Liberale Drogenpolitik mit Folgen
28. November 2019Die Niederlande gehören zu den weltweit führenden Produzenten synthetischer Drogen. Das sagt Pieter Tops, Sozialwissenschaftler an der Universität Tilburg und Dozent an der Polizeiakademie der Niederlande. Tops forscht über die Organisierte Kriminalität in seinem Land und wie sie bestimmte Bereiche der Gesellschaft durchsetzt hat - auf eine ähnliche Art wie in Mexiko. Dies sei, so seine These, Folge der berühmten niederländischen Toleranz gegenüber weichen Drogen, die seit Ende der 1970er-Jahre praktiziert wird.
"Wir dachten, wir würden der Welt ein Beispiel geben. Lange waren wir damit auch sehr zufrieden - doch jetzt nicht mehr", erklärt Tops in seinem provokanten Vortrag "Drogenhandel - das niederländische Beispiel: Funktioniert die Legalisierung?", den ich in Barcelona hörte. Was ich schon fünf Jahre zuvor auf einer Konferenz in Amsterdam befürchtet habe, ist inzwischen zu einer schrecklichen Realität geworden: Die Drogenmafia macht sich überall breit, wenn man ihr den Raum dazu lässt.
Die Legalisierung war ein grundlegender Fehler
Tops führte aus, dass die Legalisierung des Drogenkonsums in den Niederlanden ein grundlegender Fehler war, der jetzt - fast 30 Jahre später - schwerwiegende Folgen nach sich zieht. "Die Realität ist, dass wir den Menschen erlauben, legal Drogen in den sogenannten 'Coffeeshops' zu kaufen, andererseits es den Besitzern dieser Läden untersagen, diese weiche Drogen einzukaufen", meint Tops und ergänzt: "Das ist eine schizophrene Situation, aber irgendwie haben wir es geschafft, mehr als 30 Jahre so zu leben". Aktuell gebe es eine Debatte in den Niederlanden darüber, ob das System eine Schieflage habe.
Der beschriebene legale Widerspruch habe zur Folge, dass in den "Coffeeshops" Cannabis verkauft werde, der aus einer in den Niederlanden seit Jahrzehnten tolerierten illegalen Produktion und illegalem Handel stammt. Dies habe zur Entstehung von Banden Organisierter Kriminalität geführt, die in den Niederlanden nicht nur paradiesische Zustände für die Produktion von Cannabis, sondern auch für andere harte Drogen gefunden habe.
"Diese Situation ist zu einem großen Problem geworden. Derzeit führen wir Feldversuche durch. Im kommenden Jahr dürfen 'Coffeeshops' in zehn niederländischen Städten Cannabis von legalen Produzenten kaufen, aber große Städte wie Amsterdam werden nicht an dem Experiment teilnehmen".
Tops weist darauf hin, dass die Niederlande derzeit Hersteller und Vertreiber einer Vielzahl von Drogen sind: Cannabis, synthetische Drogen, Ecstasy und Methamphetamine, Kokain und Heroin. Laut einer Studie erwirtschaftet die synthetische Drogenproduktion in den Niederlanden 19 Milliarden Euro pro Jahr. Der Großteil der dort produzierten Dogen wird hauptsächlich in die Vereinigten Staaten und Australien exportiert.
Mexikanischer Einfluss
Presseberichten zufolge sind die niederländischen Behörden davon überzeugt, dass mexikanische Drogenkartelle ihren niederländischen Kollegen wertvolles Wissen über die Herstellung und den Vertrieb von Metamphetaminen weitergeben. Sie könnten auch als Vertriebspartner auf dem amerikanischen Kontinent in Frage kommen. Der mexikanische Drogenhändler José Rodrigo Aréchiga, alias "El Chino Antrax", wurde 2013 am Amsterdamer Flughafen Schiphol verhaftet. Obwohl Aréchiga vor allem als Anführer einer Killertruppe des Sinaloa-Kartells bekannt wurde, war seine wichtigste Rolle (laut Dokumenten, die mir vorliegen) die eines Logistikers für das mexikanische Kartell.
Eine Ecstasy-Pille, die in den Niederlanden für etwa 20 Cent produziert wird, kann auf den Straßen Australiens, beispielsweise in Sidney, für 18 Euro verkauft werden", erklärt der niederländische Experte Tops. Es wird vermutet, dass von den 19 Milliarden Euro Umsatz mindestens 900 Millionen Euro als Gewinn von den niederländischen Kriminellen verbucht werden können. Mit den Drogen, die das Land verlassen, verlässt auch das übrige Geld das Land. "Ehrlicherweise müssen wir zugeben, dass wir keine Ahnung haben, wo das übrige Geld landet", gibt Tops zu.
Warum die Niederlande?
Der Experte benennt drei Gründe, warum die Niederlande - "dieses kleine, anständige und wohlhabende Land" - zu einem Operationszentrum der Drogenbarone wurde. Der erste Grund sei derselbe, der das Land auch für den legalen Handel attraktiv macht: "Es ist eine Wirtschaft, die sehr offen gegenüber dem internationalen Handel ist. Wir sind das Tor zum Norden Europas. Und wir haben eine ausgezeichnete Infrastruktur". Außerdem würden die Niederlande davor zurückschrecken, den Warenverkehr mit kostspieligen Kontrollen zu verschärfen, da sie die Handelsbewegungen verzögern und somit zu einem Wettbewerbsnachteil führen könnten.
Der zweite Grund, so Tops, sei die tolerante Haltung der Regierung und der Gesellschaft gegenüber Drogen und deren Konsum. "Infolgedessen investieren wir nicht in starke Strafverfolgungsbehörden, um die Illegalität zu bekämpfen. In den Niederlanden sterben derzeit nur relativ wenige Menschen an einer Überdosis Drogen: Im Jahr 2016 waren es 250. "In einem Land mit 17 Millionen Einwohnern ist das fast nichts", sagt Tops.
Wo ein Markt ist, entsteht auch eine Drogenmafia
"Ich denke, das eigentliche Problem sind die enormen Geldbeträge, die dieses illegale Geschäft mit sich bringt. Diese üben eine Anziehungskraft nicht nur auf Kriminelle, sondern auch auf normale Menschen aus. Sie denken sich: Wenn man die Chance hat, soviel Geld zu verdienen und die Wahrscheinlichkeit, vor Gericht zu landen, so gering ist, warum sollte ich da nicht mitmachen?", meint Tops.
Die Botschaft von Pieter Tops ist klar: Die tolerierte Straflosigkeit des Drogenhandels in den Niederlanden und die soziale Akzeptanz treiben die Produktion synthetischer Drogen in die Höhe, mit gravierenden Folgen - auch für Nachbarländer wie Deutschland.
Die Journalistin und Buchautorin Anabel Hernández berichtet seit vielen Jahren über Drogenkartelle und Korruption in Mexiko. Nach massiven Morddrohungen musste sie Mexiko verlassen und lebt seitdem in Europa. Für ihren Einsatz erhielt sie beim Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn den DW Freedom of Speech Award 2019.