ist die Schande, es in der Fremde nicht geschafft zu haben - und die wiedergewonnene Freiheit.