Niedrigwasser im Rhein bremst Konjunktur
7. Juli 2023Die niedrigen Pegelstände auf Deutschlands wichtigster Wasserstraße behindern die Schifffahrt und vor allem den Gütertransport. "Die Binnenschifffahrt kann aktuell ihre volle Ladekapazität nicht mehr ausnutzen", sagte der Vorstand der Schifffahrtsgenossenschaft DTG, Roberto Spranzi, am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters.
Ökonomen befürchten, dass ein lang andauernder niedriger Wasserstand die Erholung der angeschlagenen deutschen Volkswirtschaft erschweren. "Sollten die Pegelstände im Jahresverlauf ähnlich niedrig ausfallen wie 2018 oder 2022, würde das die Konjunkturerholung beeinträchtigen", sagte Marc Schattenberg von Deutsche Bank Research ebenfalls Reuters gegenüber. Sollten Vorprodukte und Rohstoffe wie etwa Öl, Gas oder Baustoffe fehlen, gerate die Produktion ins Stocken.
Auch 2022 hatte die lahmende Konjunktur sichtbare Spuren auf dem Rhein und anderen Wasserstraßen hinterlassen - und umgekehrt hatten die Pegelstände die Konjunktur beeinträchtigt: Die Binnenschifffahrt hat, so das Statistische Bundesamt, im vergangenen Jahr - unter anderem auch wegen Niedrigwassers im Rhein - so wenig wie noch nie seit der Wiedervereinigung transportiert. 182 Millionen Tonnen an Gütern wurden per Binnenschiff befördert: 6,4 Prozent weniger als 2021.
Neuerliche Delle für das Wachstum
Der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft verweist auf die ökonomisch schmerzhaften Folgen niedriger Rheinpegel. "Berechnungen zu den Folgen des Niedrigwasser 2018 im Rhein zeigen, dass die Industrieproduktion um etwa ein Prozent abnimmt, wenn die Pegelstände an der Messstelle Kaub am Mittelrhein die kritische Marke von 78 Zentimetern für einen Zeitraum von 30 Tagen unterschritten haben", erläuterte Kooths dem Digitalmagazin Zeit Online.
De Industrieproduktion des traurigen Rekordjahres sei um etwa eineinhalb Prozent gedrückt worden. Auf das ganze Jahr 2018 berechnet hätte das Niedrigwasser etwa 0,4 Prozent an Wirtschaftsleistung gekostet. Allerdings sei die damalige Situation "nicht eins zu eins auf heute übertragbar“, so Kooths. So sei die "Fallhöhe" für die deutsche Industrieproduktion damals viel größer gewesen.
Die negativen Auswirkungen von Lieferengpässen seien für die deutsche Industrie besonders schlimm: "Bis zuletzt blieb die Industrieproduktion aufgrund der Lieferengpässe um sieben Prozent hinter dem Niveau zurück, das angesichts der Auftragseingänge zu erwarten wäre", sagte er.
"Gegenwärtig kommt allerdings verschärfend hinzu, dass die Behinderungen durch das Niedrigwasser auf ohnehin schon sehr angespannte Lieferketten treffen", sagte Kooths der Süddeutschen Zeitung. Jede weitere Belastung werde aber den wirtschaftlichen Aufschwung ausbremsen. Weil die Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot größer wird, wirke jede Produktionsbehinderung preistreibend. Kooths: "Aus Inflationsgesichtspunkten geht es somit nicht allein um die Folgen steigender Transportkosten".
Heftiger Preisanstieg
Noch fahren die Binnenschiffe. Es lässt sich aber nicht vorhersagen, wie lange sie das noch tun. Denn bei niedrigen Wasserständen werden, im Gegensatz zu Hochwasserereignissen, Flüsse nicht einfach gesperrt - die Behörden überlassen es den Reedereien, ob sie fahren wollen oder nicht.
"Wir fahren weiter, können aber nur etwa 25 bis 35 Prozent der Schiffskapazität beladen", zitiert die ARD-Tagesschau den DTG-Direktor Spranzi. Die DTG betreibt rund 100 Schiffe auf dem Rhein. "Das bedeutet, dass Kunden oft drei Schiffe benötigen, um ihre Fracht zu transportieren - statt nur einem."
Für Firmen, deren Logistik auf den Schiffstransport ausgerichtet sind, führt das zu teilweise erheblich höheren Kosten: Der Preise für ein Flüssiggastransport von Rotterdam nach Karlsruhe liegen derzeit bei etwa 94 Euro pro Tonne. Noch im Juni lag der Preis pro Tonne bei rund 20 Euro.
Modellschiff bereits im Einsatz
Auch 2022 schränkte die Trockenheit das Frachtgeschäft der Binnenschifffahrt ein. Zeitweise sank die Transportkapazität auf etwa 50 Prozent. Der Chemieriese BASF hat daraus Konsequenzen gezogen: Das Unternehmen präsentierte im Mai dieses Jahres sein Spezialschiff Stolt. Mit 135 Meter Länge und 17,5 Meter Breite ist die Stolt deutlich größer als übliche Rheinschiffe, kann aber kritische Stellen selbst bei einem Pegelstand von nur 30 Zentimetern mit einer Ladung von 800 Tonnen passieren, so BASF. Das sei deutlich mehr als bei jedem anderen heute verfügbaren Tankschiff.
Bei mittlerem Niedrigwasser liege die Transportkapazität mit rund 2500 Tonnen doppelt so hoch wie die konventioneller Binnenschiffe, hieß es. Das Schiff in Leichtbauweise besitze einen „hydrodynamisch optimierten„ Rumpf sowie drei Elektromotoren und zehn Edelstahltanks, hieß es. BASF zufolge hat die “Stolt“ eine maximale Transportkapazität von rund 5100 Tonnen.
Grüne Bremse
Inzwischen fordern viele Wirtschaftsvertreter eine Vertiefung der Fahrrinnen an der besonders problematischen Stelle zwischen St. Goar und Mainz am Mittelrhein. Felsen sollen abgetragen werden, sogenannte Längsbuhnen an den Ufern sollen Wasser in die Flussmitte lenken. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte sich schon in seiner Zeit als Landesminister in Rheinland-Pfalz dafür ausgesprochen. Die Grünen, Koalitionspartner in der Bundesregierung, verhinderten aber, dass das Projekt in die Liste besonders dringlicher Bauprojekte aufgenommen wurde.
Auch Naturschützer und viele Gemeinden am Fluss lehnen eine Vertiefung der Fahrrinne ab. Sie befürchten eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und Schäden für das Ökosystem. Man solle, formulierte es etwa der "Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)", lieber die Schiffe dem Rhein und nicht den Rhein den Schiffen anpassen.