Niemand will den Default
23. Juli 2014Gebetsmühlenartig wiederholt die argentinische Regierung um Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner, dass Argentinien seine Schulden aus dem Staatsbankrott 2001 bezahlen wolle. Allein der New Yorker Richter Thomas Griesa verhindere es.
Bereits 2012 hatte Griesa den beiden US-Hedgefonds NML Capital und Aurelius 1,33 Milliarden US-Dollar aus argentinischen Staatsanleihen zugesprochen, die das Land nach dem Staatsbankrott 2001 nicht mehr bedient hatte. Es handelt sich um sogenannte Holdouts - Inhaber von Anleihen, die nach dem Default nicht umgeschuldet worden waren. 2005 und 2010 waren insgesamt 92,4 Prozent der Anleihen um zwei Drittel ihres Nennwertes gekürzt worden. Ratenzahlungen leistet das Land seit der Pleite jedoch nur für Kredite, die das Land danach aufgenommen hat, und an Gläubiger, die sich an den Umschuldungen beteiligt hatten.
Das Bedienen dieser Kredite beurteilte Richter Griesa jedoch als illegal: Zunächst müssen die älteren Kredite zurückgezahlt werden. Dagegen wehrt sich Argentinien bisher standhaft. Doch nachdem Griesa Ende Juni die Zahlung einer nachrangigen Rate von 539 Milliarden US-Dollar stoppte, läuft eine Gnadenfrist, die am 30. Juli endet. Zahlt das Land bis dahin seine Raten nicht, ist es technisch zahlungsunfähig. Am Dienstag (22.07.2014) haben sich die Vertreter beider Seiten noch einmal in New York zusammengesetzt, konnten allerdings den Konflikt weiterhin nicht beilegen. Richter Griesa ordnete Verhandlungen zwischen der argentinischen Regierung und Gläubigern an. Sie sollen am Mittwoch beginnen.
Ein Interesse an einem erneuten Zahlungsausfall Argentiniens hat eigentlich keine der beiden Parteien: Argentinien will seine Kreditwürdigkeit beweisen, und die Gläubiger wollen ihr Geld. "Das Grundproblem ist inzwischen das stark vergiftete Verhandlungsklima", glaubt Lateinamerika-Ökonom Federico Foders vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Regierung hetzt gegen US-Fonds
Kaum ein Tag vergeht, an dem kein Regierungs- oder Parteimitglied die "Geierfonds" verbal attackiert. Regierungsnahe politische Organisationen unterstützen den rhetorischen Kampf mit inszenierten Demonstrationen. Selbst im Ausland wirbt Cristina Kirchner um Unterstützung gegen die US-Fonds. Ihre letzte große Bühne war das Treffen der Staats- und Regierungschefs von BRICS und Unasur in Brasilien Mitte Juli. Diverse lateinamerikanische Regierungen haben Kirchner bereits den Rücken gestärkt.
Diese Drohkulisse braucht die Regierung vor allem innenpolitisch: Aus den Parlamentswahlen im Oktober 2013 ist sie geschwächt hervorgegangen und nächstes Jahr endet die zweite und letzte Amtszeit der zentralen Figur, "Cristina". Dass sie den Richter Griesa beeindruckt, ist eher unwahrscheinlich, denn juristisch ist die Situation im Grunde klar: Im Gegensatz zu anderen Rechtssystemen schreibt das New Yorker Recht keine Collective Action Clause (CAC) für Staatsanleihen vor, nach der sich alle Gläubiger im Falle einer Insolvenz auf eine einheitliche Umschuldung einigen müssen. Doch die argentinische Regierung versäumte es, die CAC einzuschließen, als sie in den 90er-Jahren Staatsanleihen nach New Yorker Recht ausgab, und ließ sich so auf das Risiko der schwierigen Einzelverhandlungen ein.
Dass Griesas Urteil rechtens ist, weiß offenbar auch die argentinische Regierung, denn ihre Argumentation stützt sich weniger auf juristische, denn auf politische, um nicht zu sagen polemische Aspekte: Die Hedgefonds hätten die Schuldscheine zu Ramschpreisen gekauft und würden unmoralische Gewinne erzielen. Zudem könne sich das Land den Schuldendienst nicht leisten, zumal daraus andere Forderungen von rund 120 Milliarden US-Dollar entstehen könnten, die das Land in den erneuten Ruin treiben würden.
