Niederlande: Macht der Wahlsieg Geert Wilders milder?
23. November 2023"Ich habe einen Knoten im Magen", sagt Yvonne Snither in Den Haag am Tag nach dem Erdrutschsieg des Rechtspopulisten Geert Wilders. Auch Siamak, der nur seinen Vornamen nennt, hat ein seltsames Gefühl und sorgt sich um die Zukunft seines Landes.
Andere Wählerinnen und Wähler begrüßen den Wahlausgang. "Ich finde es sehr gut," sagt Roy van de Puut. Auch Vincent Ventink sagt: "Die Menschen haben so gewählt, weil sie es so wollen." Er ist davon überzeugt, dass der Rechtspopulist der nächste niederländische Premierminister wird.
Deutlicher Sieg
Die Bevölkerung in den Niederlanden ist nach einer spannenden Wahlnacht in einem neuen politischen Szenario erwacht. Mit 37 von insgesamt 150 Sitzen im Parlament konnte der offensichtlich selbst überraschte Geert Wilders mit seiner Partei für die Freiheit (PVV) die Anzahl der Stimmen im Vergleich zum letzten Urnengang (17) verdoppeln.
Abgeschlagen dahinter folgen 25 Sitze für das sozialdemokratisch-grüne Wahlbündnis aus Sozialdemokraten, angeführt von dem ehemaligen EU-Kommisions-Vizepräsident Frans Timmermans. Die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), angeführt von Dilan Yesilgöz, erreichte 24 Sitze.
Die letzten Meinungsumfragen vor der Wahl hatten zunächst auf ein enges Rennen zwischen den drei Parteien hingedeutet. Der eindeutige Sieg von Wilders überraschte auch die Demoskopen.
Revolte von rechts
René Cuperus, Politikanalyst beim Clingendael-Institut, spricht von einem "Schock" für das Land. Er bedauere das Ergebnis, da man in den Niederlanden gehofft habe, ein Gegenbeispiel zu dem weltweiten Erfolg des Anti-Establishment Populismus zu liefern.
Man hätte darauf gehofft, im Gegensatz zu Italien oder auch zu den USA mit Trump, "eine Revolte im politischen Zentrum durchführen zu können". Grund für diese Annahme waren unter anderem die beiden neuen Parteien – eine Bauern-Partei sowie die neue Partei des ehemaligen Christdemokraten Pieter Omtzigt, "Nieuw Sociaal Contract".
Islamfeindliche Hetze
Wilders hatte in der Vergangenheit immer wieder mit seiner islamfeindlichen Haltung für Aufsehen gesorgt. So verglich er den Islam mit einer faschistischen Ideologie. Er wurde zudem wegen der Beleidigung marokkanischer Staatsangehöriger gerichtlich verurteilt.
Seit zwanzig Jahren steht der Rechtspopulist wegen Morddrohungen unter Personenschutz. In seinem aktuellen Wahlprogramm fordert Wilders die Schließung von Moscheen in den Niederlanden und ein Verkaufsverbot des Koran.
Zu den Forderungen gehört auch ein kompletter Aufnahmestopp von Asylbewerbern und bindendes Referendum über den Nexit - also den Austritt der Niederlande aus der EU.
Weichgespülte Töne im Wahlkampf
Während des Wahlkampfes jedoch schlug Wilders allerdings mildere Töne an: Falls er Premierminister würde, wäre er Premierminister von allen Niederländern, erklärte er mehrfach.
Diese neuen Töne handelten ihm in der Bevölkerung den Spitznamen "Geert Milders" ein. In einer ersten Reaktion nach der Wahl bestätigte er den neuen gemäßigten Kurs. Die Schließung von Moscheen sei derzeit kein Thema, aber es ginge darum, die Zuwanderung von Asylbewerbern zu begrenzen.
Nicht nur die "milderen Töne" gelten als Erfolgsfaktor des Rechtspopulisten und seiner Freiheitspartei. Experten vermuten, dass auch der Zick-Zack-Kurs der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), angeführt von Dilan Yesilgöz, zu dem Wahlerfolg beigetragen haben könnte.
Yesilgöz hatte im Vorfeld offengelassen, ob sie mit Wilders Partei in eine Koalition eintreten würde. Kurz vor der Wahl ruderte sie etwas zurück und schloss es aus, in eine Regierung mit Wilders als Ministerpräsident einzutreten.
Wichtigstes Wahlkampfthema: Migration
Doch auch die Themen Migration und Wohnungsnot hätten für das Wahlergebnis eine Rolle gespielt, sagt Politikberater Cuperus im Gespräch mit der DW. Er sieht eine Verbindung zwischen den beiden Themen.
Die Wähler hätten durch die Wahl Wilders den etablierten Parteien ein "sehr starkes Signal" gegeben, dass sich in diesem Bereich etwas ändern müsse. Insbesondere das Thema Migration beherrschte den Wahlkampf und war laut Umfragen bei der Wahlentscheidung am wichtigsten.
Wilders will regieren - doch mit wem?
Noch am Mittwochabend betonte Wilders im niederländischen Fernsehen, dass der Wählerwille nun beachtet werden müsse und bekräftigte damit seinen Anspruch auf das Amt des Premierministers. Dafür braucht er eine Mehrheit von 76 Stimmen in der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments.
Auf die Wahlen folgen nun langwierige und komplizierte Koalitionsverhandlungen, deren Ausgang noch völlig offen ist. Auf den ersten Blick scheint die naheliegendste Kombination eine Koalition mit der Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) und der neuen Partei des ehemaligen Christdemokraten Pieter Omtzigt.
Beide Parteien zeigten sich nach anfänglicher Zurückhaltung nun abwartend. Für Politikanalyst Cuperus liegen noch alle Optionen, auch Neuwahlen, auf dem Tisch. Es sei noch zu früh, um die Folgen dieser Wahl zu bestimmen, so Cuperus.