Argentinien droht kein Staatsbankrott
Diese Gefahr begründet die Regierung mit der sogenannten RUFO-Klausel, die angeblich in allen umgeschuldeten Anleihen steht. Sie verbietet eine freiwillige Besserstellung anderer Gläubiger. Die Inhaber der umgeschuldeten Papiere könnten also, so die Regierung, doch noch die volle Summe verlangen, wenn die Holdouts bedient würden.
Allerdings bestehen an dieser Darstellung erhebliche Zweifel: Erstens macht Argentinien keine Anstalten, die Holdouts "freiwillig" besser zu stellen, vielmehr lässt sie sich von Richter Griesa dazu zwingen. Zweitens, sagt Argentinien-Experte Foders, enthielten überhaupt nur wenige der neuen Anleihen die Klausel: "Die RUFO-Klausel spielt eigentlich keine Rolle."
Wie hoch die Forderungen sind, die Argentinien aus den gesamten Holdouts drohen, ist ungewiss. Argentiniens Regierung behauptet, dass sie "unmittelbar 15 Milliarden US-Dollar zahlen müsste". Bisher haben die zahlreichen Kleinanleger unter den Holdouts jedoch überhaupt keine Rechtstitel erstritten. Diese Forderungen sind also derzeit noch rein hypothetisch.
Würden alle Gläubiger ihre Forderungen durchsetzen, wäre das zwar eine empfindliche Summe, zumal ständig weitere Ratenzahlungen - zum Beispiel für Kredite des Pariser Clubs - fällig werden. Aber die Zentralbank verfügt immerhin über Reserven von 29 Milliarden US-Dollar. Argentinien steht also keineswegs vor dem unmittelbaren Bankrott. Die gute Ernte 2014 verspricht weitere Deviseneinnahmen aus landwirtschaftlichen Exporten. Und mit einer soliden Wirtschaftspolitik könnte das Land noch weitere Rohstoffe ausbeuten und Devisen erwirtschaften.
Argentinien braucht frisches Kapital
Zwar hat China Argentinien gerade erst einen zweckgebundenen Kredit über 7,5 Milliarden US-Dollar für Infrastrukturprojekte zugesagt, und auch Russland hat Interesse signalisiert, in den argentinischen Gas- und Ölsektor zu investieren. Um aber die Wirtschaft in Gang zu bringen, ohne sich zusätzlich von anderen Staaten abhängig zu machen, braucht Argentinien Zugang zu den internationalen Kreditmärkten. Dafür müsste das Land aber zunächst den technischen Default abwenden. "Die fälligen Schulden zu zahlen, wäre ein wichtiger Schritt, um bei Kreditgebern neues Vertrauen zu gewinnen", sagt Volkswirt Foders.
Das dürfte auch der Regierung klar sein. Wirtschaftsminister Axel Kicillof ist schließlich promovierter Ökonom. Die Frage ist, ob die Regierung sich dazu durchringt. Die meisten Beobachter gehen aber davon aus, dass es doch noch zu einer Einigung kommen wird. Die könnte so aussehen, dass Richter Griesa den Vollzug seines Urteils zeitweise aussetzt und die eingefrorenen Gelder freigibt, damit Argentinien die umgeschuldeten Raten bedienen kann und dem Land der Default erspart bleibt.
Voraussetzung dafür wäre aber wohl, dass Argentinien mit den Hedgefonds einen Zahlungsaufschub vereinbart. Am Montag (21.07.2014) hat Kiciloff jedenfalls noch einmal an Richter Griesa geschrieben, dass Argentinien die Holdouts in diesem Jahr nicht mehr auszahlen werde. Die neue Fälligkeit könnte also der 1. Januar 2015 sein, dann nämlich verfällt die RUFO-Klausel, die der argentinischen Regierung offenbar solche Kopfschmerzen bereitet. Und für die Hedgefonds kommt es jetzt wohl auch auf ein halbes Jahr nicht mehr an.